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zahlreiche Züge bekannt, aus denen hervorgeht,
daß schon zu jener Zeit die Völker zielbewußte
und rücksichtslose Handelspolitik trieben. Um bei
den oben genannten Ländern zu bleiben, sei er-
wähnt, daß schon lange vor Pfsammetich eine
Sperre der Häfen Unterägyptens bestand, daß
der genannte König dieselbe aufhob und die See-
städte seines Reiches zu Freihäfen erklärte. An
Vereinbarungen von Volk zu Volk über den Be-
trieb des Handels, die unsern Handelsverträgen
durchaus ähnlich sehen, sind eine ganze Reihe be-
kannt; es sei nur an den Vertrag des jüdischen
Königs Salomo mit dem König Hiram von Ty-
rus erinnert. Ebenso sind Handelsverträge zwischen
den Etruskern und Karthagern bekannt, in denen
genau ausgemacht ist, welche Waren eingeführt
werden durften und welche nicht. Zwei Handels-
traktate zwischen den Karthagern und Römern,
lange vor dem ersten punischen Kriege abgeschlossen,
und zwar 509 und 348 v. Chr., sind uns noch
vollständig erhalten. Ebenso ist bekannt, daß die
Athener eigene Beamte, ähnlich unsern Konsuln,
im Auslande unterhielten zur Wahrnehmung der
Rechte der Staatsangehörigen, daß wegen des
Handels zahlreiche kriegerische Zusammenstöße auch
im Altertum vorkamen; auf diejenigen zwischen
Karthagern und Griechen wegen des Handels im
westlichen Teile des Mittelmeeres ist schon beson-
ders hingewiesen worden.
Für das Mittelalter wird behauptet, daß es
eine staatliche Handelspolitik im allgemeinen nicht
gegeben habe, daß die Handelspolitik vielmehr sich
autonom in den Schutzverbänden der Kaufleute
und in den Städten entwickelt hätte. Das ist in-
dessen nur zum Teil richtig, indem ein großer
Teil der Städte und gerade diejenigen, welche in
hervorragendstem Maße am Außenhandel beteiligt
waren und ihn geradezu beherrschten, eben sou-
veräne Städterepubliken waren, wie die italie-
nischen. Allerdings ist zuzugeben, daß eine ein-
heitliche Reglung für größere Staatsgebilde nur
in geringerem Maße vorkommt. Beim Handel
in die Fremde macht sich im Mittelalter die Ver-
einigung zu Gilden und Hansen, Schutzverbänden
zur gemeinsamen Ausführung der Reisen und
Wahrnehmung der Rechte im Auslande, in her-
vorragendem Maße geltend. Allmählich identi-
fiziert sich aber mit diesen genossenschaftlichen Ge-
bilden die städtische Gewalt, und diese nimmt
dann die gesamte auswärtige Handelspolitik in
die Hand und ordnet auch die Reisen an. Es
werden Niederlassungen, Faktoreien, Kaufhöfe in
der Fremde gegründet, die sich zu ganzen Stadt-
vierteln ausdehnen und in denen die Kaufleute
nach eigenem Rechte leben. Auch in der auswär-
tigen Handelspolitik spielt das Stapelrecht eine
bedeutende Rolle, und darüber hinaus ist die Be-
hinderung der Fremden an der Ausübung des
Handels innerhalb der eigenen Interessensphäre
ebenso stark ausgebildet wie im Altertum, und es
gibt an Rücksichtslosigkeit die äußere Handels-
Handel usw.
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politik dieses Zeitraums derjenigen des Altertums
nichts nach. Zölle sind diesem Zeitalter selbstver-
ständlich auch nicht unbekannt.
Je mehr seit dem Ende des Mittelalters die
Staaten sich konsolidierten und die fürstliche Terri=
torialgewalt zur Geltung kam, um so mehr trat
an die Stelle der städtischen die territoriale Han-
delspolitik. Unter konsequenter Anwendung der
oben mitgeteilten Grundsätze des Merkantilismus,
die zur allgemeinen Herrschaft gelangten, geht in
dieser Periode die Politik im wesentlichen darauf
aus, nach außen das eigene Gebiet gegen fremden
Mitbewerb jeglicher Art abzuschließen und im
Auslande den eigenen Absatz mit allen Mitteln,
Vergewaltigung und Krieg nicht an letzter Stelle,
zu fördern. Die nebenhergehende Industriepoli-
tik, der die Handelspolitik teilweise nur hilfreiche
Hand zu leisten hatte, erstrebte für den inländischen
Markt billige und wohlfeile Ware sowie Kon-
kurrenzfähigkeit auf dem ausländischen Markte,
beförderte daher auf dem Gebiete des Handels,
abgesehen von der an oben gedachter Stelle be-
reits erwähnten Beeinflussung der Einfuhr bzw.
Ausfuhr fertiger Fabrikate, die zollfreie Einfuhr
von Lebensmitteln und von Roh= und Hilfsstoffen,
und suchte durch Lohntaxen und Verschaffung bil-
ligen Kapitals die Industrie zu möglichst billiger
Erzeugung zu befähigen. Als Hauptmittel der
Handelspolitik, diese Zwecke zu verwirklichen, diente
zunächst ein ausgedehntes Prohibitivsystem, die
Umgestaltung der bis dahin rein fiskalischen Zölle
zu Schutzzöllen und die Erwerbung von über-
seeischen Kolonien, die, als fremde Wirtschafts-
gebiete betrachtet, wertvolle Ausbeutungsobjekte
darstellten und demgemäß als Hauptquelle des
Volkswohlstandes galten. In keiner Periode der
Weltgeschichte hat die Handelspolitik so viel zu
internationalen Verwicklungen Veranlassung ge-
geben wie in der des herrschenden Merkantil-
systems; sie ist ausgefüllt mit Handels= und Ko-
lonialkriegen.
Diesem starren Absperrungssysteme gegenüber
hatten die Ideen der Physiokraten und des Smi-
thianismus schon in der zweiten Hälfte des
18. Jahrh. Fuß gefaßt und verschiedene Staats-
lenker jener Zeit, z. B. den französischen Minister
Turgot, den jüngeren Pitt in England, zu ent-
sprechendem Vorgehen veranlaßt. Die bald fol-
genden Unruhen des Revolutionszeitalters indessen
ließen nirgends eine dauernde Entwicklung in die-
sem Sinne zu. Sie brachten im Gegenteil die
auf dem Gebiete der Handelspolitik einzig da-
stehende, in ihrer Art großartige Epoche der
Kontinentalsperre. Nach ihrem Abschlusse und
damit auch dem Ende der gleich ihr unerträglichen
Seetyrannei der Engländer fand im allgemeinen
keine Fortsetzung der Politik im Geiste jener Theo-
rien statt; es machten sich sogar neue Absperrungs-
wünsche geltend. Im Gegensatze zu der voraus-
gehenden Periode des Merkantilismus steht von
nunan die Handelspolitik der europäischen Staaten