Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Ausgeschlossen sind die Reichs= und Staatsbetriebe. 
Ferner sind ausgeschlossen die mit einem land- 
und forstwirtschaftlichen Betriebe verbundenen 
Nebengewerbe sowie die landwirtschaftlichen und 
Handwerksgenossenschaften; doch ist ihnen der 
Beitritt gestattet. Wahlrecht und Wahlverfahren 
find näher geordnet; in betreff des letzteren ist zu 
erwähnen, daß die Kammer beschließen kann, die 
Wahlen nach Abteilungen vornehmen sowie eine 
Abstufung des Wahlrechts nach Höhe der Handels- 
kammerbeiträge (Verhältniswahlsystem) stattfinden 
oder die Wahl nach allgemeinem gleichem Wahl- 
recht erfolgen zu lassen. Die Mitglieder werden 
auf sechs Jahre gewählt und verwalten ihre Ge- 
schäfte unentgeltlich. Die Kammer stellt ihren Etat 
selbständig auf und macht ihn öffentlich bekannt. 
Die Kosten der Verwaltung werden nach Maß- 
gabe der Gewerbesteuer umgelegt. Die Zugehörig- 
keit zur Kammer begründet die Pflicht, die um- 
gelegten Beiträge, die den Charakter öffentlicher 
Lasten haben, zu zahlen. Die Handelskammer hat 
die Rechte einer juristischen Person und wird nach 
außen durch den Vorsitzenden oder seinen Stell- 
vertreter vertreten; Urkunden, welche die Handels- 
kammer vermögensrechtlich verpflichten sollen, 
müssen in ihrem Namen von dem Vorsitzenden 
oder seinem Stellvertreter und einem Mitgliede 
vollzogen werden. Alljährlich bis Ende Juni 
haben die Kammern über das voraufgegangene 
Jahr zu berichten und den Bericht im Druck er- 
scheinen zu lassen. Die Aufsicht führt der Minister 
für Handel und Gewerbe. Auf Antrag desselben 
kann durch Beschluß des Staatsministeriums eine 
Kammer aufgelöst werden. In diesem Falle müssen 
innerhalb dreier Monate Neuwahlen vorgenommen 
werden. Wie durch das frühere Gesetz, so ist auch 
durch die Novelle von 1897 eine Anzahl älterer 
kaufmännischer Korporationen (Altestenkollegium, 
Altesten der Kaufmannschaft) aufrecht erhalten 
worden, die keine Zwangsorganisation sind (z. B. 
in Berlin, Magdeburg, Königsberg u. a.); ihnen 
ist jedoch der Lebensfaden durchschnitten, wenn 
neben ihnen, wie es möglich ist, an demselben 
Orte eine Handelskammer errichtet wird. — Nicht 
einbezogen in die Handelskammern ist der — von 
dem Firmeneintragungszwang befreite — Klein- 
handelsstand. Neben Handel und Gewerbe, Land- 
wirtschaft und Handwerk fehlt es demnach ihm 
allein von allen wirtschaftlichen Berufszweigen an 
einer Interessenvertretung. In Hamburg ist seit 
1904, in Bremen seit 1906 neben der dort be- 
stehenden Handelskammer eine besondere Klein- 
handelskammer (Detailistenkammer) errichtet. 
Ein freiwillig gebildetes Zentralorgan der Han- 
delskammern ist der seit 1861 bestehende „Deutsche 
Handelstag“, dem die meisten Handelskammern 
Deutschlands angehören, mit dem Sitz in Berlin. 
Ebenfalls auf freier Vereinigung beruhen die zahl- 
reichen, nicht auf räumlicher, sondern auf fachlicher 
Grundlage beruhenden Organisationen, die zur 
Vertretung der Interessen von Handel und Ge- 
Handelskrisen — Handelsrecht. 
  
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werbe bestimmter Zweige in Deutschland gebildet 
sind. Sie sind lediglich dem Vereinsrecht unter- 
worfen und haben keine amtlich anvertrauten 
Funktionen. 
Das Deutsche Reich ist der Frage einer einheit- 
lichen Reglung durch das ganze Reich bisher noch 
nicht näher getreten. 
Im Königreich Sachsen und den Hansestädten 
besteht eine scharfe Scheidung zwischen Handels- 
kammern und Gewerbekammern. Diese ver- 
treten hier im Gegensatz zu den die Interessen des 
Handels und der Großindustrie berücksichtigenden 
Handelskammern (bzw. Handels= und Gewerbe- 
kammern) vorwiegend die Interessen des Klein- 
gewerbes und des Handwerks und haben nach der 
reichsgesetzlichen Einführung von Handwerkskam- 
mern (1897) die Rechte und Pflichten dieser In- 
teressenvertretungen erhalten. 
Literatur. v. Kaufmann, Die Vertretung 
der wirtschaftl. Interessen in den Staaten Europas 
(1879); Stegmann, Die staatsrechtl. Stellung der 
H.n, in Schmollers Jahrb. Bd 12; van der Borght, 
Der Gesetzentwurf über die Reform der preuß. 
Hen, in Jahrbücher für Nationalökon. u. Statistik, 
3. Folge, Bd 11; Voßberg-Rekow, Wirtschaftl. 
Interessenvertretung u. die Reform der preuß H.n 
(1896); Reitz, Das Gesetz über die H.n (1897); 
Zeyß, Entstehung der H.n u. die Industrie am 
Niederrhein während der französischen Herrschaft 
(1907). — Jahrbuch der deutschen H.n, hrsg. von 
Wendtland (1905); Maresch, Art. „Handels= u. Ge- 
werbekammern“ im Österr. Staatswörterbuch II, 
hrsg. von Mischler u. Ulbrich (21906).— C. Meyer, 
Auslandshandelskammern (1905); Borgius, L'Or- 
ganisation intern. de la défense des intérets 
éGcon., Revue Bcon. Intern. (1905). — Zeitschrif- 
ten: Handel u. Gewerbe (seit 1888 bzw. 1893); 
Volkswirtschaftliche Blätter (seit 1902, bes. die sog. 
Handelskammerhefte). [Wellstein.) 
s. Krisen. 
s. Handel (Sp. 1045). 
s. Handel (Sp. 1045 ff.. 
LAllgemeines, Handels- 
; Handelsprivatrecht; Gerichtliches 
in Handelssachen, Handelsgerichte.) 
I. Allgemeines; Handelsrechtspflege. Die 
Handelswissenschaft im weiteren Sinne ist die 
Summe aller Kenntnisse, welche für den Betrieb 
des Handels bedeutend sind; im engeren Sinne 
ist sie derjenige Teil der Wirtschaftslehre, welche 
von dem Betriebe des Handels und dessen geschicht- 
lich bedingten sozialen (wirtschaftlichen) Gesetzen 
handelt (Goldschmidt). Zur Handelswissenschaft 
im weiteren Sinne gehört auch die Kenntnis des 
Handelsrechts im weiteren Sinne als des In- 
begriffs aller Normen, welche für die Rechts- 
verhältnisse des Handels gelten. Betrachtet man 
den Handel nicht als Einzelunternehmen, sondern 
in seiner Gesamtheit als eine der Erscheinungen 
des wirtschaftlichen Lebens der Völker, und faßt 
man dann die Normen zusammen, welche die 
Staatsgewalt eines einzelnen Volkes zur Reglung 
des Handels in diesem Sinne sowie zur Reglung 
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