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Angehörigen anderer Staaten in wirtschaftliche
Beziehungen zueinander treten. Die Bedingungen
hierfür selbständig vorschreiben und je nach dem
wechselnden Bedürfnis oder nach Gutdünken wieder
ändern zu können, ist für einen selbständigen und
auf seine Selbständigkeit haltenden Staat ein so
naheliegendes natürliches Verlangen, daß man
die Ausübung und Erhaltung des Rechts zur
autonomen Bestimmung der Zollsätze, zu denen
fremde Waren die Grenze passieren dürfen, als
Grundlage und erste Regel für das Verhalten
eines Staates bezeichnen darf. Aber nicht minder
natürlich muß das Verlangen erscheinen, die in
der gleichen Autonomie anderer, ebenso berech-
tigter und ebenso selbständiger Staaten liegende
Möcglichkeit einer Störung des als wünschens-
wert erkannten Verkehrs fernzuhalten. Es kann
auch je nach der wirtschaftlichen Lage sogar ein
dringendes Bedürfnis, den fremden Tarif anders
gestaltet zu sehen, hinzutreten. Auf friedlichem
Wege ist dies nur mittels vertragsmäßigen Über-
einkommens, durch Handelsverträge, zu erreichen.
Es ist also ein Fehler, jedenfalls eine Einseitigkeit,
bei der Frage, ob Handelsverträge abzuschließen
seien oder nicht, nur die eigene Bindung wie einen
Verlust der besten Waffe zu betrachten, die Bin-
dung der Gegenseite jedoch zu übersehen, die viel-
leicht die Entwindung einer viel gefährlicheren
Waffe aus der Hand des Gegners bedeutet. Nicht
die „Theorie der freien Hand“ also, sondern nur
eine sachliche, auf vollständiger Übersicht aller
in Betracht kommenden Verhältnisse beruhende
richtige Beurteilung der Stärke und Gefährlich-
keit des andern Teiles können hier entscheidend
sein. Und da liegt es bei der außerordentlichen
Kompliziertheit der Verhältnisse, bei dem augen-
fälligen Bestreben großer und auf das wirtschaft-
liche Leben sämtlicher Kulturländer bedeutenden
Einfluß ausübender Mächte, sich abzuschließen,
abzuschließen doch nur aus selbstsüchtigen Grün-
den und zu selbstsüchtigen Zwecken, durchaus nahe,
den Versuch zu machen, die gefährliche Waffe des
Gegners unschädlich zu machen und durch Ver-
tragsbindung den Schädigungen vorzubeugen.
Im übrigen bedingt nicht einmal der Abschluß
eines Handelsvertrags notwendig ein Aufgeben
oder eine Beschränkung der Tarifautonomie, selbst
wenn ein solcher Vertrag — die Handelsverträge,
in denen überhaupt keine Zollbestimmung vor-
kommt, hier gänzlich beiseite gelassen — in Bezug
auf das Tarifwesen die Meistbegünstigungsklausel
enthält. Nach dem Sinne der Klausel, wie er
oben mitgeteilt ist, werden die Vertragsstaaten an
sich gar nicht gehindert, ihre autonomen Tarife zu
ändern, ja sogar, vom Standpunkte des andern
Teiles aus betrachtet, zu verstärken, zu verschlech-
tern; ihre Bedeutung ist eben nur die, daß der
meistbegünstigte Staat nicht schlechter gestellt wer-
den darf wie irgend ein dritter Staat. In Bezug
auf Tarifbindung kommt demnach die Meist-
begünstigungsklausel erst dann und nur in den
Handelsverträge.
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Fällen zur Geltung, wenn der die Meistbegün-
stigung einräumende Staat entweder Tarifverträge
mit andern Sätzen abschließt oder bereils ab-
geschlossene ändert. Danach richtet es sich auch,
ob ein Meistbegünstigungsvertrag als Tarif-
vertrag angesprochen werden kann oder nicht. Ist
er ein solcher, so wirkt er im internationalen Ver-
kehr in der eigentümlichen Weise weiter, daß fort-
während bei irgend welcher Anderung selbsttätig
neue Beziehungen hergestellt werden, ohne daß
überall neue Vertragsabschlüsse statthaben müssen.
Das macht aber auch den zeitigen Stand der
Verhältnisse sehr unübersichtlich, da er nur aus
der Gesamtheit aller später abgeschlossenen Ver-
träge anerkannt werden kann.
Ein Staat kann bei Reglung seines autonomen
Tarifs in der Weise verfahren, daß er, wie dies
merkantilistische Methode war, für jeden Staat
besondere Tarifsätze normiert, Differentialtarife
aufstellt, oder aber einen gegenüber allen Staaten
anzuwendenden einheitlichen Tarif, den allgemeinen
oder Generaltarif, erläßt. Er kann auch einen
sog. Doppeltarif aufstellen, d. h. einen Tarif,
der eine Maximal= und eine Minimalgrenze der
Zölle aufweist, die nicht überschritten werden soll;
in diesem Falle hat der Maximaltarif gleichzeitig
die Rolle des Generaltarifs zu vertreten, während
der Minimaltarif lediglich den Zweck hat, für
etwaige Vertragsabschlüsse die äußerste Begün-
stigungsgrenze zu fixieren. Werden nun Handels-
verträge in Ansehung dieser Tarife abgeschlossen,
so kann sich der Inhalt der Bestimmungen darauf
beschränken, den Staat an seinen Tarif zu binden,
ihn also zu verpflichten, die Tarifsätze nicht zu
ändern, d. h. nicht zu erhöhen oder auch wohl
nicht zugunsten anderer zu erniedrigen, oder aber
er kann auch Abänderungen, Herabsetzungen der
Tarifsätze betreffen. Die Zusammensetzung dieser
Tarifsätze bildet den Konventionaltarif. Je nach-
dem der Staat Verträge mit Meistbegünstigungs-
klausel laufen hat, pflanzen sich die Begünstigungen
im Konventionaltarif auf die meistbegünstigten
Staaten fort, wie hier noch einmal zur Verdeut-
lichung von anderem Gesichtspunkt aus wieder-
holt werden mag. Sofern die eingehende Ware,
statt nach Generaltarif, nach dem Konventional=
tarif behandelt werden soll, ist die Vorlage von
Ursprungs= oder Herkunftszeugnissen erforderlich
(ogl. d. Art. Zölle).
Aus dem Gesagten geht schon ohne weiteres her-
vor, daß es unzulässig ist, in dem bloßen Abschluß
von Handelsverträgen, selbst wenn es solche mit
Konventionaltarifen sind, eine Betätigung frei-
händlerischer Gesinnung zu erblicken. Es kommt
eben ganz darauf an, welche Ermäßigungen der
Konventionaltarif gegenüber dem Generaltarif,
bzw. welchen sonstigen Inhalt der Vertrag auf-
weist. In dieser Beziehung kann auch in der
vertragsmäßigen Bindung kein freihändlerischer
Akt gesehen werden, wie eingangs dieses Ab-
schnittes bereits auseinandergesetzt ist. Es sind