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in dieser Zeit nur das Interesse, politische Macht
zu erlangen. Sie nahm daher fast alle in sich auf,
welche zu ihr hinein wollten, und erstrebte den
Zunftzwang nur zur Stärkung der Zunft, um
viele Mitglieder zu haben, sowie ferner, um die
Verkehrsregulierung an sich zu ziehen. — Die
zweite Periode kennzeichnet sich dadurch, daß
die Zunft in ihrer Bedeutung gestiegen ist. Nach-
dem sich die politische Macht zur physischen Kraft
des Handwerks und ihre Masse zu technischer
Leistungsfähigkeit und sittlicher Tüchtigkeit ge-
sellte, erreichte sie den Höhepunkt ihrer Macht. —
Auf dieser Verbindung beruht die Blüte der
Zunft und zum Teil der deutschen Städte im 12.
bis 14. Jahrh. Nun aber erstrebt die Zunft
Monopolisierung des Verkehrs und sucht sich nicht
nur das Land durch Vernichtung (Legen) des Dorf-
handwerks (Zunftbann, Bönhasen und Pfuscher-
jagden) zu unterwerfen, sondern zwingt mit Hilfe
der städtischen Gewalt, welche nach dem Sturz
der Geschlechter vielfach in Händen von Zunft-
meistern lag, auch den Landmann, seinen Bedarf
innerhalb der Stadt zu decken, sowie auch gleich-
zeitig nur nach dort auf dem städtischen Markte
seine Produkte abzusetzen.
Die dritte Periode der Monopolisierung be-
ginnt mit der Verengung des Nahrungsspielraums.
Die Expansion der städtischen Handwerke hatte
bereits im 14. Jahrh. ihre Grenze erreicht, und
jetzt beginnt ein weiteres Stadium dieser Mono-
polisierungspolitik einzusetzen. Es werden keine
neuen Meister mehr in die Zunft aufgenommen,
sondern die bereits angesetzte Geschlossenheit der
Zunft geht ihrer endgültigen Ausführung ent-
gegen. — War bis dahin diese Politik der Zunft
nur gegen die außerhalb stehenden Handwerker,
namentlich gegen die Landhandwerker und -be-
wohner gerichtet, so wendet sie sich jetzt gegen die
eigenen Genossen. Der Beitritt zur Zunft wird
durch Beitrittsgelder erschwert, die allmählich
bis zu unerschwinglicher Höhe hinaufgeschraubt
werden (so von der Fleischerinnung in Basel
um 1391 auf die damals unerhört hohe Summe
von 402½ Schilling). Man erläßt ferner im
Gegensatze zu früheren Perioden Vorschriften
über eine Minimallehrzeit (um nicht zu vielen
Nachwuchs heranzubilden); daneben wird zur
Beseitigung der Konkurrenz der bis dahin un-
bekannte Befähigungsnachweis in Form des Mei-
sterstückes eingeführt sowie ferner der Wander-
zwang für die jungen Gesellen. Diese müssen
eine bestimmte Zeit wandern und werden auf
diese Weise abgeschoben; das war vornehmlich
der Zweck der Wanderjahre. Endlich kontingen-
tiert man sogar die Meisterzahl nach dem Vor-
bilde der in den Gemeindemarken Berechtigten,
und damit ist die Monopolisierung eine end-
gültige. Das Meisterrecht wird daneben oftmals
noch an den Besitz eines Hauses oder bestimmter
Räumlichkeiten geknüpft, und das Recht zur Aus-
übung des Handwerks wird damit ein Realrecht,
Staatslexikon. II. 3. Aufl.
Handwerk.
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damit aber zugleich zum weitaus größten Teile
erblich (Sohn oder Schwiegersohn). Gegen die
Schließung der Zunft richtet sich teils mit teils
ohne Erfolg die Politik der Stadt (Ansetzung von
Freimeistern usw.). — Diese Entwicklung wirkte
aber auf die Gesellen in ganz ungeahnter Weise,
und es tritt ein neues Moment in die Erscheinung.
Der Gesell, welcher bis dahin gleichsam Sozius
des Meisters war und dem Hause desselben als
Angehöriger zugezählt wurde, ist zunächst nicht in
der Lage, den zur Erlangung der Meisterschaft
geforderten Besitz nachzuweisen. Dadurch hört der
Gesellenstand auf, eine Durchgangsstation zur
Selbständigkeit zu bilden, und wird eine dauernde
Einrichtung, und der Geselle sinkt zum Lohn-
arbeiter hinab. Damit erlischt auch die Interessen-
gemeinschaft, und die Differenzierung zwischen
Meister= und Gesellenschaft vollzieht sich in zu-
nehmendem Maße. Sie vollzieht sich nach innen
in der Art, daß die Gesellen die Umwandlung
ihres strengen Dienstverhältnisses in ein Kontrakt-
verhältnis anstreben (ogl. Schanz), nach außen
hin durch die Emanzipation der Gesellen aus der
Hausgewalt des Meisters — der verheiratete Ge-
selle tritt in die Erscheinung —, sowie ferner da-
durch, daß die Abdrängung des Gesellen aus der
gemeinsamen Trinkstube, in der Recht gesprochen
wurde, stattfindet. Dieses Moment war gleich-
bedeutend mit der Entrechtung der Gesellen. Die
Anfänge dieser Bewegung treten im ersten Viertel
des 14. Jahrh. fast gleichzeitig im Norden und
Süden, jedoch in den einzelnen Gewerbszweigen
und Städten verschieden auf, sie fallen zusammen
mit dem Übergang des Handwerks zur höchst-
möglichen Form seiner Entwicklung, zum Preis-
werk. Der Verlauf der Bewegung ist aber der,
daß sich schließlich zwei Stände im Handwerk
gegenüberstehen. — Die Folge ist Sonderorgani-
sation der Gesellen. Es entstehen aus den kirch-
lichen Bruderschaften und auch als selbständige
Gründungen ad hoc die Gesellenverbände. Sie
haben gewerkschaftlichen Charakter und sind die
ersten Ansätze der modernen Arbeiterbewegung.
Diese Verbände vertreten bald ihre Sonderinter-
essen gegenüber den Meistern. Die Interessen-
gegensätze führen zu Interessenkonflikten: der Klas-
senkampf beginnt. Die Streitobjekte sind Arbeits-
lohn und Arbeitszeit. Die letztere war namentlich
seit Einführung der Reformation infolge der Ab-
schaffung der Feiertage eine ganz unerhörte ge-
worden. Infolge des Wanderzwanges tritt weiter-
gehende Differenzierung ein, der Kampf nimmt
dadurch einen interlokalen und teilweise inter-
nationalen Charakter an. Der Wanderzwang
führt eine Ausgleichung des Arbeitsbedarfs und
des Arbeitsangebots herbei. Die Arbeit des Ge-
ellen ist Ware geworden. — Aus der Inter-
lokalität resultiert sodann die Arbeitsvermitt-
lung und der Arbeitsvertrag. Sie werden bald
die weiteren Streitobjekte in dem tosenden Macht-
kampfe zwischen Meistern und Gesellen. Vornehm-
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