Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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lich wehrt sich die Meisterschaft gegen die Arbeits- 
nachweise. — Die Kampfmittel der Gesellen sind 
Verrufserklärung, Ausstand und Boykott und 
wiederholt der bewaffnete Aufstand. — Um die 
Machtstellung der Gesellenverbände gegenüber den 
Zünften entbrannte ein jahrhundertelanger Kampf 
zwischen beiden Parteien. Dieser verläuft aber, 
trotzdem die Gesellenverbände in der zweiten 
Hälfte des 15. Jahrh. ein bedeutender Faktor im 
Wirtschaftsleben geworden waren und weitgehende 
Rechte erworben hatten, seit der ersten Hälfte des 
16. Jahrh. zunehmend ungünstiger für die Ge- 
sellen, je stärker ihr Arbeitsangebot mit zunehmen- 
der Bevölkerungsziffer steigt. Der Endpunkt des 
Kampfes ist, nachdem wiederholt schon um 1548, 
1556 und 1559 Reichstagsbeschlüsse und das 
Reichsgutachten von 1672 gegen die Gesellen- 
organisation ergangen sind, und nachdem in- 
zwischen die Erstarkung der Territorialfürsten- 
tümer, der Träger des absolutistischen Regimes, 
sich vollzogen hat, die völlige Niederlage der Ge- 
sellen. Sie schließt ab mit dem Beschluß des 
deutschen Reichstags von 1731, welchem sich später 
das preußische Landrecht durch Statuierung des 
Koalitionsverbotes anpaßt. Durch jenen Beschluß 
wird die Organisation der Gesellen überhaupt ver- 
boten. Die Meisterschaft hat damit zwar über die 
Gesellen gesiegt, aber nach Auflösung der Gesellen- 
verbände nehmen viele Gesellen Kriegsdienste, ver- 
wildern und sind damit für das Handwerk ver- 
loren. Die meisten Soldaten des 17. und 18. 
Jahrh. sind Handwerksgesellen. Das Zusammen- 
schrumpfen der Gesellenzahl wirkte zum Teil somit 
auf den Rückgang des Handwerks. 
Diese Entwicklung des Handwerks war nicht 
ohne Einfluß auf die Stellung der Lehrlinge 
geblieben. Zu Anfang, als das Handwerk in den 
Städten Schutz und Nahrung fand, traten na- 
mentlich auch viele verheiratete Leute als Lehrlinge 
in dasselbe ein und strebten nach kurzer Lehrzeit 
nach Selbständigkeit. Man zahlte dem Lehrherrn 
eine Vergütung, arbeitete dafür eine relativ kurze 
Zeit (höchstens bis zu Jahresfrist) und wurde 
dann, da das Verhältnis jederzeit gelöst werden 
konnte, bald selbständig. Nachdem jedoch schon 
früh infolge der fortschreitenden Technik und einer 
gewissen Besetztheit des Gewerbes die soziale Dif- 
ferenzierung des Handwerks eingesetzt hatte und 
den Stand in Lehrknechte, Knechte und Meister 
geschieden hielt, begann auch alsbald eine gewisse 
Reglementierung der Lehrlingsverhältnisse. Bereits 
in den ältesten Zunfturkunden finden sich Ansätze, 
welche das durch Gewohnheit in dieser Hinsicht 
ausgebildete Gewerberecht zu fixieren bestrebt ist. 
So hat man schon früh die Bestimmung über das 
Züchtigungsrecht der Meister, über die zulässige 
Zahl der zu haltenden Lehrlinge usw. festgelegt. 
— Immer aber bleibt das Verhältnis zwischen 
Meister und Lehrling noch ein patriarchalisches. 
Die Erziehung der Lehrlinge ist eine Hauptauf- 
gabe der Zunft, und der Meister bleibt dieser für 
Handwerk. 
  
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gutes moralisches Verhalten seiner auszubildenden 
Knechte haftbar. 
Der Hauptteil der Ausbildung ruht aber beie 
den Gesellen. Diese üben daher einen bedeutenden 
Einfluß sowohl auf diese als auch auf die Lehr- 
lingshaltung überhaupt aus. Nach der veränderten 
Stellung der Gesellen zur Meisterschaft treten auch 
hier Anderungen ein. Mit steigender Bevölke- 
rungsziffer erfolgt ein Überangebot von Lehr- 
knechten; die Meister sind jetzt in der Lage, neben 
einer stärkeren Gesellenschaft noch ein oder zwei 
Lehrknechte anzunehmen; aber das Verhältnis ist 
ein anderes geworden. Der Meister will einerseits 
Möglichst viel an dem Arbeitsertrage des Gesellen 
und Lehrlings partizipieren und sucht seine Knechte 
nur auszubeuten, anderseits sie möglichst lange in 
dem Arbeitsverhältnisse zu sich zu erhalten und 
nicht selbständig werden zu lassen, daher die Ver- 
längerung des Lehrverhältnisses; dasselbe wird 
zum Arbeitsverhältnis. 
Die Meisterschaft hat in der Blüte der 
Zunft eine bedeutende Rolle gespielt. Infolge des 
Anwachsens ihrer Wohlhabenheit und der politi- 
schen Macht, welch letztere die Zertrümmerung der 
Geschlechter herbeiführte, bildete sich (wie Schön- 
lack nachweist) eine Handwerkeraristokratie heraus, 
welche bestrebt war, ihre Erfolge dauernd zu 
sichern. Hierzu schien die Abschließung der Zunft 
das geeignete Mittel. Die Zünfte sicherten sich 
daher nicht nur nach und nach ihre Arbeitsgebiete 
durch Privilegien, sondern reglementierten auch die 
Produktions= und Absatzverhältnisse, joa selbst die 
Pflichten ihrer Angehörigen gegen die Zunft, auch 
gegen die Obrigkeit und selbst gegen Gott. Sie 
glaubten sich so gegen alle Gefahren in Bezug auf 
ihre Existenz gesichert. Bis zu einem gewissen 
Grade war dies zutreffend; anderseits hinderte 
diese Abschließung aber die stets erforderliche An- 
passung eines jeden Gewerbes an die Bedürfnisse 
der Menschen, und es trat eine Stagnation des 
Schaffensdranges der Meister ein und damit im 
Verein mit den Gesellenkämpfen ein Moment der 
rückläufigen Bewegung der Zunft. 
Die weiteren Ursachen des Rückgangs der Zunft 
und damit des Niederganges des Handwerks sind 
in den äußeren Umständen zu suchen. Die 
mittelalterliche Stadt war mit der Wirtschafts- 
politik der Zunft durchaus verwachsen. Sie er- 
strebte nach M. Weber namentlich in ihrer Blüte- 
zeit nach der einen Seite billige und reichliche 
Ernährung ihres Bürgerstandes, unter dem die 
Gewerbe das größte Kontingent lieferten, und 
nach der andern Seite Aufrechterhaltung des 
Kundenkreises ihrer Gewerbetreibenden, nament- 
lich der Handwerker. Zu diesem Zwecke versuchte 
sie die Unterdrückung des Zwischenhandels herbei- 
zuführen und kontrollierte die Gleichheit der Pro- 
duktionschancen für die Handwerke und Gewerbe. 
Ja sie ging noch weiter und wollte auch direkt 
die Erwerbsgelegenheit erweitern, indem sie ein- 
mal die Ergänzung der Produktion auf gemein-
	        
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