Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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schaftlichem Wege durch städtisches Kapital för- 
derte, welches da zur Verfügung gestellt wurde, 
wo die Mittel der einzelnen nicht ausreichten 
(städtische Eisenwerke, Mühlen usw.), sodann in- 
dem sie die Aufschließung fremder Absatzgebiete 
durch Erwerb von Privilegien anstrebte, und end- 
lich indem sie eine Monopolisierung des Zwischen- 
handels und Handelsmonopole zu erlangen suchte. 
Das auf diese Weise mit der Stadtpolitik ver- 
knüpfte Handwerk mußte bei dem Schwinden der 
Stadtmacht mit dem Aufkommen der Territorial= 
herrschaft naturgemäß arg in Mitleidenschaft ge- 
zogen werden. Es trat aber noch der weitere Um- 
stand hinzu, daß sich nach und nach die Entwick- 
lung der gewerblichen Marktproduktion 
vollzog, und zwar sobald als das Produkt des 
einheimischen Handwerks exportiert wurde. Das 
ist der Fall zuerst bei dem Kunsthandwerk, denn 
nur seine Erzeugnisse, wie Kleiderstoffe, Gewebe, 
Edelmetalle, Töpferwaren, können die hohen 
Transportkosten ertragen. Für den Export ist der 
Zwischenhändler, der Kaufmann, unentbehrlich. 
Handwerker und Kaufmann stehen (nach Weber) 
ursprünglich in einem Kommendaverhältnisse, so 
daß der Handwerker dem letzteren seine Produkte 
kommendiert und am Gewinn in einem bestimmten 
Verhälktnisse beteiligt ist. Je mehr Handwerker 
aber auf den Export angewiesen werden, um so 
unentbehrlicher wird der Kaufmann, um so vor- 
herrschender wird seine Stellung. Das kaufmän- 
nische Ubergewicht äußert sich zunehmend in der 
immer weiter um sich greifenden Abhängig- 
machung des Handwerkers dadurch, daß dieser 
nur allein für den Kaufmann zu arbeiten hat. so- 
wie in der Lieferung der Rohstoffe an den Hand- 
werker. Nach und nach wird der Kaufmann zum 
Verleger, der Handwerker aber, da er nicht mehr 
für einen bestimmten Kundenkreis oder den Lokal- 
markt produziert, zum Lohnarbeiter des Verlegers. 
Dadurch wird ein großer Teil des Handwerks in 
den Dienst einer auf Gewinn berechneten Absatz- 
produktion gestellt und das Handwerk im all- 
gemeinen von seiner früheren Höhe hinabgezogen. 
Um diese Zeit finden sich vermehrte Ansätze zum 
Verlagssystem und zu Fabrikunternehmungen, 
meistens als „Manufakturen" bezeichnet. — Zwar 
sind nach Stieda die Gründe, welche zur Fabrik- 
unternehmung führten, noch nicht hinreichend er- 
forscht; es steht aber fest, daß die gedachte Unter- 
nehmung seit Ausgang des 16. Jahrh. mehr und 
mehr, zunächst wohl meistens als Hausindustrie, 
in den verschiedenen westeuropäischen Staaten ein- 
setzte, und zwar territorial verschieden, je nachdem 
der Boden vorbereitet war. Die Verarmung ein- 
zelner zünftigen Meister wird um diese Zeit schon 
konstatiert, und gerade sie wirkt mit auf die Ent- 
wicklung der Dinge. In Westeuropa ist nach 
W. Sombart die Hausindustrie zum Teil in An- 
knüpfung an ein Handwerk entstanden, 
zum Teil allerdings auch in Neuschaffung der be- 
treffenden Industrie. Sie folgt in Westeuropa 
Handwerk. 
  
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auf eine Periode handwerksmäßiger Gewerbe- 
produktion und setzt an in einer Zeit, in der der 
Auflösungsprozeß der alten Wirtschaftsverfassung 
beginnt, in einer großstadtlosen Zeit bei wenig 
entwickelter kapitalistischer Wirtschaftsweise. 
In der ersten Zeit der Hausindustrie und der 
Fabrikperiode werden nur solche Gegenstände ge- 
fertigt, die bisher in Deutschland nicht hergestellt 
wurden und deren Erzeugung nach Stieda nicht 
an die Zunft gebunden war. In der späteren 
Periode, namentlich zu Anfang des 18. Jahrh., 
trat aber offensichtlich eint Verschiebung der Ver- 
hältnisse ein, und zwar durch die Einwanderung 
der Hugenotten nach Aufhebung des Edikts von 
Nantes. — In Süd= und Mittelfrankreich, na- 
mentlich aber in Paris, fanden sich in den sog. 
lieux privilégiés nicht zünftige Meister und 
Kaufleute, die ihr Gewerbe ausüben durften, ohne 
zu fürchten, von der Zunft gestört zu werden. 
Unter den von ihnen betriebenen Gewerben finden 
sich auch handwerksmäßige, wie Tuchweberei, 
Töpferei usw. — Diese und viele andere Gewerbe 
wurden durch die Einwanderung der Hugenotten 
nach Deutschland, speziell nach Preußen über- 
tragen. — Auch in dem benachbarten Holland 
hatte die Hausindustrie schon Ende des 15. Jahrh. 
verschiedene Handwerkserzeugnisse ergriffen, so die 
Tuchmacherei usw. Mit der Einwanderung der 
französischen Flüchtlinge gewann die Entwicklung 
ein lebhafteres Tempo, und es wurden mehrere 
Fabriken für Hutmacherei, Seidenweberei usw. 
gegründet. 
In Osterreich waren die Zunftrechte durch die 
„Hoffreiheiten", welche einzelne Handwerker von 
der Zugehörigkeit zur Zunft befreiten, durch- 
brochen, sodann noch weitere Privilegien für Ein- 
richtung von Fabriken erteilt worden; so stellte 
das Manufakturhaus auf dem Tabor in Wien 
Seiden= und Wollgewebe und Hausgeräte 
her. Ahnlich ist es in verschiedenen westeuro- 
päischen Ländern, wie. England usw. — Zweifel- 
los wird hierdurch belegt, daß die Hausindustrie 
und Fabrik sich in die handwerksmäßigen Betriebe 
eindrängten. Es ist dies von Wichtigkeit für die 
Beurteilung der ferneren Lage. 
Weiter bleibt zu beachten, daß auch das erhöhte 
Einsetzen der Geldwirtschaft an Stelle der 
Tauschwirtschaft auf den Niedergang des Hand- 
werks von unberechenbarem Einfluß wurde. Die 
mittelalterlichen Städte gehen, weil sie Geldaus- 
gaben machen mußten, zur Geldwirtschaft über. 
Es tritt in den Gewerben und dem Handwerk der 
geldwirtschaftliche Arbeitslohn an die Stelle des 
genossenschaftlichen Gewinnanteiles und des Na- 
turallohnes auf. Ebenso tritt die Geldwirtschaft 
in der Agrarwirtschaft zutage und fördert damit 
die Beseitigung der letzten Reste der mit dem Lande 
gepflogenen Tauschwirtschaft. 
Der feudale Staat endlich strebt die För- 
derung nicht nur seiner Ausdehnung an, nament- 
lich auf die Stadt, sondern er deckt das tief in das 
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