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derjenige Lehrlinge ausbilden darf, der das
24. Lebensjahr zurückgelegt und die Meister-
prüfung in einem Handwerk bestanden hat. Trotz
dieser relativ geringen Verbesserungen, über deren
Wert berechtigte Zweifel bestehen, ist das Gesetz
weiter besserungsbedürftig. Es bringt zwar gegen-
über der früheren Gesetzgebung (Gewerbefreiheit)
Verbesserungen, aber was es auf der einen Seite
konzediert (z. B. Organisation), hat es auf der
andern wieder eingeengt, so beispielsweise hin-
sichtlich Preisfestsetzungen (§ 100 q) usw.
Es ist zuzugeben, daß es nicht leicht war,
auf den ersten Anhieb ein befriedigendes Gesetz
zustande zu bringen; immerhin hätte es kon-
sequentere Vorschriften bringen müssen.
Das Gesetz trägt den Wünschen des Hand-
werks nur teilweise Rechnung; besonders die Be-
strebungen derjenigen Gruppe der Handwerker,
welche das Handwerk wieder nach der alten Zunft-
verfassung organisiert haben wollte, sind durch
dasselbe nicht erfüllt worden. Den von ihnen ge-
wünschten Befähigungsnachweis, auch selbst den
nach österreichischem Vorbilde gewünschten Ver-
wendungsnachweis und die obligatorische Innung
hat es nicht gebracht, sondern neben der beibehal-
tenen freien Innung nur die fakultative Zwangs-
innung. Beide bilden nunmehr die Grundlagen der
Organisation. Durch Einführung des Zwanges,
der Zwangsinnung, ermöglicht das Gesetz aber
im Gegensatze zu den früheren Gesetzen den Auf-
bau der Innungen auf der Unterlage des Zwanges.
Es hat ferner ein neues Moment in die Organi-
sation durch Schaffung der Gesellenausschüsse hin-
eingetragen, entsprechend der Forderung derchrist-
lichen Sozialpolitik, welche stets den Aufbau des
Standes mit allen in ihm tätigen Kräften ver-
langt hatte. Als Krönung des gesamten Aufbaues
hat endlich das Gesetz die Handwerkskammern ge-
schaffen und hierdurch einem alten Wunsche des
Handwerks Rechnung getragen.
Den Innungen stellt es obligatorische und
fakultative Aufgaben und gestattet ihnen unter
gewissen Kautelen, Nebeneinrichtungen zur För-
derung der wirtschaftlichen Interessen zu treffen
(65 81 a und 81b der Gewerbeordnung); es er-
weitert wesentlich die Kompetenz der Innungs-
schiedsgerichte, behält die Innungskrankenkassen
bei, gibt der Innung namentlich einen wesentlichen
Handwerkskammer.
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Einfluß auf die Gestaltung des Lehrlings-
wesens und knüpft das Halten von Lehrlingen
an das Vorhandensein gewisser sittlicher und
technischer Vorbedingungen der betreffenden Lehr-
meister.
Die Handwerkskammern sind den Handels-
und Landwirtschaftskammern nachgebildet, ihre
Befugnisse jedoch weit über die Kompetenz dieser
hinaus ausgestaltet worden; zum Teil stehen sie
als Selbstverwaltungskörper in voller Unab-
hängigkeit den Behörden gegenüber (§ 108e),
zum Teil in Unterordnung unter der Behörde
(Aussichtsbehörde § 1030), zum Teil in gleicher
Eigenschaft mit den Verwaltungsbehörden, d. h.
koordiniert (§ 103p), da diese dem Ersuchen der
Handwerkskammern Folge leisten müssen. Ander-
seits sind die Behörden wieder Exekutivorgane
der Handwerkskammern, soweit es sich um Aus-
führung von Zwangsmaßregeln handelt (103n),
und endlich sogar Träger der Lasten (§ 1031)
Das Gesetz hat hier ein Konglomerat von Wechsel-
beziehungen zwischen Behörden und Handwerks-
kammern geschaffen, das wohl einzig in seiner Art
dasteht, daneben aber die Stellung der Hand-
werkskammer gegenüber den Innungen und In-
nungsausschüssen zu einer autoritativen gemacht
(5 1031). Selbstverwaltung und Gebundenheit
wechseln neben Beschränkungen der Unterorgane
der Handwerkskammern in kaleidoskopartiger
Weise. Auf der einen Seite will das Gesetz Or-
ganisation des gesamten Standes, auf der andern
beschränkt es die Tätigkeit der Handwerkskam-
mern auf ganz bestimmte Maßnahmen. Dennoch
bedeutet es trotz nicht zu verkennender Mängel
einen wesentlichen Fortschritt. Bei richtiger Auf-
fassung ist den Handwerkskammern die Möglich-
keit der Organisation und des Wiederaufbaues des
Handwerks, wenn auch unter erschwerenden Um-
ständen, gegeben. Ihre Hauptziele können nur
sein: Erziehung und Herbeiführungge-
nossenschaftlichen Zusammenschlusses
des gesamten Handwerks. Ob sie diese Ziele er-
reichen werden, muß die Zukunft lehren. (Über
die praktischen Erfolge des Gesetzes vgl. d. Art.
Handwerk.)
Über die wirtschaftliche Entwicklung der Hand-
werkskammern geben folgende Zahlen einigen Auf-
schluß:
Vermögen der Handwerkskammern am 1. Jan. 1907.
Aktiva Passiva
ie
— darunter Darunter. darunter überschuß
Staaten 2 Grund- obiliar= ppo- .
Zä. Summe besitz im besitz im Summe theken. Aktiva
S# Werte von Werte von schulden
u ½u u u
Preußen 33 1231 75 " 655.000 114 318 624 219 372330 607 535
Bahenn 8 31.209 — 18 609 187 — 31 022
Sachsen 5 310491 — 17711 — — 310 491
Württem ber 4 313 125 235 171 13 422 206 616 206 000 106 509
adnn::: 4 77868 — 18 901 — — 77 868
Ubrige Bundesstaaten.. . .. ... 17 289242 100000 59 325 95 250 95 250 203 992
Deutsches Reich 71 2263 689 990 171 242 286 926.272 673 580 I 1337 417