Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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konvention Preußens mit Braunschweig vom 
9./18. März 1886. — Die Vereinbarungen mit 
Bayern und Württemberg sind Bestand- 
teile der Reichsverfassung geworden (s. Schluß- 
bestimmungen zum Abschn. XI der Verfassung), 
und ihre Bestimmungen können daher nur im 
Wege der Reichsgesetzgebung und nur mit Zu- 
stimmung Bayerns bzw. Württembergs geändert 
oder aufgehoben werden (Reichsverfassung Art. 78, 
Abs. 2). Zweifelhaft ist die rechtliche Bedeutung 
der übrigen Militärkonventionen. Die sächsische 
Militärkonvention kommt inhaltlich der württem- 
bergischen Militärkonvention nahe, hat jedoch eine 
Anerkennung und Gewährleistung in der Reichs- 
verfassung nicht erhalten. Die übrigen Militär= 
konventionen stellen sich nach ihrem wesentlichen 
Inhalt dar als Staatsverträge, durch welche ein- 
zelne Bundesstaaten die Ausübung der ihnen im 
Rahmen der Reichsverfassung und ferneren Reichs- 
gesetzgebung verbliebenen Militärhoheit auf den 
preußischen Kontingentsherrn in mehr oder we- 
niger großem Umfange übertragen und dafür die 
Zusicherung einer Selbstbeschränkung des Kaisers 
in der Ausübung der ihm verfassungsmäßig über 
die betreffenden Truppen zustehenden Befugnisse, 
namentlich hinsichtlich des Dislokationsrechts, er- 
halten haben. Sie können jederzeit durch neue Ver- 
einbarungen der Vertragschließenden abgeändert 
oder aufgehoben werden; in den Militärkonven- 
tionen mit den thüringischen Staaten, den beiden 
Lippe, Schwarzburg-Sondershausen, Waldeck und 
Braunschweig ist sogar die Zulässigkeit einseitiger 
Kündigung der Konvention ausbedungen worden. 
Die fortschreitende Reichsmilitärgesetzgebung hat 
übrigens einen erheblichen Teil dieser Konventions= 
bestimmungen beseitigt oder gegenstandslos ge- 
macht. Diese staatsrechtlich überaus verwickelte 
Rechtslage erklärt sich aus der Entstehung des 
Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches 
durch freie Verträge souveräner, gleichberechtigter 
Staaten, welche eine Berücksichtigung und Auf- 
rechterhaltung ihrer militärischen Hoheitsrechte for- 
derten und in verschiedenen, je der politischen 
Bedeutung des einzelnen Staates entsprechenden 
Abstufungen durchsetzten. 
II. Kontingente der Bundesstaaten. Die 
Reichsverfassung spricht in Art. 59/64 und 66 
von einem „deutschen Heer“, einem „Reichsheer“; 
der Inhalt der Verfassungsbestimmungen zeigt 
aber, daß die Reichsverfassung ein einheitliches 
deutsches Reichsheer im Rechtssinne nicht geschaffen, 
sondern sich damit begnügt hat, die Truppen der 
einzelnen Bundesstaaten, die Kontingente, 
zu einer technisch-militärischen Einheit zu verbin- 
den. Die Einheitlichkeit der Militärgesetzgebung, 
der Feststellung der Präsenzstärke und des Heeres- 
etats sowie die dem Kaiser zustehenden Befugnisse 
sichern die übereinstimmende Gliederung und die 
gleichwertige Ausbildung der einzelnen Kontingente 
für deren Zusammenfassung im Krieg unter dem 
einheitlichen Oberbefehl des Kaisers. Während 
Heerwesen. 
  
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nach der Reichsverfassung alle Bundesstaaten „ihre 
Kontingente“, „ihre eigenen Truppen“ (Art. 66) 
haben, sind durch die Militärkonventionen alle 
Kontingente bis auf vier zugunsten Preußens be- 
seitigt. Die frühere Zersplitterung der deutschen 
Truppen in zahlreiche kleine und kleinste Kon- 
tingente hat damit aufgehört. 
1. Es bestehen nur noch vier Kontingente: das 
preußische, bayrische, sächsische und württembergi- 
sche. Das preußische Kontingent umfaßt kraft 
Reichsgesetzes vom 9. Juni 1871 § 3 auch die 
Truppen aus Elsaß-Lothringen und auf Grund 
der Militärkonventionen die Truppen aus den 
mittleren und kleinen Bundesstaaten. Diese vier 
Kontingente bilden besondere Armeen mit eigenen 
Fahnen und Feldzeichen. Durch die Vereinigung 
der Kontingentsherrlichkeit und des kaiserlichen 
Amtes als Bundesfeldherrn ist für den preußischen 
Landesherrn tatsächlich die volle Militärhoheit ge- 
wahrt. Freilich ist diese Militärhoheit im Reich 
nicht gleichbedeutend mit der früheren Militär- 
hoheit Preußens, denn durch die Vorschriften über 
das Gesetzgebungs-, Verordnungs= und Etats- 
recht des Reiches ist ein Teil der Hoheitsrechte 
Preußens auf das Reich und deren Ausübung 
teilweise auf den Bundesrat übertragen worden; 
auch bedeutet die verfassungsmäßige Mitwirkung 
des aus dem allgemeinen Wahlrecht hervorge- 
gangenen Reichstages eine weitergehende Ein- 
schränkung als die Mitwirkung des aus den 
Klassenwahlen zusammengesetzten preußischen Ab- 
geordnetenhauses und des im wesentlichen durch 
landesherrliche Berufung gebildeten preußischen 
Herrenhauses. Dieselbe volle Militärhoheit steht 
grundsätzlich auch Bayern zu, jedoch nur für die 
Friedenszeit: „Das bayrische Heer bildet einen in 
sich geschlossenen Bestandteil des deutschen Bundes- 
heeres mit selbständiger Verwaltung unter der 
Militärhoheit des Königs von Bayern, im Krieg 
— und zwar mit Beginn der Mobilisierung — 
unter dem Befehl des Bundesfeldherrn“ (Bündnis- 
vertrag III, § 5, Abs. 3, Ziff. 3). Der König 
von Bayern vereinigt für die Friedenszeit in sich 
die Befugnisse, welche im übrigen Reichsgebiet 
zwischen Kaiser und Kontingentsherren geteilt sind; 
er ist aber nach dem Bündnisvertrag verpflichtet, 
diese Befugnisse nur so auszuüben, daß das bay- 
rische Heerwesen in „voller Ubereinstimmung mit 
dem Bundesheer“ geregelt und ausgebildet wird. 
Mit der Mobilmachung geht bezüglich derjenigen 
bayrischen Truppenteile, für welche die Kriegs- 
bereitschaft angeordnet ist, nur der kriegerische 
Oberbefehl, die Verfügung über die Truppen zu 
Kriegszwecken, auf den Kaiser über; die weiter- 
gehenden, in der Reichsverfassung vorgesehenen 
Befugnisse des Bundesfeldherrn finden auf die 
bayrischen Truppen auch im Krieg keine Anwen- 
dung; der Kaiser ist also auch im Krieg nicht be- 
fugt, z. B. bayrische Generale oder Festungskom-= 
mandanten zu ernennen. Die Entwicklung der 
militärischen Verhältnisse hat übrigens durch eine
	        
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