1151
konvention Preußens mit Braunschweig vom
9./18. März 1886. — Die Vereinbarungen mit
Bayern und Württemberg sind Bestand-
teile der Reichsverfassung geworden (s. Schluß-
bestimmungen zum Abschn. XI der Verfassung),
und ihre Bestimmungen können daher nur im
Wege der Reichsgesetzgebung und nur mit Zu-
stimmung Bayerns bzw. Württembergs geändert
oder aufgehoben werden (Reichsverfassung Art. 78,
Abs. 2). Zweifelhaft ist die rechtliche Bedeutung
der übrigen Militärkonventionen. Die sächsische
Militärkonvention kommt inhaltlich der württem-
bergischen Militärkonvention nahe, hat jedoch eine
Anerkennung und Gewährleistung in der Reichs-
verfassung nicht erhalten. Die übrigen Militär=
konventionen stellen sich nach ihrem wesentlichen
Inhalt dar als Staatsverträge, durch welche ein-
zelne Bundesstaaten die Ausübung der ihnen im
Rahmen der Reichsverfassung und ferneren Reichs-
gesetzgebung verbliebenen Militärhoheit auf den
preußischen Kontingentsherrn in mehr oder we-
niger großem Umfange übertragen und dafür die
Zusicherung einer Selbstbeschränkung des Kaisers
in der Ausübung der ihm verfassungsmäßig über
die betreffenden Truppen zustehenden Befugnisse,
namentlich hinsichtlich des Dislokationsrechts, er-
halten haben. Sie können jederzeit durch neue Ver-
einbarungen der Vertragschließenden abgeändert
oder aufgehoben werden; in den Militärkonven-
tionen mit den thüringischen Staaten, den beiden
Lippe, Schwarzburg-Sondershausen, Waldeck und
Braunschweig ist sogar die Zulässigkeit einseitiger
Kündigung der Konvention ausbedungen worden.
Die fortschreitende Reichsmilitärgesetzgebung hat
übrigens einen erheblichen Teil dieser Konventions=
bestimmungen beseitigt oder gegenstandslos ge-
macht. Diese staatsrechtlich überaus verwickelte
Rechtslage erklärt sich aus der Entstehung des
Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches
durch freie Verträge souveräner, gleichberechtigter
Staaten, welche eine Berücksichtigung und Auf-
rechterhaltung ihrer militärischen Hoheitsrechte for-
derten und in verschiedenen, je der politischen
Bedeutung des einzelnen Staates entsprechenden
Abstufungen durchsetzten.
II. Kontingente der Bundesstaaten. Die
Reichsverfassung spricht in Art. 59/64 und 66
von einem „deutschen Heer“, einem „Reichsheer“;
der Inhalt der Verfassungsbestimmungen zeigt
aber, daß die Reichsverfassung ein einheitliches
deutsches Reichsheer im Rechtssinne nicht geschaffen,
sondern sich damit begnügt hat, die Truppen der
einzelnen Bundesstaaten, die Kontingente,
zu einer technisch-militärischen Einheit zu verbin-
den. Die Einheitlichkeit der Militärgesetzgebung,
der Feststellung der Präsenzstärke und des Heeres-
etats sowie die dem Kaiser zustehenden Befugnisse
sichern die übereinstimmende Gliederung und die
gleichwertige Ausbildung der einzelnen Kontingente
für deren Zusammenfassung im Krieg unter dem
einheitlichen Oberbefehl des Kaisers. Während
Heerwesen.
1152
nach der Reichsverfassung alle Bundesstaaten „ihre
Kontingente“, „ihre eigenen Truppen“ (Art. 66)
haben, sind durch die Militärkonventionen alle
Kontingente bis auf vier zugunsten Preußens be-
seitigt. Die frühere Zersplitterung der deutschen
Truppen in zahlreiche kleine und kleinste Kon-
tingente hat damit aufgehört.
1. Es bestehen nur noch vier Kontingente: das
preußische, bayrische, sächsische und württembergi-
sche. Das preußische Kontingent umfaßt kraft
Reichsgesetzes vom 9. Juni 1871 § 3 auch die
Truppen aus Elsaß-Lothringen und auf Grund
der Militärkonventionen die Truppen aus den
mittleren und kleinen Bundesstaaten. Diese vier
Kontingente bilden besondere Armeen mit eigenen
Fahnen und Feldzeichen. Durch die Vereinigung
der Kontingentsherrlichkeit und des kaiserlichen
Amtes als Bundesfeldherrn ist für den preußischen
Landesherrn tatsächlich die volle Militärhoheit ge-
wahrt. Freilich ist diese Militärhoheit im Reich
nicht gleichbedeutend mit der früheren Militär-
hoheit Preußens, denn durch die Vorschriften über
das Gesetzgebungs-, Verordnungs= und Etats-
recht des Reiches ist ein Teil der Hoheitsrechte
Preußens auf das Reich und deren Ausübung
teilweise auf den Bundesrat übertragen worden;
auch bedeutet die verfassungsmäßige Mitwirkung
des aus dem allgemeinen Wahlrecht hervorge-
gangenen Reichstages eine weitergehende Ein-
schränkung als die Mitwirkung des aus den
Klassenwahlen zusammengesetzten preußischen Ab-
geordnetenhauses und des im wesentlichen durch
landesherrliche Berufung gebildeten preußischen
Herrenhauses. Dieselbe volle Militärhoheit steht
grundsätzlich auch Bayern zu, jedoch nur für die
Friedenszeit: „Das bayrische Heer bildet einen in
sich geschlossenen Bestandteil des deutschen Bundes-
heeres mit selbständiger Verwaltung unter der
Militärhoheit des Königs von Bayern, im Krieg
— und zwar mit Beginn der Mobilisierung —
unter dem Befehl des Bundesfeldherrn“ (Bündnis-
vertrag III, § 5, Abs. 3, Ziff. 3). Der König
von Bayern vereinigt für die Friedenszeit in sich
die Befugnisse, welche im übrigen Reichsgebiet
zwischen Kaiser und Kontingentsherren geteilt sind;
er ist aber nach dem Bündnisvertrag verpflichtet,
diese Befugnisse nur so auszuüben, daß das bay-
rische Heerwesen in „voller Ubereinstimmung mit
dem Bundesheer“ geregelt und ausgebildet wird.
Mit der Mobilmachung geht bezüglich derjenigen
bayrischen Truppenteile, für welche die Kriegs-
bereitschaft angeordnet ist, nur der kriegerische
Oberbefehl, die Verfügung über die Truppen zu
Kriegszwecken, auf den Kaiser über; die weiter-
gehenden, in der Reichsverfassung vorgesehenen
Befugnisse des Bundesfeldherrn finden auf die
bayrischen Truppen auch im Krieg keine Anwen-
dung; der Kaiser ist also auch im Krieg nicht be-
fugt, z. B. bayrische Generale oder Festungskom-=
mandanten zu ernennen. Die Entwicklung der
militärischen Verhältnisse hat übrigens durch eine