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lichen Gegensätze; sodann als Entzweiung des
Besondern und Allgemeinen im Verbrechen (der
zwecklosen Zerstörung, Diebstahl und Raub) und
der rächenden Gerechtigkeit (Mord und Rache,
Zweikampf und Krieg); endlich als absolute Sitt-
lichkeit durch vollkommene Ausgleichung des Be-
sondern und Allgemeinen im Staate, dessen De-
tail vielfach nach dem Muster des Platonischen
Idealstaates gezeichnet wird. Diese absolute Sitt-
lichkeit lebt sich aus im Volke, das in drei Stände
sich gliedert: den der Tapferkeit, der Rechtschaffen-
heit und der rohen Sittlichkeit, oder was dasselbe
ist, den der Freien, der Gewerbe= und Handel-
treibenden und der Ackerbautreibenden, und voll-
zieht sich in der Realisierung der allgemeinen
Zwecke (der Befriedigung und der gesellschaftlichen
Bedürfnisse, Handhabung der Gerechtigkeit und
der Erziehung) durch die Regierung.
Im übrigen sind die Jahre 180 2/03 in Hegels
Jenaer Periode die Zeit des literarischen Zusam-
menwirkens mit Schelling. Nur das Harmonische
beider kommt zum Ausdrucke, also nur die „Diffe-
renz des Fichteschen und des Schellingschen Sy-
stems", nicht die Differenz des Schellingschen und
Hegelschen. Es ist die Zeit des schellingianisierenden
Idealismus. Auch in dem Aussatz über „die wissen-
schaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts“,
1802/08 (Hegels Werke 1 323/4283), klingt ein
solcher Idealismus als Grundton durch. Unecht
ist die Behandlungsart des empirischen Natur-
rechts der vorkantischen Zeit, welches irgend eine
Seite des sittlichen Gesamtlebens aufgreift und
als das Wesentliche, alles andere aber als ein
Zufälliges, Willkürliches erklärt, also z. B. das
Chaos der einzelnen als den wesentlichen Natur-
stand und den Staat als zufälliges Produkt mensch-
lichen Willens oder göttlicher Anordnung, ohne
zur Idee der Sittlichkeit als Einheit all dieser
Momente zu kommen. Unecht ist auch die Be-
handlungsart des formalen Naturrechts eines Kant
und Fichte, welches ein leeres Prinzip der allge-
meinen Freiheit, Ichheit, an die Spitze stellt, den
Inhalt des Rechts und der Moralität anderweitig
aufgreift, ohne über eine zwischen beiden hin
und her schwebende negative Reflexion hinauszu-
gelangen. Echt ist nur die Behandlungsart des
Naturrechts der „absoluten Sittlichkeit“ als der
höheren und höchsten Wahrheit des empirischen
und formalen Naturrechts.
In der „Phänomenologie des Geistes“ (1807
hrsg.) ist der Bruch mit der Romantik, insbesondere
der Schellingschen erfolgt. Die absolute Identität,
in deren Dunkel „alle Kühe schwarz“ sind, die
intellektuelle Anschauung derselben, die nur ein
unerlernbares und unlehrbares Besitztum von In-
spirierten sein soll, die „Unmethode des Ahnens
und der Begeisterung“, die mit dem absoluten
Wissen jener Identität beginnt und nach der
mathematisierenden Schablone von + und —
aus ihr sodann alle Gegensätze herauskonstruieren
will, ist hier preisgegeben. Der ursprüngliche
Hegel.
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Idealismus wird nunmehr in förmlicher Weise
herausgekehrt, die absolute Identität als über-
greisende Subjektivität des Geistes hingestellt und
das Wissen aus einem intellektuell anschauenden
in ein logisch begriffliches umgesetzt, welches vom
sinnlichen Bewußtsein aus durch alle Stufen des
erscheinenden Geistes hindurch sich erzeugt und in
streng methodischer Weise zur Entfaltung bringen
will; das logische Wissen ist somit aus einem
negativ-vernünftigen, bloß dialektischen ein positiv-
vernünftiges oder metaphysisches Wissen geworden,
ja der Grundvoraussetzung des Systems gemäß
sogar ein schöpferisches, und der idealistische Pan-
theismus von vormals infolge hiervon ein logi-
scher. Die Phänomenologie ist die Darstellung
des Prozesses, durch welchen der absolute Geist
aus seinen mannigfaltigen Erscheinungen sich zum
Wissen seiner selbst emporringt, damit dessen Reich-
tum durch die Logik, Natur= und Geistesphilo-
sophie sodann seine weitere Auseinanderlegung
finde. Sie stellt die Entwicklungsgeschichte des
Einzelgeistes, des sittlichen Gemeingeistes und des
aus ihnen aufsteigenden absoluten Geistes dar, so
wie sich dieselbe damals in der Auffassung Hegels
abspiegelte. Die Lehre von der Sittlichkeit kommt
hier von einem völlig neuen Betrachtungsstand-
punkt aus zur Entwicklung, nämlich dem phäno-
menologischen (nicht wie bisher lediglich von dem
der Geistesphilosophie). Dieselbe hat die Lehre
vom Einzelgeiste in dessen verschiedenen Phasen
(sinnliches Bewußtsein, Selbstbewußtsein, Ver-
nunft) und die Lehre vom absoluten Geiste (Re-
ligion, Kunst, Philosophie) nunmehr aus sich
entlassen und in deren Mitte Platz genommen.
Ihre innere Gliederung ist (trotz der dialektischen
Notwendigkeit, kraft welcher ein Moment das
andere hervortreiben soll) abermals eine andere
geworden, als sie im früheren Systementwurf und
dann in dem Aussatz über die Behandlungsarten des
Naturrechts war. Ihre drei Momente sind nun-
mehr: der wahre Geist als substantielle Sittlich-
keit in Familie, Staat und Recht, der seiner selbst
entfremdete Geist, d. h. der Geist, sofern er der
substantiellen Sittlichkeit gegenübersteht, sie außer
sich hat als ein Jenseitiges im Kampfe des ein-
seitig reflektierenden Wissens mit dem Glauben,
und der seiner selbst gewisse Geist der Moralität
als Vermittlung beider. Nicht mehr das Ver-
brechen und nicht mehr das Recht erscheinen hier
als zweites Moment wie ehedem, sondern der
Bankrott des sittlichen Bewußtseins als Über-
gang von der unbewußten, substantiellen Sittlich-
keit zur subjektiv bewußten.
Die weiteren Schicksale der Hegelschen Lehre
von der Sittlichkeit hängen insbesondere von den
Anderungen ab, welche die Phänomenologie trafen.
Schon in den propädeutischen Vorlesungen von
1808/16 wurde sie eingeschränkt auf die Lehre
vom erscheinenden Bewußtsein des Einzelgeistes
(Werke XVIII 79/91), um von da aus unmittel-
bar in die Logik, Natur= und Geistesphilosophie,