1187
wird, aber doch ein besonderer Wille bleibt, so ist
er als solcher vom objektiv-allgemeinen Willen ver-
schieden und tritt in Willkür und Zufälligkeit der
Einsicht und des Wollens gegen das auf, was an
sich Recht ist, und wird so — Unrecht (Philos. des
Rechts 8 81).
Das Unrecht ist bloßer Schein des Rechts.
Ist dieser Schein nur an sich und nicht auch für
mich, gilt mir also das Unrecht als Recht im
subjektiven Bewußtsein, dann ist es unbefangenes
oder bürgerliches Unrecht und straflos, indem ich
hier nichts gegen das Recht gewollt habe. Ist
das Unrecht dagegen auch Schein für mich, indem
ich dasselbe als solches erkenne und nur dem andern
den Schein des Rechts vormache, dann wird es
zum Betruge. Werfe ich selbst den Schein des
Rechts auch hinweg gegenüber dem andern, dann
wird das Unrecht zum Verbrechen. Es ist eine
vom freien Willen ausgehende Verletzung des
Rechts, deren Nichtigkeit erwiesen wird durch
Wiederherstellung dieses Rechts in der — Strafe.
Es ist also eine Negation, aufgehoben durch
Negation, damit das Recht zu äußerer Mani-
festation gelange und nicht bloßes Sollen bleibe.
Es ist eine gegen das objektive Recht anstürmende
Gewalt, ein erster Zwang, aufgehoben durch einen
zweiten. Dieser zweite ist jedoch nicht wie der
erste eine bloß willkürliche Gewalt, nicht eine bloße
Gewalt, angedroht zur Verhütung des Verbrechens
oder zur Besserung im Sinne der Feuerbachschen
Abschreckungstheorie oder angewendet zur Zurück-
treibung desselben, gleich als ob der Mensch nur
ein schädliches Tier wäre, welches unschädlich zu
machen ist, und ebensowenig eine bloß individuelle,
persönliche, am Verbrecher geübte Rache, weil in
diesen beiden Fällen nur ein ins Endlose gehender
Progreß von Gewalt= und Rachehandlungen ent-
stände. Jener zweite Zwang, welcher die Strafe
ansmacht, ist vielmehr eine das verletzte Recht
wiederherstellende dialektische Notwendigkeit, die
aus ihrer Verneinung in sich zurückkehrende Idee
des Rechts und somit vergeltende Gerechtigkeit,
verschieden sich betätigend je nach der Art und
Weise der Rechtsverletzung, also selbst bis zur
Todesstrafe sich steigernd allüberall da, wo der
Verbrecher durch seine Tat, z. B. durch Mord,
diese herausgefordert hat (a. a. O. 8§ 82/103).
2. Im strengen Recht kommt es nicht darauf
an, was mein Grundsatz und meine Absicht sei.
Diese Frage tritt erst ein auf dem Standpunkte
der — Moralität. Der ungebildete Mensch
läßt sich von der Gewalt der Stärke und der
Natur alles auferlegen; die Kinder lassen sich von
ihren Eltern bestimmen, haben also noch keinen
moralischen Willen; doch der gebildete, innerlich
gewordene Mensch will, daß er selbst in allem sei,
was er tut. Der einzelne erscheint hier als in
sich reflektierter, subjektiver Wille, unterschieden
von dem objektiv allgemeinen Willen und mit der
Bestimmung, sich diesem letzteren zu identifizieren
und auf solche Weise die Idee der Sittlichkeit zu
Hegel.
1188
verwirklichen als höhere Einheit beider. Der
moralische Standpunkt ist somit der Standpunkt
des Sollens, der Forderung. Ihre Entwicklungs-
momente sind der Vorsatz und die Schuld, die
Absicht und das Wohl, das Gute und das Ge-
wissen (a. a. O. §§ 105/114). Jede Handlung
muß, um moralisch zu sein, zunächst mit meinem
Vorsatz übereinstimmen; denn es kann mir nur
zugerechnet werden, was in meinem Vorsatz lag.
Sofern der Vorsatz nicht bloß auf die einzelne
Tat geht, sondern auf all diejenigen Folgen, die
mit ihm in notwendigem Zusammenhang stehen
und somit als erfolgend vorausgesehen werden
können, wird er zur — Absicht (88 115/118).
Auf die Handlung geht diese Absicht jedoch
nur, sofern sie Mittel ist für das subjektive Wohl,
für die subjektive Befriedigung des einzelnen als
deren Beweggrund. Macht sich diese subjektive
Befriedigung zum letzten und einzigen Endzwecke
von allem, dann ist sie schlecht; geht sie dagegen
auf objektiv vernünftige Zwecke, ohne sie zu bloßen
Mitteln ihrer selbst herabzuwürdigen, dann ist sie
recht und nicht schlecht; denn es ist ein einseitiger
Verstandesstandpunkt, einen feindseligen Kampf
gegen die eigene Befriedigung mit Kant zur obersten
Forderung der Moralität zu machen, um mit
Abscheu zu tun, was die Pflicht gebeut. Die Ab-
sicht des eigenen Wohles vermag nur im Falle
der Not eine Verletzung des allgemeinen Rechts zu
rechtfertigen.
Die Einheit des objektiv allgemeinen Rechts
und des subjektiven Wohles ist das — Gute. Das
Recht ist nicht das Gute ohne das Wohl; das fiat
iustitia soll nicht das pereat mundus zur Folge
haben. Ebenso ist das Wohl nichts Gutes ohne
das Recht. Soll der subjektive Wille das Gute
realisieren, dann muß der einzelne das Gute und
und dessen Pflichtmäßigkeit erkennen, und zwar
bestimmt erkennen seinem Was nach, und durch
das Gewissen hierüber Entscheidung fällen. So
sehr indessen die Erkenntnis des Guten und seiner
Verpflichtung erforderlich ist zu dessen Betätigung,
so kann doch der Mangel einer solchen Erkenntnis
infolge von Verblendung, leidenschaftlicher Ge-
reiztheit, Trunkenheit usw. allüberall da, wo er
zu vermeiden gewesen wäre, die Zurechenbarkeit
nicht hemmen. Die Überzeugung von der Pflicht
führt über den leeren Formalismus des Kantischen
Sollens aber noch keineswegs hinaus; im ein-
zelnen entsteht immer die Frage: Was ist Pflicht?
Hierüber entscheidet das subjektive Gewissen. Wenn
letzteres das, was an und für sich gut ist, ergreift,
ist es ein wahrhaftes Gewissen; sofern es alle Be-
stimmtheiten des Rechts und der Pflicht verflüch-
tigt, ist es ein böses Gewissen und erzeugt die
Willkür des Bösen.
3. Die Sittlichkeit als höhere Einheit der ob-
jektiven Rechtlichkeit und subjektiven Moralität
kommt zur Erscheinung in Familie, bürgerlicher
Gesellschaft und Sraat. Die Familie wird kon-
stituiert durch die Ehe. Die Ehe ist dahin zu be-