Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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wird, aber doch ein besonderer Wille bleibt, so ist 
er als solcher vom objektiv-allgemeinen Willen ver- 
schieden und tritt in Willkür und Zufälligkeit der 
Einsicht und des Wollens gegen das auf, was an 
sich Recht ist, und wird so — Unrecht (Philos. des 
Rechts 8 81). 
Das Unrecht ist bloßer Schein des Rechts. 
Ist dieser Schein nur an sich und nicht auch für 
mich, gilt mir also das Unrecht als Recht im 
subjektiven Bewußtsein, dann ist es unbefangenes 
oder bürgerliches Unrecht und straflos, indem ich 
hier nichts gegen das Recht gewollt habe. Ist 
das Unrecht dagegen auch Schein für mich, indem 
ich dasselbe als solches erkenne und nur dem andern 
den Schein des Rechts vormache, dann wird es 
zum Betruge. Werfe ich selbst den Schein des 
Rechts auch hinweg gegenüber dem andern, dann 
wird das Unrecht zum Verbrechen. Es ist eine 
vom freien Willen ausgehende Verletzung des 
Rechts, deren Nichtigkeit erwiesen wird durch 
Wiederherstellung dieses Rechts in der — Strafe. 
Es ist also eine Negation, aufgehoben durch 
Negation, damit das Recht zu äußerer Mani- 
festation gelange und nicht bloßes Sollen bleibe. 
Es ist eine gegen das objektive Recht anstürmende 
Gewalt, ein erster Zwang, aufgehoben durch einen 
zweiten. Dieser zweite ist jedoch nicht wie der 
erste eine bloß willkürliche Gewalt, nicht eine bloße 
Gewalt, angedroht zur Verhütung des Verbrechens 
oder zur Besserung im Sinne der Feuerbachschen 
Abschreckungstheorie oder angewendet zur Zurück- 
treibung desselben, gleich als ob der Mensch nur 
ein schädliches Tier wäre, welches unschädlich zu 
machen ist, und ebensowenig eine bloß individuelle, 
persönliche, am Verbrecher geübte Rache, weil in 
diesen beiden Fällen nur ein ins Endlose gehender 
Progreß von Gewalt= und Rachehandlungen ent- 
stände. Jener zweite Zwang, welcher die Strafe 
ansmacht, ist vielmehr eine das verletzte Recht 
wiederherstellende dialektische Notwendigkeit, die 
aus ihrer Verneinung in sich zurückkehrende Idee 
des Rechts und somit vergeltende Gerechtigkeit, 
verschieden sich betätigend je nach der Art und 
Weise der Rechtsverletzung, also selbst bis zur 
Todesstrafe sich steigernd allüberall da, wo der 
Verbrecher durch seine Tat, z. B. durch Mord, 
diese herausgefordert hat (a. a. O. 8§ 82/103). 
2. Im strengen Recht kommt es nicht darauf 
an, was mein Grundsatz und meine Absicht sei. 
Diese Frage tritt erst ein auf dem Standpunkte 
der — Moralität. Der ungebildete Mensch 
läßt sich von der Gewalt der Stärke und der 
Natur alles auferlegen; die Kinder lassen sich von 
ihren Eltern bestimmen, haben also noch keinen 
moralischen Willen; doch der gebildete, innerlich 
gewordene Mensch will, daß er selbst in allem sei, 
was er tut. Der einzelne erscheint hier als in 
sich reflektierter, subjektiver Wille, unterschieden 
von dem objektiv allgemeinen Willen und mit der 
Bestimmung, sich diesem letzteren zu identifizieren 
und auf solche Weise die Idee der Sittlichkeit zu 
Hegel. 
  
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verwirklichen als höhere Einheit beider. Der 
moralische Standpunkt ist somit der Standpunkt 
des Sollens, der Forderung. Ihre Entwicklungs- 
momente sind der Vorsatz und die Schuld, die 
Absicht und das Wohl, das Gute und das Ge- 
wissen (a. a. O. §§ 105/114). Jede Handlung 
muß, um moralisch zu sein, zunächst mit meinem 
Vorsatz übereinstimmen; denn es kann mir nur 
zugerechnet werden, was in meinem Vorsatz lag. 
Sofern der Vorsatz nicht bloß auf die einzelne 
Tat geht, sondern auf all diejenigen Folgen, die 
mit ihm in notwendigem Zusammenhang stehen 
und somit als erfolgend vorausgesehen werden 
können, wird er zur — Absicht (88 115/118). 
Auf die Handlung geht diese Absicht jedoch 
nur, sofern sie Mittel ist für das subjektive Wohl, 
für die subjektive Befriedigung des einzelnen als 
deren Beweggrund. Macht sich diese subjektive 
Befriedigung zum letzten und einzigen Endzwecke 
von allem, dann ist sie schlecht; geht sie dagegen 
auf objektiv vernünftige Zwecke, ohne sie zu bloßen 
Mitteln ihrer selbst herabzuwürdigen, dann ist sie 
recht und nicht schlecht; denn es ist ein einseitiger 
Verstandesstandpunkt, einen feindseligen Kampf 
gegen die eigene Befriedigung mit Kant zur obersten 
Forderung der Moralität zu machen, um mit 
Abscheu zu tun, was die Pflicht gebeut. Die Ab- 
sicht des eigenen Wohles vermag nur im Falle 
der Not eine Verletzung des allgemeinen Rechts zu 
rechtfertigen. 
Die Einheit des objektiv allgemeinen Rechts 
und des subjektiven Wohles ist das — Gute. Das 
Recht ist nicht das Gute ohne das Wohl; das fiat 
iustitia soll nicht das pereat mundus zur Folge 
haben. Ebenso ist das Wohl nichts Gutes ohne 
das Recht. Soll der subjektive Wille das Gute 
realisieren, dann muß der einzelne das Gute und 
und dessen Pflichtmäßigkeit erkennen, und zwar 
bestimmt erkennen seinem Was nach, und durch 
das Gewissen hierüber Entscheidung fällen. So 
sehr indessen die Erkenntnis des Guten und seiner 
Verpflichtung erforderlich ist zu dessen Betätigung, 
so kann doch der Mangel einer solchen Erkenntnis 
infolge von Verblendung, leidenschaftlicher Ge- 
reiztheit, Trunkenheit usw. allüberall da, wo er 
zu vermeiden gewesen wäre, die Zurechenbarkeit 
nicht hemmen. Die Überzeugung von der Pflicht 
führt über den leeren Formalismus des Kantischen 
Sollens aber noch keineswegs hinaus; im ein- 
zelnen entsteht immer die Frage: Was ist Pflicht? 
Hierüber entscheidet das subjektive Gewissen. Wenn 
letzteres das, was an und für sich gut ist, ergreift, 
ist es ein wahrhaftes Gewissen; sofern es alle Be- 
stimmtheiten des Rechts und der Pflicht verflüch- 
tigt, ist es ein böses Gewissen und erzeugt die 
Willkür des Bösen. 
3. Die Sittlichkeit als höhere Einheit der ob- 
jektiven Rechtlichkeit und subjektiven Moralität 
kommt zur Erscheinung in Familie, bürgerlicher 
Gesellschaft und Sraat. Die Familie wird kon- 
stituiert durch die Ehe. Die Ehe ist dahin zu be-
	        
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