Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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stimmen, daß sie „die rechtlich-sittliche Liebe ist, 
wodurch das Vergängliche, Launenhafte und bloß 
Subjektive derselben aus ihr verschwindet" (Philos. 
des Rechts § 161). An sich ist sie unlöslich. Da 
sie jedoch ein Moment der Empfindung enthält, 
hat sie die Möglichkeit der Auflösung in sich, möge 
die scheidende Autorität „die Kirche oder das Ge- 
richt“ sein; die Gesetzgebungen müssen deren Auf- 
lösung aber aufs höchste erschweren und das Recht 
der Sittlichkeit gegen das Belieben aufrecht erhalten 
(#. a. O. 88 163, 176). Sie ist ihrem Wesen nach 
monogamisch, weil sie nur aus der „gegenseitigen, 
ungeteilten Hingebung“ der in sie eintretenden 
Persönlichkeiten hervorgeht (a. a. O. § 167). 
Ihre äußere Realität hat die Familie im Eigen- 
tum, welches seiner Natur nach Gemeineigentum 
ist. Die Kinder haben das Recht, aus diesem 
Gemeineigentum ernährt und durch Brechung des 
natürlichen Eigenwillens und Herausbildung der 
geistig freien Persönlichkeit erzogen zu werden. 
Das Erbrecht (s. d. Art.) hat seinen Grund in 
diesem Gemeineigentum und nicht in dem Umstand, 
daß durch den Tod dieses Vermögen herrenloses 
Gut wird, und nicht in der Willkür des Testators, 
die in nicht zu rechtfertigender Härte vom römischen 
Recht zum Prinzip der Erbfolge gemacht wurde. 
Diese Willkür kann nur eingeräumt werden, wenn 
das Familienverhältnis entfernter und unwirk- 
samer geworden ist, kann aber nicht eingeräumt 
werden, um den Glanz einer Familie durch Sub- 
stitutionen und Fideikommisse zu erhalten und die 
Gleichheit des Erbrechts zu schädigen (a. a. O. 
8§8 178/1800. 
Die Familien und die aus ihr abgelösten und 
selbständig gewordenen Glieder, die wieder zu 
neuen Familien zusammentreten können, bilden im 
wogenden und wechselnden Kampfe ihrer Inter- 
essen die bürgerliche Gesellschaft. Sie ist der 
„Kampfplatz desindividuellen Privatinteresses aller 
gegen alle“, zusammengehalten durch die Wechsel- 
seitigkeit dieses Interesses, also eine Art „Not= und 
Verstandesstaat“, und enthält drei Momente: zu- 
erst die Befriedigung des einzelnen durch seine 
Arbeit und durch diese Arbeit die Befriedigung 
der Bedürfnisse aller übrigen, insbesondere mittels 
der Gliederung in Stände und der freien Wahl 
eines bestimmten Standes (Ackerbau, Gewerbe- 
stand, allgemeiner Stand), ferner den Schutz des 
erworbenen Vermögens durch die Rechtspflege und 
endlich die Besorgung und Förderung der beson- 
dern Interessen durch Polizei und gewerbliche Ge- 
nossenschaften (a. a. O. §§ 182/256, 289). 
Die Einzelheiten, deren jede in der bürgerlichen 
Gesellschaft Selbstzweck ist und zugleich Mittel für 
die andern, heben sich dialektisch auf zu Momenten 
einer höheren Allgemeinheit, welche da ist der 
Staat als die „Wirklichkeit der sittlichen Idee, 
der sittliche Geist, der offenbare, sich selbst deut- 
liche, substantielle Wille, der sich denkt und weiß 
und das, was er weiß und insofern er es weiß, 
vollführt“ (a. a. O. § 257). Er ist das an und 
  
Hegel. 
  
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für sich Vernünftige, also seinem Wesen nach (ab- 
gesehen vom historischen Ursprung der einzelnen 
Staaten) nicht aus willkürlichem Vertrag ent- 
standen im Sinne Rousseaus und Fichtes, nicht 
aus bloß äußerer Macht eines einzelnen im Sinne 
Halers er ist seiner Idee nach „der wirkliche 
ott“, „ein Abbild der ewigen Vernunft“, ein 
„ irdisch Göttliches“, der „göttliche Wille als gegen- 
wärtiger, sich zur wirklichen Gestalt und Organi- 
sation einer Welt entfaltender Geist“, „sich wissende 
sittliche Wirklichkeit des Geistes“, „selbstbewußte 
Vernünftigkeit und Sittlichkeit“ (a. a. O. 8§ 258, 
270,. 272). 
Die Achtung vor dem Staate erlangt man 
„freilich am besten durch die philosophische Ein- 
sicht in das Wesen desselben; aber es kann in Er- 
manglung dieser auch die religiöse Gesinnung 
dahin führen“. So kann der Staat der Religion 
als Grundlage bedürfen, damit Gesetze wie Pflichten 
als göttlicher Wille erscheinen und dadurch „für 
das Bewußtsein die höchste Bewährung und die 
höchste Verbindlichkeit erlangen“. Es liegt des- 
halb „in der Natur der Sache, daß der Staat eine 
Pflicht erfüllt, der Gemeinde für ihren religiösen 
Zweck allen Vorschub zu tun und Schutz zu ge- 
währen, ja, indem die Religion das ihn für das 
Tiefste der Gesinnung integrierende Moment ist, 
von allen seinen Angehörigen zu fordern, daß sie 
sich zu einer Kirchengemeinde halten — übrigens 
zu irgend einer, denn auf den Inhalt, insofern er 
sich auf das Innere der Vorstellung bezieht, kann 
sich der Staat nicht einlassen“. 
Dessenungeachtet sind Religion und Kirche in 
doppelter Weise dem Staate untergeordnet: erstens 
insofern als sie das „Verhältnis zum Absoluten 
in Form des Gefühls, der Vorstellung, des Glau- 
bens“ auffassen; aber „gegen ihren Glauben und 
ihre Autorität über das Sittliche, Recht, Gesetze, 
Institutionen, gegen ihre subjektive Uberzeugung 
ist der Staat vielmehr das Wissende; in seinem 
Prinzip bleibt wesentlich der Inhalt nicht in der 
Form des Gefühls und des Glaubens stehen, son- 
dern gehört dem bestimmten Gedanken an“. Zum 
zweiten sind Religion und Kirche dem Staate auch 
insoweit untergeordnet, als sie in Lehre, Kultus 
und äußerer Organisation „aus dem Innern in das 
Weltliche und damit in das Gebiet des Staates“ 
heraustreten, welchem das Recht zusteht, sich als 
selbstbewußte, objektive Vernünftigkeit geltend zu 
machen „gegen Behauptungen, die aus der sub- 
jektiven Gestalt der Wahrheit entspringen, mit 
welcher Versicherung und Autorität sie sich auch 
umgeben“, infolgedessen auch das Recht, eine 
„polizeiliche Oberaufsicht“ in dieser Richtung aus- 
zuüben. Die konfessionelle Trennung der verschie- 
denen Kirchen ist für den Staat nicht, wie man 
vielfach meinte, ein Unglück, sondern ein Glück, 
weil sie ihm zum Bewußtsein seiner Hoheit über 
die besondern Kirchen und zur Betätigung der- 
selben verholfen hat (d. a. O. § 270). „In der 
katholischen Kirche kann das Gewissen sehr wohl 
38“
	        
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