Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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tun müssen“ —, obwohl anzuerkennen ist, daß 
die Einsicht der höchsten Staatsbeamten durch die 
Abgeordneten einen Zuwachs erfahren könne 
„vornehmlich in das Treiben der den Augen der 
höheren Stellen fernerstehenden Beamten und 
insbesondere in dringendere und speziellere Be- 
dürfnisse und Mängel, die sie (die Abgeordneten) 
in konkreter Anschauung vor sich haben, teils aber 
in derjenigen Wirkung, welche die zu erwartende 
Zensur vieler, und zwar eine öffentliche Zensur, 
mit sich führt". Eine Gewährleistung für das 
allgemeine Beste liegt auch nicht in dem guten 
Willen der Stände, indem sie nur zu sehr ihre 
Wirksamkeit für die Privatinteressen der von ihnen 
vertretenen Sphären auf Kosten des allgemeinen 
Interesses zu gebrauchen geneigt sind. Die Not- 
wendigkeit von Ständeversammlungen im ent- 
wickelten Staate liegt vielmehr darin begründet, 
daß die „formelle Freiheit“ der vielen (nämlich der 
politisch Mündigen) zum vollen Ausdruck komme 
(a. a. O. 8§ 300/301). Soll sie zum vollen Aus- 
druck kommen, so müssen die Ständeversamm- 
lungen in zwei Kammern geteilt sein. Die erste 
Kammer faßt in sich die gebildeten Gutsbesitzer, 
die, auf unveräußerliche, mit dem Majorate be- 
lastete Erbgüter sich stützend, wie von der Gunst 
der Regierungsgewalt, so von der Gunst der 
Menge unabhängig sind und nicht durch Zufällig- 
keit der Wahl, sondern durch die Geburt zu einer 
solchen politischen Tätigkeit berufen und berechtigt 
sind. Die zweite Kammer befaßt in sich die dem 
Bauern-, Gewerbe= oder Handelsstande ange- 
hörigen beweglichen Elemente der bürgerlichen 
Gesellschaft, die äußerlich wegen der Menge ihrer 
Glieder, wesentlich aber wegen der Natur ihrer 
Bestimmung und Beschäftigung nur durch Ab- 
geordnete, die kraft ihrer Gesinnung und ihrer in 
der Führung von „obrigkeitlichen und Staats- 
ämtern“ erworbenen Kenntnisse hierzu geeignet 
sind, diese Tätigkeit ausüben kann und nicht als 
eine aus Atomen bestehende Masse, sondern als 
eine in die ohnehin konstituierten Genossenschaften 
und Gemeinden gegliederte Gesamtheit ihre Ab- 
geordneten entsendet. 
Das äußere Staatsrecht geht von dem Ver- 
hältnis selbständiger Staaten aus; das an und 
für sich Vernünftige erscheint hier lediglich als 
Sollen, indem keine über ihnen stehende Gewalt 
vorhanden ist, welche die Entscheidung gäbe, was 
an sich recht ist, und diese Entscheidung vollzöge. 
Die Abschließung völkerrechtlicher Verträge und 
ihre Auslegung bleibt immer Sache der souveränen 
Einzelstaaten und ihr Wohl das höchste Gesetz im 
Verhalten zu andern, worauf selbst das „Gelten 
der Traktate“ beruht; die Kantische Vorstellung 
eines ewigen Friedens durch einen Staatenbund, 
welcher jeden Streit schlichtete und als eine von 
jedem Einzelstaate anerkannte Macht jede Miß- 
helligkeit beilegte und damit die Entscheidung 
durch Krieg unmöglich machte, setzt die Einstim- 
mung der souveränen Staaten voraus und ist 
Hegel. 
  
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dadurch mit Zufälligkeit behaftet. Es ist hier 
„kein Prätor vorhanden, der da schlichtet; der 
höhere Prätor ist allein der allgemeine, an und 
für sich seiende Geist, der Weltgeist". Die 
staatenbildenden und selbst die hegemonisch ge- 
wordenen Volksgeister sind nur endliche, ver- 
gängliche Geister, an welchen der Weltgeist in der 
Weltgeschichte als Weltgericht sein Recht ausübt; 
sie stehen um dessen Thron als „Vollbringer seiner 
Verwirklichung und als Zeugen und Zieraten seiner 
Herrlichkeit“ (a. a. O. 8§§ 330/340, 352). 
Die 2. und 3. Auflage der „Enzyklopädie“ von 
1827 und 1830 beweisen, daß Hegel, der noch 
1821 seinem Idealstaate manche freiheitliche Züge 
beigemischt hatte, in den die deutschen Regierungen 
beherrschenden Restaurationsgedanken mehr und 
mehr sich befestigte. Die Feudalmonarchie galt ihm 
daselbst nunmehr als konstitutionelle Monarchie; 
nicht der unveränderliche Teil, nur der geringe ver- 
änderliche Teil der Ausgaben kann der jährlichen 
Bestimmung der Stände unterworfen werden, 
welche „fälschlich den hochklingenden Namen der 
Bewilligung des Budgets“ führt (Enzyklopädie 
§* 544). Die Schwurgerichte werden nunmehr 
verworfen, weil die Geschworenen nur mit subjek- 
tiver, sog. moralischer Uberzeugung über den Tat- 
bestand urteilen aus äußeren Umständen und Zeug- 
nissen ohne Eingeständnis des Beklagten, also 
nur mit „unvollständiger Gewißheit“ ihr Ver- 
dikt fällen, was an barbarische Zeiten erinnert (ebd. 
§* 531). Noch weiter ging Hegel in seiner der 
Preußischen Staatszeitung einverleibten „Kritik 
der englischen Reformbill“, 1831 (Werke XVII 
425/473). Er gießt hier die Schale seines Zornes 
und Tadels nicht bloß aus über verschiedene 
Schattenseiten englischer Zustände, insbesondere 
den Pomp und Lärm der formellen Freiheit im 
Parlamente, die überreiche Geschwätzigkeit der 
Parlamentsreden, die Bestechlichkeit bei Wahlen, 
die Majoratsrechte und Gewaltsamkeit der Guts- 
herren, den Druck der Zehnt= und Jagdrechte, 
den weitschichtigen Wust des englischen Privat- 
rechts, das Pfründenunwesen der anglikanischen 
Kirche, die Beraubung und Mißhandlung Irlands; 
er setzt auch das englische Verfassungsleben über 
Gebühr herab, um eine Folie zu gewinnen für 
die Verherrlichung der ins günstigste Licht ge- 
stellten Rechtsinstitutionen Deutschlands und ins- 
sondere Preußens. 
4. Die Hegelschule bewegte sich in der vom 
Meister eingeschlagenen Bahn, bis der in Bezug 
auf religiöse Fragen eingetretene Zwiespalt sich 
auch in politischer Hinsicht geltend machte, indem 
die einen die vernünftige Wirklichkeit bereits für 
fast erreicht hielten, die andern als erst zu er- 
reichende hinstellten, die dritten endlich so oder 
anders vermittelnd dazwischen traten. Einer mehr 
oder minder konservativen Richtung im Sinne 
des Meisters folgten schon vor dessen Tode oder 
später E. Gans, welcher u. a. „Das Erbrecht in 
weltgeschichtlicher Entwicklung“ (4 Bde, 1824/35) 
 
	        
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