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mit den verschiedenen Eigenschaften der Frauen
und Kinder, die gegenseitig sich als Rivalen hassen
und beneiden lernen. Um die Streitigkeiten zu
verhüten, wenden die einzelnen Stämme die ver-
schiedensten Mittel an. So verteilen nach dem
Berichte Dobrizhoffers die Abiponen ihre Frauen
auf verschiedene, weit voneinander entfernte Woh-
nungen. Bei den Kaffern haben die einzelnen
Frauen jede ihre eigene Haushaltung (Ratzel).
Die Betschuanas trennen die Hütten der Weiber
noch durch besondere Querhecken (Fritsch). Einer
Einführung der Polygamie durch die Mormonen
haben sich die Amerikaner aufs schärfste widersetzt.
Von den neueren Philosophen redete ihr nur
Schopenhauer das Wort als der naturgemäßeren
Art der Geschlechtsgemeinschaft. Aber ihn leitete
dabei nur die Mißachtung des weiblichen Ge-
schlechts, die ja allerdings in der Polygamie zum
klarsten Ausdruck kommt.
Die Monogamie, die als das naturgemäßeste
eheliche Verhältnis vom Christentum vertreten und
durchgeführt wird, entspricht allein einer gedeih-
lichen Entwicklung der Familie. Es ist mindestens
mißverständlich, wenn Gothein schreibt: Die Mo-
nogamie „ist nicht, wie bei vielen Tiergattungen,
eine ursprüngliche Anlage des Menschen, sondern
eine Errungenschaft der Kultur“. Der Mensch hat
es natürlich vielfach in seiner Gewalt, bewußter-
weise die Form der Einehe zu brechen. Aber das
ist noch kein Beweis dafür, daß die Einehe keine
Anlage für die menschliche Natur sei. Das Ge-
deihen der Familie und der Kultur überhaupt
hängt vielmehr in weitestgehendem Maß von der
Einehe ab. Und das zeigt doch zur Genüge, wie
tief sie in der menschlichen Natur begründet ist.
Die Reihenfolge der Formen der Familie aus
dem wirtschaftlichen Zustand der Stämme und
Völker zu erklären, wie es neuerdings Große in
außerordentlich feiner Weise versucht hat, dürfte
deshalb nicht zum Ziele führen, weil außer der
Wirtschaft noch viele andere Faktoren die Formen
der Familie bestimmen. Gewiß hat auf sie die
wirtschaftliche Verfassung einen großen Einfluß,
wie das Vorkommen der Vielmännerei gewöhnlich
große Armut und Dürftigkeit voraussetzt, während
Vielweiberei nur bei einem gewissen Grad von
Luxus möglich ist. Wir können beobachten, wie
mitten unter uns die Wohnungsnot oder die Ar-
beitsbedingungen die Familien beeinflußt. Aber
dann können wir auf wirtschaftlich ganz verschie-
denen Stufen auch wieder dieselbe Familienform
finden. Außerdem haben im Lauf der Geschichte
gerade die religiösen Gedanken die größte Um-
gestaltungskraft der Familienform bewiesen. Bei-
spiele sind das Christentum, der Mohammedanis-
mus, der Ahnenkult der ostasiatischen Völker. Nach
dem Stand der Forschung gilt heute wiederum die
monogame patriarchalische Familienverfassung als
die ursprüngliche, aus der sich dann die andern
Formen durch die verschiedensten Einflüsse heraus-
gebildet haben.
Familie.
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Für unsere Verhältnisse ist besonders wichtig
die Geschichte des römischen und des deutschen
Familienrechts. Das römische Familienrecht cha-
rakterisiert sich durch das starke, einseitige Hervor-
treten der patria potestas. Diese schloß ursprüng-
lich ein das Recht der freien Verfügung des Vaters
auch durch Verkauf und Tötung sowohl über die
eigenen Kinder als auch über die Kinder seiner
Söhne, sofern diese noch nicht davon frei waren.
Über die Ehefrau gewährte die patria potestas
ein Eigentumsrecht gleich dem über die üllia fa-
milias, also dasselbe Recht, wie es der Vater über
die unter seiner Gewalt stehende Tochter hatte.
Die Rechte der Mutter an den Kindern waren
vollständig unterdrückt. Der Träger der patria.
potestas war nach dem Tode des Vaters daher
nicht die Mutter, sondern der nächste Agnat oder
ein besonders bestellter Vormund, ohne dessen Zu-
stimmung sie nicht einmal ein Testament machen
konnte. Nur die Frauen, die eine Mitgift mit-
brachten, hatten hierin etwas mehr Recht. Ihre
Mitgift mußte im Fall der Trennung der Ehe an
sie oder ihre Erben zurückfallen. Die vermögens-
rechtliche Persönlichkeit der Frau und der Kinder
ging während der Dauer der Ehe und der Vater-
gewalt ganz in der des Mannes und des Vaters
auf. Alles Vermögen der Frau fiel unter das
Dominium des Mannes; aller Erwerb der Kin-
der, welcher Art nur immer, gehörte dem Vater.
Eine Befreiung aus der Vatergewalt erfolgte für
die Kinder durch Emanzipation von seiten des
Vaters oder durch ihre Verheiratung mit seiner
ausdrücklichen Einwilligung oder nach dreimaligem
Verkauf.
Während ursprünglich das römische Familien-
leben durch seine Einfachheit und Sittenstrenge
verhältnismäßig hoch stand, wirkte die wachsende
Sittenlosigkeit der Kaiserzeit rasch zerstörend ge-
rade auf die Familie. Der infolgedessen über-
handnehmenden Abnahme der Bevölkerung suchte
der römische Staat durch die beiden Gesetze Lex
Lulia Poppaea und Lex Papia Poppaea (4 und
9n. Chr.) abzuhelfsen. Die Ehelosigkeit wurde ver-
boten, die Unfruchtbarkeit der Ehen mit Strafen
belegt, die Fruchtbarkeit dagegen belohnt. Die
Mutter von drei Kindern, die von freien Eltern
stammten, wurde von der Vormundschaft befreit,
ebenso die freigelassene Mutter, die vier Kinder
geboren hatte. Vermögensrechtlich trat ebenfalls in
dieser Zeit für die Söhne eine Erleichterung gegen-
über dem alten Recht ein. Während es bisher kein
eigenes Vermögen der Kinder gab, sondern der
Vater nur ein ihm eigenes Gut den Söhnen zur
selbständigen Verwaltung nach Gutdünken über-
ließ (peculium profectitium), konnte jetzt alles,
was der Sohn in seiner Eigenschaft als Soldat
erwarb, sein freies Eigentum werden (peculium
castrense). Dadurch sollte die verweichlichte
Jugend wieder zum Kriegsdienst angetrieben wer-
den. Über die bona castrensia durften die Söhne
auch letztwillig verfügen in der Art. daß sie den