Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit, Sanftmut, versöhn- 
lichen Sinn, Demut, Geduld beobachten, und als 
Fleiß wird bezeichnet der kluge, beständige und 
nützliche Gebrauch aller Eigenschaften, die ein 
Mensch besitzt, um sein eigenes und seines Nächsten 
Wohlergehen zu fördern. Großen Wert legt die 
Heilsarmee auf eine genaue Statistik des Sozial= 
werkes, indem man die Ansicht vertritt, daß in der 
Statistik eine wirksame Apologie der Einrichtung 
liegt nach dem Satze: An ihren Früchten werdet 
ihr sie erkennen. In Deutschland, wo die Heils- 
armee seit dem Jahre 1884 Eingang gefunden hat, 
besaß sie im Jahre 1908 im ganzen 29 soziale 
Anstalten, nämlich 7 Rettungsheime für gefallene 
Mädchen, 1 Wöchnerinnenheim, 2 Kinderkrippen, 
10 Männerheime für Arbeits= und Obdachlose, 
Trunkenbolde und entlassene Sträflinge, 1 Ge- 
fängnismission, 1 Logier- und Speisehaus für 
alleinstehende Arbeiterinnen, 7 Samariterstationen 
für Krankenpflege. In Berlin besteht unter dem 
Namen „Kadettenschule“ auch eine Ausbildungs- 
anstalt für berufsmäßige Helfer im Dienste der 
Heilsarmee. Im Jahre 1909 nimmt Booth nach 
Zeitungsberichten die Gründung einer Hochschule 
ebenfalls in die Hand. 
Die religiös-militärische Organisation der 
Heilsarmee stellt im letzten Grunde ein undogma- 
tisches Christentum für ethische Kultur dar. Trotz 
der straffen Organisation handelt es sich um voll- 
kommenen religiösen Individualismus. Da auch 
die Taufe verworfen wird, haben diejenigen nicht 
unrecht, welche der Heilsarmee jeden christlichen 
Charakter absprechen. Von den sämtlichen Sakra-ä 
menten hat die Heilsarmee nur eine Nachahmung 
der Beichte beibehalten, aber auch diese Einrich- 
tung wie auch ihre Eheschließung entbehren jeg- 
lichen Charakters eines Sakramentes. Vom Stand- 
punkte der katholischen Dogmatik ist die Einrich- 
tung mit der Verschwommenheit des religiösen 
Gedankens natürlich vollkommen zu verwerfen. 
Anerkennung verdient ihre praktisch-soziale Arbeit. 
Literatur. A. Deutsche Originalschriften der 
H. 1) von General Booth: Lehren der H.; Frage 
u. Antwort über die H.; Wegweiser; Regeln u. Ver- 
ordnungen für Soldaten der H.; Regeln u. Ver- 
ordnungen für Lokaloffiziere. 2) Von der Generalin 
Katharina Booth: Aggressives Christentum; Frucht 
der Vereinigung mit Christus; Heiligung; Gewiß- 
heit des Heiles; Reines Evangelium. 3) Vom Kom- 
mandanten Oliphant: Salutismus; Prakt. Winke 
für Seelenretter; Leben von Kath. Booth; „Meine 
Unterhaltung in einem Eisenbahnwagen u. was 
daraus wurde“. 4) Die Zeitschrift „Der Kriegsruf". 
Sämtliche Originalschriften sind zu beziehen vom 
Hauptquartier der H. in Berlin. — B. Bearbei- 
tungen der Geschichte u. Tendenzen der H. bieten: 
Kolde, Gesch. u. Wesen der H. (1899); Colze, H. 
u. ihre soziale Arbeit (1905); Hilty, Der beste 
Weg; Pfeiffers Artikel in der „Bayrischen Chari- 
tas“ 1906 u. Lieses Artikel in der „Sozialen Kul- 
tur“ 1906, sowie eine Abhandlung in der „Leip- 
ziger Illustrierten Zeitung“ vom 3. Dez. 1908; 
Friedrichs, Entwicklung, Organisation u. Methode 
Heimat usfw. 
  
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der H. (1908); Gerhard, Religiöser Charakter der 
H. (Diff., 1906). LFaßbender.)] 
Heimat und Heimatsrecht. I. Das 
Leben des einzelnen Menschen ist nicht zu denken 
ohne Beziehung zu einer bestimmten Ortlichkeit, 
wo er sich aufhält und seinen Lebensunterhalt er- 
wirbt. An diese Ortlichkeit knüpfen ihn nicht nur 
ethische Gefühle, sondern, von Ausnahmen ab- 
gesehen, auch rechtliche Beziehungen. Diese Ort- 
lichkeit nennt er seine Heimat. Das in erster 
Linie Natürliche und Regelmäßige ist, daß der 
Mensch dort lebt, wo ¾! geboren ist, so daß die 
Heimat mit dem Geburtsort zusammensällt. In 
unsern hochentwickelten Verhältnissen, namentlich 
in stark bevölkerten Gegenden, bietet jedoch oft 
diese ursprüngliche Heimat keinen Raum für das 
neu heranwachsende Geschlecht. Ein Teil der Orts- 
eingebornen ist gezwungen, an einen andern Ort 
oder in ein anderes Land zu ziehen, um sich dort 
eine neue Heimat zu suchen. Auch andere Gründe 
vielfacher Art veranlassen die Menschen zum Auf- 
geben der alten Heimat, um in einer neuen Heimat 
Befriedigung ihrer Bedürfnisse und Wünsche zu 
suchen, welche der Geburtsort nicht bietet. Der 
Erwerb einer neuen Heimat geschieht regelmäßig 
auf Grund des Rechts der Freizügigkeit (s. d. Art.) 
und wird eingeleitet durch Niederlassung (s. d. Art.). 
Vom naturrechtlichen Standpunkt aus 
kann man nur sagen, daß jeder Mensch das Recht 
hat, an jedem Orte sich niederzulassen und sich 
eine Heimat zu gründen, wo er Platz findet. Doch 
hat bei steigender Bevölkerungszahl und damit 
verbundener Erschwerung des Nahrungsstandes 
die Beschränktheit der menschlichen Verhältnisse in 
allen zivilisierten Staaten dahin geführt, durch die 
positive Gesetzgebung dieses Recht zu beschränken 
und an gewisse Bedingungen zu knüpfen (ogl. d. 
Art. Freizügigkeit). Damit schloß sie ein begrenzter 
Kreis von solchen ab, welche ihre Heimat an einem 
bestimmten Orte hatten, sei es durch Geburt oder 
durch Erfüllung jener Bedingungen. Es lag in 
der Natur der menschlichen Selbstsucht, daß unter 
gegebenen Verhältnissen dieser Kreis mit dem 
Rechte, an dem Orte zu wohnen und zu wirken, 
allmählich mannigfache andere Rechte für sich 
allein in Anspruch nahm. Daraus ergab sich dann 
ein Recht jedes einzelnen aus diesem geschlossenen 
Kreis, welches Heimatsrecht genannt wird. 
Das Heimatsrecht in diesem Sinne ist also keines- 
wegs eine Einrichtung des Naturrechts, sondern 
gerade entgegen dem Naturrecht erst durch das 
positive Staatsrecht geschaffen. Man hat einen 
Heimatsstaat und eine Heimatsgemeinde zu unter- 
scheiden und dementsprechend auch ein Heimats- 
recht im Staate und ein solches in der Gemeinde. 
Das Heimatsrecht im Staate ist die rechtliche 
Zugehörigkeit zu einem bestimmten Staate, das 
Heimatsrecht in der Gemeinde ebenso die recht- 
liche Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinde. 
Ein fester, einheitlicher Begriff des Rechts, das sich 
aus der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Staat
	        
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