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oder einer bestimmten Gemeinde ergibt, besteht
nicht. Seine Grundlage bildet jedoch überall das
Recht, sich in einem bestimmten Staat bzw. in
einer bestimmten Gemeinde aufzuhalten. Als
zweites Recht ist demselben anzufügen das Recht,
innerhalb dieses Staates oder dieser Gemeinde
seine persönlichen Kräfte zum Erwerb des Lebens-
unterhaltes zu verwenden, insbesondere Gewerbe
zu treiben. An dritter Stelle ist als ein Aus-
fluß des Heimatsrechts zu betrachten das aus der
Solidarität einer jeden abgeschlossenen Gruppe
der Menschheit folgende Recht auf Gewähr-
leistung des notwendigen Lebensunterhaltes durch
diese Gruppe im Falle eigenen Unvermögens, ein
Recht, das sich zu dem Recht auf öffentliche
Armenunterstützung durch Gemeinde und
Staat ausgestaltet hat (vgl. die Art. Aufenthalts-
recht, Gewerbefreiheit und Armenpflege). Nicht
unter das Heimatsrecht fallen die politischen Rechte,
welche in einem Anteil an der Herrschaft in Ge-
meinde und Staat bestehen, und die wirtschaft-
lichen Rechte in der Gemeinde, welche einen Anteil
an dem wirtschaftlichen Vermögen der Gemeinde
gewähren, so daß man von der einfachen Zuge-
hörigkeit, welche das Heimatsrecht verbürgt, das
volle Staats= und Gemeindebürgerrecht, welches
außerdem politische und wirtschaftliche Rechte ge-
währt, zu unterscheiden hat. ·
II. Historisch hat sich der Begriff der Heimat
und des Heimatsrechts in Deutschland entwickelt
vorwiegend im Anschluß an das Recht auf öffent-
liche Armenunterstützung. Bei zunehmender Er-
starkung des staatlichen Bewußtseins suchte der
Staat den aus dem Bettel, der Landstreicherei
und der äußersten Mittellosigkeit der Armen her-
rührenden Ubeln dadurch zu steuern, daß er der
Gemeinde, und zwar zunächst der Geburts= oder
Ursprungsgemeinde, die öffentliche Armenpflege
für ihre Angehörigen als Pflicht auferlegte; so die
Reichspolizeiordnung von 1577 und später die
preußische Verordnung vom 18. Nov. 1684. Das
preußische Allgemeine Landrecht von 1794 (TIII.
Tit. 19, 8 1) stellt den allgemeinen Grundsatz an
die Spitze, daß es dem Staate zukomme, für die
Armen zu sorgen, legt dann aber die Pflicht zur
Erhaltung derselben den Gemeinden in Bezug auf
alle einmal von ihr aufgenommenen Gemeinde-
mitglieder auf. Erst später folgte die praktische
Anerkennung einer Pflicht des Staates, für seine
armen Angehörigen im Notfalle direkt einzutreten.
Die preußischen Gesetze vom 31. Dez. 1842 und
21. Mai 1855 erklären die öffentliche Armenpflege
als eine Pflicht der Gemeinden, in Ausnahme-
fällen der Provinzen. Bei steigendem Verkehr
wurde es dann nötig, diese Pflicht von der durch
die Geburt bezeichneten Ursprungsgemeinde ab-
zuwälzen auf eine durch längeren Aufenthalt er-
worbene Heimatsgemeinde. So in der neuen
preußisch-deutschen Gesetzgebung, welche diese Hei-
matsgemeinde Unterstützungswohnsitz (s. d. Art.)
nennt. In neuester Zeit ist endlich auch die Unter-
Heimat ufw.
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stützung hilfsbedürftiger Ausländer als eine staat-
liche Einrichtung eingeführt. Da der Begriff des
Heimatsrechts sich vorwiegend entwickelt hat als
Recht auf öffentliche Armenunterstützung, diese
aber der Gemeinde übertragen war, so hat sich der
Begriff der Heimat in erster Linie entwickelt als
die rechtliche Zugehörigkeit zu einer Gemeinde.
III. Im Deutschen Reiche ist das staat-
liche Heimatsrecht, entsprechend der Natur des
Reiches, ein doppeltes, ein Heimatsrecht im ein-
zelnen Bundesstaat und ein Heimatsrecht im Deut-
schen Reiche. Das Recht des Aufenthaltes und des
freien Gewerbebetriebes innerhalb des ganzen
Reiches ist ein Ausfluß des Heimatsrechts im
Reiche und damit ein Teil des Reichsstaatsrechts,
während das Recht auf Armenunterstützung zum
größten Teil auf dem Gebiete des Staatsrechts
der Einzelstaaten liegt. Nur die Unterstützung
armer Deutscher im Auslande ist Reichssache; sie
liegt den deutschen Konsuln ob, ohne daß jedoch
Deutsche im Auslande ein festes Recht auf Unter-
stützung haben. Der Erwerb der Zugehörigkeit zu
einem Bundesstaat bringt von selbst die Zugehö-
rigkeit zum Reich mit sich. Sie ist für das ganze
Deutsche Reich einbeitlich geregelt durch das
Bundesgesetz über die Erwerbung und den Verlust
der Bundes= und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni
1870, neue Fassung gemäß Art. 41 des Einf.=
Ges. zum B.G.B. Dieselbe wird begründet durch
eheliche Abstammung, Legitimation unehelicher
Kinder, Verheiratung einer Ausländerin mit einem
Staatsangehörigen und Naturalisation von Aus-
ländern. Ein Deutscher kann daneben seine Staats-
angehörigkeit innerhalb des Deutschen Reiches
wechseln durch Uberwanderung in einen andern
Bundesstaat, welcher ihm die Aufnahme unter
bestimmten Bedingungen gewähren muß. Die
Zugehörigkeit zu einem Bundesstaat wird ver-
loren durch Entlassung auf Antrag, durch Aus-
spruch der Behörde als Strafe in bestimmten
Fällen, durch zehnjährigen Aufenthalt im Aus-
lande, durch Legitimation unehelicher Kinder und
durch Verheiratung. Da nach diesen Grundsätzen
ein Deutscher seine Staatsangehörigkeit verlieren
kann allein durch zehnjährigen Aufenthalt im
Auslande, ohne daß er eine andere Staatsange-
hörigkeit erwirbt, so kann der Fall vorkommen,
daß ein geborener Deutscher in keinem Staate
mehr die Staatsangehörigkeit besitzt, also in diesem
Sinne heimatlos ist. Für solche bestimmt das-
selbe Gesetz in § 21, daß ihnen die Staats-
angehörigkeit in ihrem früheren Heimatstaate
wieder verliehen werden kann, auch ohne daß sie
sich dort niederlassen, und daß ihnen, wenn sie
sich wieder im Gebiete des Reiches niederlassen,
auf ihr Nachsuchen die Wiederaufnahme gewährt
werden muß. Zahlreiche Mängel dieses Gesetzes
haben den Wunsch nach einer Neubearbeitung her-
vorgerufen, die bevorsteht.
Die in diesem staatlichen Heimatsrechte be-
griffenen Rechte sind im einzelnen ausgeführt in