Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

1215 
sowie das Bundesgesetz vom 6. Juni 1870, be- 
treffend den Unterstützungswohnsitz, welches das 
preußische System auf das ganze Gebiet des Nord- 
deutschen Bundes in einheitlicher Reglung aus- 
gedehnt hat, auf Bayern nicht ausgedehnt. Die 
erwähnte bayrische Gesetzgebung blieb in Kraft, 
wurde aber mit Rücksicht auf die Gesetzgebung im 
übrigen Deutschen Reiche durch die Novelle vom 
23. Febr. 1872 abgeändert. Weitere Novellen 
sind ergangen unter dem 21. April 1884, 3. Febr. 
1888, 17. März 1892, 17. Juni 1896 und Art. 
154 des Ausf.Ges. zum B. G. B. vom 9. Juni 
1899. Die neueste Fassung des Gesetzes über 
Heimat, Verehelichung und Aufenthalt ist vom 
30. Juli 1899. Hierzu erging unter Aufhebung 
der früheren Vollzugsvorschriften die ministerielle 
Entschließung vom 28. Dez. 1899. Durch diese 
abweichende Gesetzgebung ist Bayern auf diesem 
Gebiete für das übrige Deutsche Reich Ausland 
geblieben. Für das Verhältnis zwischen Bayern 
und andern Bundesstaaten ist darum nach wie 
vor, wie in dem Schlußprotokoll zu dem Vertrag 
vom 23. Nov. 1870 unter Art. III ausdrücklich 
ausgesprochen worden ist, der Gothaer Vertrag 
vom 15. Juli 1851 wegen gegenseitiger Über- 
nahme der Ausgewiesenen und Heimatlosen und 
die sog. Eisenacher Konvention vom 11. Juli 1853 
wegen Verpflegung erkrankter und Beerdigung ver- 
storbener Untertanen in Kraft erhalten. 
Der Erwerb des bayrischen Heimatsrechts ist 
beschränkt auf bayrische Staatsangehörige. Es 
steht als solches, soweit es das Recht auf Auf- 
enthalt gewährt, neben dem aus dem Reichsgesetz 
über die Freizügigkeit sich ergebenden deutschen 
Heimatsrecht für alle deutschen Reichsangehörigen, 
welches diesen natürlich auch in Bayern zusteht. 
Der Grundgedanke der bayrischen Gesetzgebung 
ist, daß kein Bayer ohne Heimat in einer be- 
stimmten bayrischen Gemeinde sein soll. Darum 
wird die Heimat nicht verloren durch noch so lange 
Abwesenheit, wie im übrigen Deutschland der 
Unterstützungswohnsitz durch früher zwei-, jetzt 
einjährige Abwesenheit verloren wird, sondern 
nur durch Erwerb der Heimat in einer andern 
Gemeinde. Landarme im Sinne des deutschen 
Reichsgesetzes betreffend den Unterstützungswohn- 
sitz gibt es daher in Bayern ebensowenig wie 
Landarmenverbände. Ebenso wird die Heimat 
nicht erworben durch langjährigen Aufenthalt. 
Die Heimatsgemeinde ist in Bayern wesentlich, 
wenn man von den besondern Erwerbsarten ab- 
sieht, die Ursprungsgemeinde, während im übrigen 
Deutschen Reiche der Unterstützungswohnsitz sich 
wesentlich mit der Aufenthaltsgemeinde deckt. 
Dieses Heimatsrecht hat eine selbständige Existenz 
neben dem Gemeindebürgerrecht, ist aber doch zu 
diesem in Beziehung gebracht, während das Recht 
des Unterstützungswohnsitzes im übrigen Deutsch- 
land in keinerlei Beziehung zum Gemeindebürger- 
recht steht. Das Heimatsrecht gibt nicht nur 
einen Anspruch auf Verleihung des Bürgerrechts 
Heimat usw. 
  
1216 
in der Gemeinde, sondern die Verleihung des 
Bürgerrechts in der Gemeinde an einen anders- 
wo Heimatberechtigten oder einen Nichtbürger 
zahen gleichzeitig die Verleihung des Heimats- 
rechts. 
In der Praxis weicht jedoch das bayrische Recht 
von dem deutschen Recht weniger ab als in der 
Theorie. Heimat ist zunächst für jeden Bayer 
diejenige Gemeinde, in welcher sein ehelicher Vater 
bzw. seine uneheliche Mutter heimatberechtigt 
war (ursprüngliche Heimat), bei Ehefrauen die 
Heimatgemeinde des Mannes, bei Nichtbayern, 
welche in den bayrischen Staatsverband auf- 
genommen worden, die Gemeinde ihrer Nieder- 
lassung zur Zeit der Aufnahme. Es hat demnach 
im allgemeinen jeder Bayer eine Heimat. Eine 
Ausnahme tritt nur ein, wenn die Heimatsgemeinde 
untergegangen ist. Heimatlose sind solche, deren 
Heimat nicht bekannt ist, oder von denen feststeht, 
daß sie keine Heimat haben. Diese sind zunächst 
zu unterstützen am Orte ihres Aufenthalts. Kann 
ihre Heimat endgültig nicht festgestellt werden, so 
wird ihnen von der Distriktsverwaltungsbehörde 
eine Gemeinde ihres Verwaltungsbezirkes als 
vorläufige Heimat zugewiesen. Diese vorläufige 
Heimat wird durch fünf= bzw. zehnjährige Er- 
sitzung zur wirklichen Heimat (erworbene Heimat). 
Sodann wird die Heimat erworben durch Ver- 
leihung seitens der Gemeinde, worauf unter 
gewissen Umständen gegen Zahlung einer „Hei- 
matsgebühr“ von 12—48 Gulden, in der Pfalz 
bis 100 Gulden, ein rechtlicher Anspruch besteht, 
durch Anstellung als Beamter und Diener des 
Staates, einer der öffentlichen Religionsgesell- 
schaften (katholische und protestantische Kirche), 
der Gemeinde, einer öffentlichen Korporation 
oder Stiftung und endlich gleichzeitig durch den 
Erwerb des Bürgerrechts. Daneben kennt die 
Pfalz einen Heimatserwerb durch einseitige Er- 
klärung des Heimatsuchers, aber auch einen Hei- 
matsverlust durch einseitige Erklärung der Ge- 
meinde gegenüber einem solchen Heimatsucher. 
Eine vorläufige Heimat kann auch Landesfremden 
angewiesen werden, solange ihre Wegweisung aus 
dem Staatsgebiet nicht möglich ist. Der Inhalt 
des Unterstützungsanspruchs auf Grund des Hei- 
matsrechts deckt sich ungefähr mit dem entsprechen- 
den Anspruch in den übrigen Teilen des Deutschen 
Reiches. 
2. In Elsaß-Lothringen ist das Unter- 
stützungswohnsitzgesetz von 1870 zunächst nicht 
eingeführt worden. Es gilt dort noch die fran- 
zösische Gesetzgebung, nach welcher die obligato- 
rische Armenpflege durch Gemeinde und Bezirk 
wenig ausgebildet ist; sie findet einen Ersatz in der 
fakultativen Armenpflege der Gemeinden und 
Bezirke des Staates und der privaten Wohltätig- 
keit. Ein besonderes Heimatsrecht ist daher in 
Elsaß-Lothringen nicht entwickelt. Tatsächlich 
findet die notwendige Unterstützung regelmäßig 
in der Aufenthaltsgemeinde statt. Auf dem Ge-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.