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sowie das Bundesgesetz vom 6. Juni 1870, be-
treffend den Unterstützungswohnsitz, welches das
preußische System auf das ganze Gebiet des Nord-
deutschen Bundes in einheitlicher Reglung aus-
gedehnt hat, auf Bayern nicht ausgedehnt. Die
erwähnte bayrische Gesetzgebung blieb in Kraft,
wurde aber mit Rücksicht auf die Gesetzgebung im
übrigen Deutschen Reiche durch die Novelle vom
23. Febr. 1872 abgeändert. Weitere Novellen
sind ergangen unter dem 21. April 1884, 3. Febr.
1888, 17. März 1892, 17. Juni 1896 und Art.
154 des Ausf.Ges. zum B. G. B. vom 9. Juni
1899. Die neueste Fassung des Gesetzes über
Heimat, Verehelichung und Aufenthalt ist vom
30. Juli 1899. Hierzu erging unter Aufhebung
der früheren Vollzugsvorschriften die ministerielle
Entschließung vom 28. Dez. 1899. Durch diese
abweichende Gesetzgebung ist Bayern auf diesem
Gebiete für das übrige Deutsche Reich Ausland
geblieben. Für das Verhältnis zwischen Bayern
und andern Bundesstaaten ist darum nach wie
vor, wie in dem Schlußprotokoll zu dem Vertrag
vom 23. Nov. 1870 unter Art. III ausdrücklich
ausgesprochen worden ist, der Gothaer Vertrag
vom 15. Juli 1851 wegen gegenseitiger Über-
nahme der Ausgewiesenen und Heimatlosen und
die sog. Eisenacher Konvention vom 11. Juli 1853
wegen Verpflegung erkrankter und Beerdigung ver-
storbener Untertanen in Kraft erhalten.
Der Erwerb des bayrischen Heimatsrechts ist
beschränkt auf bayrische Staatsangehörige. Es
steht als solches, soweit es das Recht auf Auf-
enthalt gewährt, neben dem aus dem Reichsgesetz
über die Freizügigkeit sich ergebenden deutschen
Heimatsrecht für alle deutschen Reichsangehörigen,
welches diesen natürlich auch in Bayern zusteht.
Der Grundgedanke der bayrischen Gesetzgebung
ist, daß kein Bayer ohne Heimat in einer be-
stimmten bayrischen Gemeinde sein soll. Darum
wird die Heimat nicht verloren durch noch so lange
Abwesenheit, wie im übrigen Deutschland der
Unterstützungswohnsitz durch früher zwei-, jetzt
einjährige Abwesenheit verloren wird, sondern
nur durch Erwerb der Heimat in einer andern
Gemeinde. Landarme im Sinne des deutschen
Reichsgesetzes betreffend den Unterstützungswohn-
sitz gibt es daher in Bayern ebensowenig wie
Landarmenverbände. Ebenso wird die Heimat
nicht erworben durch langjährigen Aufenthalt.
Die Heimatsgemeinde ist in Bayern wesentlich,
wenn man von den besondern Erwerbsarten ab-
sieht, die Ursprungsgemeinde, während im übrigen
Deutschen Reiche der Unterstützungswohnsitz sich
wesentlich mit der Aufenthaltsgemeinde deckt.
Dieses Heimatsrecht hat eine selbständige Existenz
neben dem Gemeindebürgerrecht, ist aber doch zu
diesem in Beziehung gebracht, während das Recht
des Unterstützungswohnsitzes im übrigen Deutsch-
land in keinerlei Beziehung zum Gemeindebürger-
recht steht. Das Heimatsrecht gibt nicht nur
einen Anspruch auf Verleihung des Bürgerrechts
Heimat usw.
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in der Gemeinde, sondern die Verleihung des
Bürgerrechts in der Gemeinde an einen anders-
wo Heimatberechtigten oder einen Nichtbürger
zahen gleichzeitig die Verleihung des Heimats-
rechts.
In der Praxis weicht jedoch das bayrische Recht
von dem deutschen Recht weniger ab als in der
Theorie. Heimat ist zunächst für jeden Bayer
diejenige Gemeinde, in welcher sein ehelicher Vater
bzw. seine uneheliche Mutter heimatberechtigt
war (ursprüngliche Heimat), bei Ehefrauen die
Heimatgemeinde des Mannes, bei Nichtbayern,
welche in den bayrischen Staatsverband auf-
genommen worden, die Gemeinde ihrer Nieder-
lassung zur Zeit der Aufnahme. Es hat demnach
im allgemeinen jeder Bayer eine Heimat. Eine
Ausnahme tritt nur ein, wenn die Heimatsgemeinde
untergegangen ist. Heimatlose sind solche, deren
Heimat nicht bekannt ist, oder von denen feststeht,
daß sie keine Heimat haben. Diese sind zunächst
zu unterstützen am Orte ihres Aufenthalts. Kann
ihre Heimat endgültig nicht festgestellt werden, so
wird ihnen von der Distriktsverwaltungsbehörde
eine Gemeinde ihres Verwaltungsbezirkes als
vorläufige Heimat zugewiesen. Diese vorläufige
Heimat wird durch fünf= bzw. zehnjährige Er-
sitzung zur wirklichen Heimat (erworbene Heimat).
Sodann wird die Heimat erworben durch Ver-
leihung seitens der Gemeinde, worauf unter
gewissen Umständen gegen Zahlung einer „Hei-
matsgebühr“ von 12—48 Gulden, in der Pfalz
bis 100 Gulden, ein rechtlicher Anspruch besteht,
durch Anstellung als Beamter und Diener des
Staates, einer der öffentlichen Religionsgesell-
schaften (katholische und protestantische Kirche),
der Gemeinde, einer öffentlichen Korporation
oder Stiftung und endlich gleichzeitig durch den
Erwerb des Bürgerrechts. Daneben kennt die
Pfalz einen Heimatserwerb durch einseitige Er-
klärung des Heimatsuchers, aber auch einen Hei-
matsverlust durch einseitige Erklärung der Ge-
meinde gegenüber einem solchen Heimatsucher.
Eine vorläufige Heimat kann auch Landesfremden
angewiesen werden, solange ihre Wegweisung aus
dem Staatsgebiet nicht möglich ist. Der Inhalt
des Unterstützungsanspruchs auf Grund des Hei-
matsrechts deckt sich ungefähr mit dem entsprechen-
den Anspruch in den übrigen Teilen des Deutschen
Reiches.
2. In Elsaß-Lothringen ist das Unter-
stützungswohnsitzgesetz von 1870 zunächst nicht
eingeführt worden. Es gilt dort noch die fran-
zösische Gesetzgebung, nach welcher die obligato-
rische Armenpflege durch Gemeinde und Bezirk
wenig ausgebildet ist; sie findet einen Ersatz in der
fakultativen Armenpflege der Gemeinden und
Bezirke des Staates und der privaten Wohltätig-
keit. Ein besonderes Heimatsrecht ist daher in
Elsaß-Lothringen nicht entwickelt. Tatsächlich
findet die notwendige Unterstützung regelmäßig
in der Aufenthaltsgemeinde statt. Auf dem Ge-