Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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noch lebenden Vater zum Erben einsetzen mußten, 
aber ihn bis zu einem Restteil ihres Vermögens 
mit Legaten belasten konnten. 
Das deutsche Familienrecht ging von ganz 
andern Voraussetzungen aus. Die Familie trat 
stark hinter die Bedeutung der Sippe zurück. Der 
eigentliche Zweck der germanischen Ehe lag nicht 
in der Lebensgemeinschaft der Ehegatten, sondern 
in der Förderung der Sippe durch Erzeugung von 
Kindern. Die Sippe umfaßte die ganze Verwandt- 
schaft. Die männlichen Deszendenten derselben 
Eltern hießen Ger= oder Schwertmagen, die weib- 
lichen Spindel-, Spill= oder Kunkelmagen. Nur 
die agnatischen Verwandten umfaßte im Unter- 
schied von der Sippe die Sippschaft. Die Sippe 
zerfiel in den engeren Kreis der Hausgenossen 
(Eltern, Kinder, Geschwister) und in den weiteren 
Kreis der Magschaft. 
Wie Schröder mit Hinweis auf zahlreiche For- 
scher betont, ergibt sich aus den quellenmäßig be- 
zeugten Tatsachen die völlige Unbekanntschaft der 
Indogermanen mit dem Mutterrecht. Im Gegen- 
teil war von den frühesten Zeiten an die Gewalt 
des Gatten und Vaters eine sehr starke. Sie kam 
zum Ausdruck durch die Vormundschaft, die Munt 
über die Familienmitglieder. Im Unterschied aber 
von der patria potestas wurde die Munt nicht 
so sehr als Eigentumsrecht im Interesse ihres 
Trägers, sondern mehr als ein Schutz= und Ver- 
tretungsrecht für die Familienmitglieder aufgefaßt. 
Durch die Ehe trat die Frau in die eheherrliche 
Munt, die dann die väterliche Munt über die 
Kinder der Frau begründete, selbst über die Kin- 
der, die sie von einem Dritten etwa im Ehebruch 
empfing. Noch in der fränkischen Zeit hatte die 
väterliche Gewalt manches von der alten Strenge 
bewahrt, so in bestimmten Fällen das Recht der 
Tötung und des Verkaufs in die Knechtschaft, das 
Recht des Heiratszwangs gegen die Töchter. Auf- 
gehoben wurde die väterliche Gewalt durch Hin- 
gabe des Kindes in Adoption oder Emanzipation 
durch Scheinadoption. Für Töchter endete sonst 
regelmäßig die väterliche Munt durch rechtmäßige 
Ehe, für die Söhne durch ihre Abschichtung vom 
Luse des Vaters, d. h. Entlassung aus der Were. 
ie Herausgabe des Kindesguts bildete ein wesent- 
licher Bestandteil des Emanzipationsaktes. Nach 
Schröder hob der Eintritt der Volljährigkeit die 
väterliche Gewalt nicht auf. Jedoch konnten voll- 
jährige Söhne, wenn sie eigentümliches Vermögen 
besaßen, ihre Entlassung verlangen. Beim TodeG 
des Vaters übernahm in der Regel sein nächster 
mündiger Schwertmagen, also in erster Linie sein 
Sohn, die Vormundschaft über Witwe und un- 
mündige Kinder. Unter gewissen Voraussetzungen 
konnte die Witwe auch in die Munt ihrer Bluts- 
verwandten zurückkehren. 
Unter der väterlichen Gewalt blieb den Kindern 
ihr Vermögen gewahrt, der Vater hatte nur die 
Verwaltung und Nutznießung. Als Muntherr 
nahm der Mann das Vermögen der Frau in Be- 
Familie. 
  
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sitz, um es gemeinschaftlich mit dem seinen für die 
Zwecke der Ehe zu verwalten. Es war also ledig- 
lich Verwaltungsgemeinschaft, keine Gütergemein- 
schaft; das beiderseitige Eigentum blieb als solches 
bestehen und wurde nach Auflösung der Ehe wieder 
getrennt. 
III. Jamilienrecht. Das geltende Familien= 
recht setzt sich zusammen aus den Rechtssätzen über 
die Ehe als solche (s. d. Art. Ehe und Eherecht), 
über das Verhältnis der Ehegatten unter sich, über 
das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern (s. d. 
Art. Eltern), über das eheliche Güterrecht und 
über das Erbrecht (s. d. Art.). Nicht überall und 
in allen Stücken deckt sich das staatliche Familien- 
recht mit den natürlichen Existenzbedingungen und 
den christlichen Grundsätzen, den Voraussetzungen 
eines gesunden Familienlebens. Das gilt nament- 
lich von den Gesetzen betreffs der Eheschließung 
und Ehescheidung. 
In Deutschland haben sich unter dem Einfluß 
des alten deutschen Rechts, des römischen Rechts 
und des Kirchenrechts im wesentlichen folgende 
Rechtsgrundsätze über die Familie herausgebildet. 
Der Mann ist das Haupt der Familie. Er hat 
deshalb alle gemeinsamen Angelegenheiten zu 
leiten, so z. B. die Wahl des Wohnorts und der 
Wohnung zu bestimmen. Nur wenn der Ehe- 
mann sein Bestimmungsrecht aus bloßer Laune 
mißbrauchen würde, bräuchte die Frau ihm nicht 
zu folgen. Die Frau erwirbt mit der Eheschließung 
Name, Wohnsitz und Staatsangehörigkeit ihres 
Mannes. Zugleich erhält sie das Recht, das ge- 
meinsame Hauswesen zu leiten. Es ist die sog. 
„Schlüsselgewalt“, wodurch die Frau bevollmäch- 
tigt ist, alle zur Leitung des Hauswesens notwen- 
digen Rechtsgeschäfte für Rechnung des Mannes 
zu besorgen, z. B. die Haushaltungseinkäufe. Nur 
bei Mißbrauch dieses Rechts durch Verschwendung 
kann der Mann es allerdings der Frau beschrän- 
ken und entziehen in den dafür geltenden Formen. 
Über das eigne Vermögen kann die Frau ohne 
Mitwirkung oder Zustimmung des Mannes ver- 
sügen. Nur dürfen die Maßnahmen der Frau 
nicht die etwa dem Mann kraft des bestehenden 
Güterrechts zustehenden Verwaltungs= und Nutz- 
nießungsrechte ohne seine Zustimmung verkürzen. 
Das Vermögensrecht der beiden Ehegatten wäh- 
rend der Ehe unterliegt entweder besondern Ver- 
tragsbestimmungen oder aber, falls kein ehelicher 
*m* abgeschlossen wurde, dem allgemeinen 
ese 
Die Eheleute sind befugt, vor oder während der 
Ehe einen Ehevertrag abzuschließen, in dem sie 
festlegen können: 1) die völlige Gütertren- 
nung, wodurch jedem Teil die Verwaltung seines 
Vermögens bleibt; 2) die allgemeine Güter- 
gemeinschaft; dadurch wird das Vermögen 
von Mann und Frau zu einem Gesamtgut ver- 
schmolzen, dessen Verwaltung dem Mann zusteht; 
3) die Errungenschaftsgemeinschaft, 
wodurch das während der Ehe Erworbene, die
	        
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