Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Eintragung übrigens zum Teil von der Heim- 
stättenbehörde genehmigt werden muß — keine 
Belastung und — abgesehen von Schulden, die 
vor der Heimstättenerklärung herrühren — nur 
Zwangsverwaltung, nicht aber Zwangsverkauf 
gestattet ist, und daß das Anerbenrecht eintritt, 
während anderseits die Heimstätteneigenschaft auf 
„hinreichend begründeten“ Antrag des Besitzers 
mit Zustimmung der Ehefrau und der Renten- 
gläubiger wieder aufgehoben werden kann. — Als 
Mängel dieses Systems werden hervorgehoben: der 
fakultative Charakter, infolgedessen das Gesetz bei 
der Abneigung der Bevölkerung gegenüber Neue- 
rungen ein papierner Ladenhüter bleiben werde; 
sodann die begriffswidrige und für das Zustande- 
kommen des Gesetzes bedrohliche Verquickung des 
Anerbenrechts mit dem Heimstättenrechte; ferner 
die mit dem unbedingten Ausschlusse des Zwangs- 
verkaufs verknüpfte Gefahr einer zukunftssichern 
und daher nachlässigen Bewirtschaftung, welcher 
eine ebenso bedenkliche Kontrolle durch Heimstätten- 
behörden vorbeugen solle; endlich der große Spiel- 
raum, welcher der Landesgesetzgebung bzw. den 
Ausführungsbestimmungen eingeräumt ist. 
B. Der Vorzug des Systems der allgemeinen 
Verschuldungsbeschränkung besteht darin, 
daß es den Kleingrundbesitzer gegen die Ubermacht 
des Kapitalismus schützt, ohne ihn der Bevormun- 
dung durch die Heimstättenbehörden auszuliefern. 
Von dem Erbgutsystem (zu A) unterscheidet sich 
dasselbe durch die allgemeine, dem Einzelbelieben 
entzogene Wirksamkeit, welche, unabhängig von 
einer Erklärung des Besitzers, jedes Landwirtschafts- 
grundstück sofort ergreift, und sodann durch die mit 
jedem Erbfalle eintretende Schuldenauseinander- 
setzung, bei welcher, ähnlich wie im Konkurse, in 
erster Linie die Realgläubiger (Rentenbanken), so- 
dann die Vormerkungsgläubiger, welche ja bei 
Lebzeiten des Schuldners aus dem Landgute nicht 
einmal die Zinsen ihrer Forderungen beitreiben 
durften, und endlich die Personalgläubiger ihre 
Befriedigung aus der ganzen unbeweglichen und 
beweglichen Erbmasse suchen können. Die Aussicht 
auf diese Abrechnung erhöht den Kredit und zu- 
gleich das Verantwortungsbewußtsein des Be- 
sitzers. Ein weitergehender Schutz wäre unwirt- 
schaftlich und eine ungerechte Begünstigung der 
Landwirtschaft gegenüber dem Handwerk und an- 
dern Ständen. Während einer derartigen Periode 
von 30 bis 50 Jahren muß es nämlich einem tüch- 
tigen Wirtschafter gelingen, die Schulden abzu- 
tragen oder doch im Wege der Lebensversicherung 
ein genügendes Kapital zu hinterlassen. 
Große, aber nicht unüberwindliche Schwierig- 
keiten bietet bei beiden Systemen die Überleitung 
der bestehenden Hypotheken= in Rentenschulden. 
Im deutschen Reichstag ist inzwischen der An- 
trag des Grafen Dönhoff-Friedrichstein in der 
Fassung der Kommission von 1892 in den folgen- 
den Jahren wieder eingebracht worden. Nochmals 
kam er zur ersten Beratung am 17. April 1894. 
Heimstättenrecht. 
  
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Am folgenden Tage wurde in zweiter Beratung 
der § 1 mit großer Mehrheit angenommen. Er 
lautet: „Jeder Angehörige des Deutschen Reiches 
hat nach vollendetem 24. Lebensjahre das Recht 
zur Errichtung einer Heimstätte. Die Errichtung 
erfolgt durch Eintragung eines nach Maßgabe 
dieses Gesetzes geeigneten Grundstückes in das 
Heimstättenbuch.“ Nachdem somit festgestellt war, 
daß für die Sache an sich eine Mehrheit vorhanden 
war, verzichteten die Antragsteller auf die Einzel- 
beratung der weiteren Paragraphen, indem sie 
statt deren die Resolution porschlugen, „die ver- 
bündeten Regierungen zu erschen, in der Richtung 
des Antrages im nächsten Jahre dem Reichstag 
einen Gesetzentwurf vorzulegen“. Diese Resolution 
gelangte sodann zur Annahme. Doch wurde ein 
solcher Gesetzentwurf seitens der verbündeten Re- 
gierungen nicht vorgelegt. 
4. Bestehende Gesetzgebungen. Mit 
Recht werden manche Heimstättengesetze des Aus- 
landes in die Erörterung gezogen; jedoch erscheinen 
dabei deren Tragweite und die Verschiedenheit der 
Kultur= und Wirtschaftszustände nicht immer ge- 
nügend gewürdigt. Vor allem kommen die den 
Ausgangspunkt unserer Bewegung (1880) bilden- 
den nordamerikanischen homestead laws in Be- 
tracht. Während das Unionsgesetz von 1862, 
neueste Fassung vom 20. Mai 1886, den Ansied- 
lern einen Okkupationserwerb (160 Acres) nach 
fünfjähriger Bebauung gewährt und gegen frühere 
Schulden nicht haften läßt, haben die unter sich 
abweichenden homestead and exemption laws, 
die von 1839 an bis in das letzte Jahrzehnt zum 
Teil mit zwingender, zum Teil mit fakultativer 
Wirkung in über 30 Einzelstaaten und Territorien 
ergingen, trotz ihrer Verschuldungs- oder Voll- 
streckungsbeschränkungen doch nicht vorwiegend 
agrarische Tendenz. Vielmehr bezwecken sie auch 
die Sicherstellung des eheweiblichen Beibringens 
und die Vermeidung der öffentlichen Armenunter- 
stützung. Etwa 26 derselben bezeichnen geradezu 
einen Geldbetrag als zugriffsfrei (300—5000 
Dollars), während nur etwa sechs ein Grundbesitz- 
minimum (40—200 Acres auf dem Land, ¼1 
Aere in der Stadt) sichern, jedoch stets nur auf 
eine Generation. 
Ferner gehört hierher dielibergangsbestimmung 
des rumänischen Gesetzes von 1864, wonach binnen 
30 Jahren von der Aufhebung der Leibeigenschaft 
anjede Verpfändung und Veräußerung der Bauern- 
güter (ausgenommen an Gemeindegenossen) unter- 
sagt ist. — Für Serbien erklärte 1873 eine Novelle 
zur Prozeßordnung fünf Morgen Landes für un- 
verpfändbar und unzugreifbar, ausgenommen für 
öffentliche Banken; jedoch ist der freihändige Ver- 
kauf erlaubt. — Das englische Bauernentlastungs- 
gesetz für das Dekan von 1879 gestattet nur 
Zwangsverwaltung und nur für Pfandschulden. 
5. Die Aussichten für das Zustandekommen 
einer Heimstättengesetzgebung in Deutschland find 
einstweilen nicht eben gut. Im Reichstag ist zwar 
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