Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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der Antrag auf Erlaß eines Heimstättengesetzes 
auch nach 1894 noch mehrere Male, zuletzt im 
Dez. 1905 durch den Abgeordneten v. Riepenhausen 
wieder eingebracht worden, doch ohne weiteren 
Erfolg. Auch die Reichsregierung scheint nichts 
in der Richtung des Antrags begonnen zu haben. 
In den zunächst beteiligten kleinbäuerlichen Kreisen. 
hat der Plan auffallend wenig Würdigung ge- 
funden. Die Bauernvereine haben die Sache mit 
großer Zurückhaltung behandelt. Der deutsche 
Landwirtschaftsrat sprach sich für eine gesetzliche 
Reglung durch die Landesgesetzgebung aus; doch 
hatte auch dies bisher kein Ergebnis. Für manche 
deutsche Gegenden scheint die alteingewurzelte 
Rechtsanschauung und Erbgewohnheit unüber- 
steigliche Hindernisse entgegenzusetzen. Demnach 
scheint das wirtschaftliche Bedürfnis für Heim- 
stätten einstweilen mehr in den Kreisen des 
arbeiterbedürftigen Großgrundbesitzes mie in den 
Kreisen der kleinbäuerlichen Bevölkerung und der 
ländlichen Arbeiter empfunden zu werden. Will 
man mit einer Heimstättengesetzgebung zum Ziele 
gelangen, so wird es nicht überflüssig sein, diese 
Erfahrung zu beachten. Anscheinend haben für 
die Seßhaftmachung von ländlichen Arbeitern in 
Deutschland nur Rentengüter eine Zukunft, welche 
obligatorische Amortisation des Rentenkapitals 
bieten, aber auf Anerbenrecht, Verschuldungsgrenze 
und Exekutionsprivilegium verzichten. Ob eine 
Verbindung solcher Rentengüter mit einer Art 
Versicherung, welche neuerdings vorgeschlagen ist 
(Heimstättenversicherung nach Buer), in Deutsch- 
land bessere Aussichten hat wie die eigentlichen 
Heimstätten, muß die Zukunft zeigen. 
Literatur. K. Peyrer v. Heimstätt, Denkschrift 
betr. die Erbfolge in landwirtschaftl. Güter u. das 
Erbgüterrecht (Heimstättenrecht) (1884); Popischill, 
Heimstätte (1884); Ofner, Die neue Gesellschaft u. 
das Heimstättenrecht (1886); Rudolf Meyer, Heim- 
stätten= u. andere Wirtschaftsgesetze usw. (1883); 
Ratzinger, Die Volkswirtschaft in ihren sittl. Grund- 
lagen (21895) 388, 402ff; ders., Die Erhaltung des 
bayr. Bauernstandes (1883) 43; Ruhland, Agrar- 
polit. Versuche (1883) 134; Buchenberger, Heim- 
stättenfrage (1891); v. Bodelschwingh, Heimstätten- 
gesetz in Verbindung mit dem Alters= u. Invaliden- 
versorgungsgesetz (1892); Verhandl. der X XI. Ple- 
narversammlung d. Deutschen Landwirtschaftsrates 
(1893); Iwanowitsch, Die Heimstätte oder die 
Unangreifbarkeit des ländl. Grundbesitzes (1908); 
Buer, Die Heimstättenversicherung (1908). Für 
Amerika: Smith, The law okf homestead and 
exemptions (San Francisco 1875); Waples, A 
treatise on homestead and exemption (Chicago 
1893); Kübeck, Das amerik. Landsystem (1877); 
Bokelmann, über die Anwendbarkeit der amerik. 
Heimstättengesetze, im Archiv des deutschen Land- 
wirtschaftsrats (1888); Bureau, Le homestead 
ou Pinsaisissabilité de la petite propriété fon- 
cièere (Par. 1895); Corniquet, Le homestead, le 
foyer de famille insaisissable (ebd. 1895); Vacher, 
Le homestead aux Etats- Unis (ebd. 1895); 
Santangelo-Spoto, Colonizzate ad homestead 
(1891). ([Betzinger, rev. Karl Bachem.] 
Heimwerk — Hessen. 
  
1224 
Heimwerk s. Gewerbe, Gewerbeordnung 
Sp. 686 
p. ). 
Heiratsstatistik s. Bevölkerung. 
Hessen. 1. Geschichte. Hessen, Großher= 
zogtum und Bundesstaat des Deutschen Reiches, 
ist der letzte selbständige Uberrest des einst so be- 
deutenden hessischen Landes, das im Mittelalter 
ein mit Thüringen verbundenes Fürstentum bil- 
dete. Nach dem Aussterben der Landgrafen von 
Thüringen (1247) erhielt Sophie von Brabant, 
die Nichte des Landgrafen Ludwig IV. und der 
hl. Elisabeth, nach langem Kampfe mit dem Mark- 
grafen Heinrich dem Erlauchten von Meißen 1265 
Hessen. Ihr Sohn Heinrich, das Kind, ist der 
Stammvater des hessischen Fürstenhauses; er 
nannte sich Landgraf von Hessen und residierte 
in Kassel. 
Das Testament Philipps des „Großmütigen“ 
(gest. 1567) teilte die hessischen Lande unter seine 
vier Söhne aus rechtmäßiger Ehe: Wilhelm IV. 
erhielt Niederhessen mit Kassel, Ludwig IV. Ober- 
hessen mit Marburg, Philipp II. Niederkatzen- 
elnbogen mit Rheinfels (St Goarshausen) und 
Georg I. Oberkatzenelnbogen mit Darmstadt. Am 
28. Mai 1568 schlossen die Brüder zur Erhal- 
tung der Familienbande und der gemeinschaft- 
lichen Landesinteressen den Ziegenhainer Erb= und 
Brudervertrag, der namentlich die Erbeinigung 
sämtlicher Fürsten zu Hessen, den Ausschluß der 
Töchter von der Erbfolge und die Erbverbrüde- 
rung mit Sachsen festsetzte. Da Philipp II. 1583 
und Ludwig IV. 1604 ohne Erben starben, blie- 
ben nur die beiden Hauptlinien Kassel und Darm- 
stadt übrig. 
Der erste Landgraf von Hessen-Darmstadt 
Georg I. (1567/96) stand im Gegensatz zu seinem 
Vater auf der Seite des Hauses Habsburg. Er 
vermehrte seinen Besitz durch die Amter Bicken- 
bach, Stornfels, Schotten, Homburg vor der 
Höhe und ein Viertel von Umstadt; nach dem 
Tode seines kinderlosen Bruders Philipp erhielt 
er 1583 den dritten Teil von dessen Besitzungen. 
Seine drei Söhne Ludwig V., Philipp und 
Friedrich regierten anfangs gemeinsam, errichteten 
aber 1606 ein Erbstatut, in welchem die Primo= 
genitur eingeführt, die Regierung dem Landgrafen 
Ludwig überlassen wurde. Philipp starb 1643 ohne 
Erben, und sein Anteil, das Amt Butzbach, fiel 
an die Hauptlinie zurück; Friedrich erhielt Hom- 
burg, das seine Selbständigkeit bis 1866 bewahrte. 
Ludwig V. (1596/1626), wegen seiner Anhäng- 
lichkeit an den Kaiser der „Getreue“ genannt, be- 
anspruchte nach dem Ableben seines kinderlosen 
Oheims Ludwig von Marburg (1604) die ganze 
Erbschaft. Der „Marburger Sukzessionsstreit“ mit 
Hessen-Kassel wurde vorläufig durch den sog. 
Hauptakkord vom 24. Sept. 1627, endgültig 
aber erst auf dem Westfälischen Frieden beendet: 
Darmstadt erhielt einen Teil von Oberhessen, wo 
Ludwig schon 1607 die Universität Gießen ge- 
gründet hatte. Unter seinem Nachfolger Georg II. 
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