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dienen, andere in ihren politischen, bürgerlichen
oder religiösen Rechten zu beeinträchtigen.
Die Reformation wurde unter dem Landgrafen
Philipp dem Großmütigen (1526)eingeführt. Das
protestantische Glaubensbekenntnis galt seitdem 1
als eine staatliche Notwendigkeit. Erst im Jahre
1786 erhielten die Katholiken Darmstadts die Er-
laubnis zur Abhaltung eines Gottesdienstes auf
dem Wege des „Privilegs“. Durch den Anfall ka-
tholischer Landesteile in den Jahren 1803 und 1806
waren die bestehenden kirchlichen Zustände unhalt-
bar geworden. Hessen beteiligtesich an den Verhand-
lungen der jetzt zur Oberrheinischen Kirchenprovinz
vereinigten Staaten mit Rom, die erst mit dem
Erlaß der Bullen Provida solersque (1821)
und Ad dominici gregis custodiam (1827) ihr
Ende fanden. Das Landesbistum Mainz bildet
seitdem einen Teil der Oberrheinischen Kirchen-
provinz. Schon die organische Verordnung vom
12. Okt. 1803 hatte staatskirchliche Zustände und
einen bureaukratischen Absolutismus geschaffen. Be-
festigen sollte dieses Staatskirchentum (die Grund-
sätze der sog. Kirchenpragmatik) die landesherrliche
Verordnung vom 30. Mai 1880. Doch war die
Praxis milder und infolgedessen die Lage der
Kirche günstiger als in andern Ländern der Ober-
rheinischen Kirchenprovinz. Um die Nachteile
eines Kampfes zwischen Kirche und Staat vom
Lande abzuwenden, schloß 1854 Bischof v. Ketteler
die Mainzer Konvention, die aber zu Differenzen
zwischen Regierung und Landständen führte und
1866 auf Ersuchen des Großherzogs von Bischof
v. Ketteler zurückgezogen wurde. Im Jahre 1872
(Ministerium Hofmann) brach auch in Hessen der
Kulturkampf aus. Seine Früchte waren das Schul-
gesetz vom 14. Juli 1874 und die fünf Kirchen-
gesetze vom 23. April 1875. Diese sind: 1) Gesetz
betr. die rechtliche Stellung der Kirchen und Re-
ligionsgemeinschaften im Staat, 2) Gesetz betr. den
Mißbrauch der geistlichen Amtsgewalt, 3) Gesetz
betr. die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen,
4) Gesetz betr. die Orden und ordensähnlichen Kon-
gregationen, 5) Gesetz betr. das Besteuerungsrecht
der Kirchen und Religionsgemeinschaften. In ihren
kulturkämpferischen Bestimmungen decken sich diese
Gesetze vollständig mit dem Inhalt der preußi-
schen Maigesetze. Nach dem Tode Bischof v. Ket-
telers (1877) scheiterte die Wahl eines neuen Bi-
schofs an dem Widerstande der Regierung. Die
kirchliche Notlage wurde immer drückender. Erst
unter dem Ministerium Finger (1884/98) vollzog
sich ein Umschwung. Im April 1886 wurde der
Mainzer Domkapitular Haffner vom Papst zum
Bischof ernannt und eine Umgestaltung der kirchen-
politischen Gesetzgebung eingeleitet. Gesetz 3)wurde
ersetzt durch das Gesetz vom 5. Juli 1887 (Wieder-
eröffnung des Mainzer Seminars und der Kon-
vikte, Besetzung erledigter Pfarreien, Beschränkung
der Anzeigepflicht); Gesetz 2) wurde abgeändert
durch Gesetz vom 7. Sept. 1889 (Beseitigung des
Gerichtshofs für kirchliche Angelegenheiten); Ge-
Hessen.
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setz 4) durch Gesetz vom 1. Juni 1895 (Zugeständ-
nisse an religiöse Orden usw., welche sich aus-
schließlich dem Unterricht und der Krankenpflege
wiomey) ;Gesetz 5) durch Gesetz vom 30. März
Das Bistum Mainz umfaßt 19 Dekanate,
168 Pfarrstellen, 16 Kuratien, 10 Benefizien,
74 Kaplaneien. Klösterliche Niederlassungen haben
Kapuziner, Barmherzige und Josephsbrüder sowie
8 Frauenorden bzw. Kongregationen. Außer dem
Priesterseminar zu Mainz bestehen als Diözesan-
anstalten noch 3 Knabenkonvikte.
Die evangelische Kirchenverfassung wurde
neu geregelt durch landesherrliches Edikt vom
6. Jan. 1874 und Verordnung vom 23. März
1874. Nach der neuen Kirchenverfassung (wie
nach dem früheren Edikt vom 6. Juni 1852) übt
der Landesherr die Kirchenregierung durch das
Oberkonsistorium aus. Unter ihm stehen 3 Super-
intendenturen mit 23 Dekanaten und 410 Pfarreien.
Die Evangelischen sind in Rheinhessen uniert, sonst
überwiegend lutherisch. Die Kirchenverfassung be-
ruht auf dem Synodalsystem. Die Landessynode
wird alle 5 Jahre neu gewählt, tritt nach Bedürf-
nis zusammen und besteht aus je 1 weltlichen und
geistlichen Erwählten jeder der 23 Dekanats-
synoden, 7 (3 geistlichen und 4 weltlichen) vom
Landesherrn ernannten Mitgliedern und dem Prä-
laten. Die Besetzung der Pfarrstellen geschieht
durch den evangelischen Landesherrn auf Vorschlag
des Oberkonsistoriums; das Patronatsrecht und
das in einigen Gemeinden herkömmliche Wahl-
recht ist jedoch bestehen geblieben. Das evangelische
Predigerseminar befindet sich zu Friedberg.
Der altkatholische Bischof wurde durch Verord-
nung vom 15. Dez. 1873 als katholischer Bischof
anerkannt.
An der Spitze jeder israelitischen Religions-
gemeinde steht (Verordnung vom 2. Nov. 1841)
ein Vorstand als deren gesetzlicher Vertreter. Der
Kreisrat ist die dem Vorstand zunächst vorgesetzte
Dienstbehörde. Es bestehen 8 Rabbinate.
Die oberste und ausschließliche Leitung des
Schulwesens steht nach dem Schulgesetz von
1874 dem Staat zu. In einzelnen Fällen (Wahl
der Schulvorstände, Besetzung von Lehrerstellen
usw.) sind die Gemeinden zur Mitwirkung be-
rechtigt. Die Gemeinden tragen auch die Schul-
lasten. Die Regel und Grundform bildet die Si-
multanschule (mit getrenntem Religionsunterricht).
Bestehende Konfessionsschulen dürfen nur mit Zu-
stimmung der Mehrheit der Gemeindevertreter um-
gewandelt werden. Auch können Anträge auf kon-
fessionelle Trennung gestellt werden. Ein solcher
von der Mehrheit abgelehnter Antrag kann nach
3 Jahren von neuem gestellt werden. Besondere
Konfessionsschulen werden als öffentliche Volks-
schulen anerkannt, wenn die betreffende Konfessions-
gemeinde in der Lage ist, die nötigen Geldmittel
nachhaltig zu beschaffen. Die Schulpflicht währt
vom 6. bis zum 14. Lebensjahre, für Knaben folgt