Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

1261 Hof 
dinischen und selbst den französischen Hof der spa- 
nische Hofstaat und das spanische Hofleben bis zu 
Ludwigs XIV. Zeiten hin maßgebend gewesen. 
Nur der Hofstaat der Päpste und jener der eng- 
lischen Könige bildeten sich selbständig aus und 
hielten, wenn auch nicht nach allen Seiten hin, 
fremdes Zeremoniell und fremde Sprachen — den 
diplomatischen Verkehr natürlich abgerechnet — der 
Hauptsache nach fern. 
6. Ludwig XIV., dessen Hof an Glanz und 
Luxus mit dem spanischen wetteiferte, behielt den 
überlieferten Hofstaat der alten Bourbonen schon 
der historischen Weihe wegen in allen seinen Grund- 
zügen bei, vermehrte ihn aber durch viele Neben- 
ämter. Auch bei ihm war, nach dem Vorbilde 
Spaniens, der erste (geistliche) Hofbeamte der 
Großalmosenier, welcher die Aufsicht über die ganze 
Hofgeistlichkeit führte und zugleich Kommandeur 
des Ordens vom Heiligen Geiste war. Unter ihm 
standen zwölf Hofmeister für den regulären Dienst 
undein Oberhausmeister, premier maitred’hotel, 
der über sieben Hofämter (das Mundschenkenamt, 
die Mundküche, die Hofbäckerei, das Hofschenken- 
amt, das Hofküchenamt, die Obstkammer und das 
Holzamt)gesetztwar. Nebenihm fungierte der Ober- 
kammerherr (grand chambellan) mit 4 Ober- 
kammerjunkern und 26 niederen Kammerjunkern; 
ferner der Oberstallmeister, der Oberjägermeister 
mit dem Oberfalkenier und dem Oberwolfsjäger 
(grand louvetier), der Oberzeremonienmeister mit 
2 introducteurs des ambassadeurs. Außer- 
dem schuf Ludwig XIV. ein ganz neues Zeremoniell. 
Die Formen, welche es einführte, waren dem leicht 
beweglichen französischen Naturell entsprechend un- 
gleich leichter und gefälliger als die schwerfällige 
Grandezza der spanischen Hofetikette, immerhin 
jedoch noch beengend und gemessen genug. Der 
Glanz des Hofes von Versailles übertraf damals 
den Kaiserhof in Wien, und Ludwigs XIV. Resi- 
denz und Hofhaltung wurde Vorbild und Muster 
für die Mehrzahl der deutschen Höfe. - 
7. Mit Aufrichtung seines Kaiserreiches war es 
dann Napoleon I., der auch auf diesem Gebiete 
erneuernd auftrat und einen glänzenden Hofstaat 
wiederherstellte, dem er aber ein stark militärisches 
Gepräge aufdrückte durch die Einreihung und Prä- 
zedenz der Marschälle, der Generalkommandanten 
der Garde und der Großoffiziere der Ehrenlegion. 
Ludwig XVIII. teilte den Hofstaat in einen zivilen 
und einen militärischen. Louis Philippe kehrte 
dann, jedoch unter bedeutender Vereinfachung, zu 
dem Napoleonischen Muster wieder zurück, welches 
nach ihm bei Aufrichtung des zweiten Kaiserreiches 
Napoleon III. ziemlich vollständig wiederherstellte. 
Er führte folgende Oberchargen ein: einen Groß- 
almosenier und einen ersten Almosenier, einen 
Großmarschall des Palastes und einen General- 
intendanten des Palastes, einen Oberkammerherrn 
und einen ersten Kammerherrn, einen Kabinetts- 
chef des Kaisers, Oberstallmeister und ersten Stall- 
meister, Oberjägermeister und ersten Jägermeister, 
  
usw. 1262 
Oberzeremonienmeister und einen Gesandtenführer, 
Unterzeremonienmeister und Generalschatzmeister. 
Dazu kam der militärische Hofstaat mit einem 
Chef und ersten Adjutanten, den zehn Marschällen, 
dem Kommandanten der Hundertgarden und dem 
Generalkommandanten der Garde. 
III. Gegenwärtige Hofhaltungen. 1. Der 
Hofstaat des Papstes ist sehr zahlreich, er- 
scheint bei allen hohen Kirchenfesten und feierlichen 
Repräsentationen des Heiligen Stuhles in glän- 
zender Pracht und zerfällt in zwei Hauptstäbe. An 
der Spitze derselben steht der maggior duomo 
(Oberhofmeister und zugleich Präfekt der Aposto- 
lischen Paläste) und der maestro di camera 
(Oberkammerherr). Als die höheren Hofämter in 
denselben werden vergeben die Stellen des maestro 
del sacro ospizio, des geheimen Almoseniers (ele- 
mosiniere segreto), bes cappellano segreto, 
des Oberstallmeisters (cavallerizzo), der geheimen 
Kämmerer, des Meisters der heiligen Garderobe, 
des Großfouriers und mehrerer Hausprälaten des 
Papstes. Im weiteren Sinne werden aber auch 
zum päpstlichen Hofstaate (famiglia pontificia) 
gerechnet: die Vorstände des geheimen Kabinetts, 
welche aus dem Kardinalstande als cardinales 
palatini den engeren Rat für alle Bitten, Be- 
schwerden und Gnadensachen bilden und überhaupt 
eine sehr wichtige politische Stellung haben; der 
cardinal prodatario, gewöhnlich zugleich Dekan 
des Kardinalkollegs; der Kardinalkämmerling; der 
Kardinalstaatssekretär und der Kardinalbreven- 
sekretär. 
2. Wie der päpstliche, so hat auch der Hof- 
staat der Könige von Großbritannien 
und Irland seinen eigenen, selbständigen Ent- 
wicklungsgang genommen, worauf die Ausbildung 
der konstitutionellen Verfassung von wesentlichstem 
Einflusse gewesen ist. Sie hat vor allem die Eigen- 
tümlichkeit erzeugt, daß mehrere der wichtigsten 
Hofämter mit dem Ministerium wechseln. Von 
den alten, durch die normannischen Könige über- 
lieferten Erbämtern sind nur folgende übrig ge- 
blieben: 1) Der Earl marshal, bessen Amt in der 
Familie des Herzogs von Norfolk sich forterbt. 
Er hat bei allen großen Haupt= und Staats- 
aktionen, Krönungen, Hochzeiten das Zeremoniell 
zu ordnen, ist Chef des Herolds= und Wappen- 
amtes und des Court of chivalry. 2) Das Amt 
des Lord great chamberlain, erblich in den Fa- 
milien Cholmondely und Willoughby, welches der 
Hauptsache nach in der Oberaufsicht über das 
Schloß zu Westminster besteht und mit welchem 
gewisse Zeremonialrechte, selbst auf das Parla- 
ment bezüglich, verknüpft sind. 3) Das Amt des 
Great almoners (Großalmoseniers). 4) Das Amt 
des Großfalkeniers (Hereditary great falconer 
of England). — Den sonstigen, eigentlichen 
Hosstaal bilden jetzt die Chefs der drei Ver- 
waltungsdepartements: des Haushofmeisteramts 
(Lord steward of the household); des Ober- 
kammerherrnamts (Chamberlain of the house-
	        
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