Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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rechtlich anerkannte Ehe schließen. — Die privat- 
rechtliche Freilassung höherer Ordnung löst den 
Freigelassenen vom Hause seines Herrn los und 
verleiht ihm die Freizügigkeit. Doch fehlt ihm die 
volle Rechtsfähigkeit der Freigeborenen; es fehlt 
ihm die freigeborene Sippe. Dieser fehlende Schutz 
der Sippe muß durch einen Schutzherrn ersetzt 
werden. Erfolgt dagegen die Freilassung durch 
einen öffentlich-rechtlichen Akt, z. B. vor dem 
König oder Herzog, so wird der Freigelassene 
zum freien Volksgenossen. — Eine Mittelstellung 
zwischen Freien und Knechten nehmen bei den 
Westgermanen die Liten (Leten) oder Aldien 
oder Halbfreien ein. Diese bilden einen erb- 
lichen, durch das Volksrecht geschützten Stand. 
Sie sind an die Scholle gebunden, haben ihrem 
Herrn rechtlich fixierte Dienste und Abgaben zu 
leisten, besitzen die Fähigkeit, Vermögen zu er- 
werben und Verträge zu schließen. Zur Verehe- 
lichung bedürfen sie der Erlaubnis ihres Herrn. 
Die Entstehung des Litenstandes wird auf frei- 
willige Unterwerfung eines überwundenen Volkes 
zurückgeführt. Der Freie kann, wie in den Stand 
der Knechtschaft, so auch in den Stand der Liten 
eintreten, indem er sich freiwillig dahin begibt. 
Der Knecht kann durch Freilassung zum Liten 
emporsteigen. 
III. Fränkische Zeit. In dieser Zeit scheint 
sich die Stellung der Liten etwas gehoben zu 
haben. Sie sind prozeßfähig und genießen das 
Recht des Eides. Da die Person des Liten nicht 
im Eigentum des Herrn steht, kunn er den Liten 
nicht veräußern, wohl aber die Hufe, auf welcher 
der Lite sitzt, und die Dienste, die er zu leisten 
hat. Der Lite zahlt eine persönliche Abgabe an 
den Herrn (litimonium). Dazu kommen noch 
die Zinse und Dienste, die von der Hufe an den 
Herrenhof zu leisten sind; sie sind geringer als 
die des angesiedelten Knechtes. Bei einigen Stäm- 
men sind die Liten auch heerespflichtig. Halb- 
frei sind auch die Kolonen, die sich in Gallien, 
in Bayern und Schwaben aus römischer Zeit her 
gehalten haben; auch sie sind erblich an die Scholle 
gebunden, schulden Abgaben und Dienste dem 
Herrn. In dieselbe Klasse gehört auch der bei 
den Bayern genannte Parschalk oder Parling. 
In der fränkischen Zeit ist es vor allem die 
Kirche, die, wie sie zahlreiche Schutzmaßregeln 
zugunsten der Unfreien erwirkte, so auch die Frei- 
lassung sehr begünstigte und förderte. Die Frei- 
gelassenen wurden vielfach unter ihren Schutz ge- 
stellt. Schon die Gesetzgebung Konstantins hatte 
eine kirchliche Form der Freilassung geschaffen, 
darin bestehend, daß der Sklave in der Kirche vor 
dem Bischof freigelassen und darüber eine Urkunde 
aufgenommen wurde diese Freilassungsform wurde 
dann auch in die germanischen Volksrechte auf- 
genommen. Diese durch die kirchliche Vermitt- 
lung Freigelassenen wurden Hörige derjenigen 
Kirche, die ihre Freilassung vermittelte, und stan- 
den unter ihrer Gerichtsbarkeit. Diese Freigelas- 
Hörigkeit usw. 
  
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senen der Kirche hießen tabularl, befanden sich in 
erblicher Abhängigkeit der Kirche und waren ihr 
zinspflichtig. Eine besondere Art der unter kirch- 
lichen Schutz gestellten Freigelassenen waren die 
corarii, solche, die der Kirche nur zu einem „Zins 
in Wachs“ verpflichtet waren. 
Aus der karolingischen Zeit stammt auch eine 
Abgabe der Freigelassenen, die später unter dem 
Namen Todfall, Sterbfall, Besthaupt, mor- 
tuarium, manus mortua im bäuerlichen Rechts- 
leben weileste Verbreitung fand. Sie besleht darin. 
daß der Schutzherr nach dem Tode des Freigelas- 
senen und jedes seiner Nachkommen das beste Stück 
der hinterlassenen Fahrhabe, z. B. das beste Pferd 
oder Rind oder Schwein oder das beste Gewand 
erhält. In Urkunden niederrheinischer und loth- 
ringischer Kirchen erscheint früh als Ersatz jener 
Leistung ein fester Geldbetrag (häufig 12 Denare), 
der post obitum bezahlt wird. Neben dem Tod- 
fall findet sich oftmals noch die Pflicht, einen 
mäßigen Jahreszins und im Falle der Verhei- 
ratung etliche Denare zu entrichten, eine Heirats- 
gebühr, die uns später unter dem Namen bedde- 
mund oder bumecde begegnet. Die Halbfreien 
konnten durch Freilassung die volle Freiheit 
erlangen. Das fränkische Recht kannte eine Frei- 
lassung durch Schatzwurf (manumissio per 
denarium), die zum vollfreien Franken machte. 
Die manumissio in conspectu principis der 
spätrömischen Kaiserzeit wurde durch diese frän- 
kische Freilassung per denarium vor dem König 
ersetzt; die symbolische Handlung bestand darin, 
daß der Lite dem Herrn einen Denar anbot, den 
dieser ihm aus der Hand schleuderte, so daß die 
Münze zu Boden fiel. Der Denar wurde als 
Kopfzins, als litimonium angeboten, aber vom 
Herrn verschmäht und so die Befreiung von der 
Zinspflicht, die den Halbfreien charakterisiert, zu 
rechtsförmlichem Ausdruck gebracht. Diese Art 
der Freilassung hieß denariatio, der, dem sie zu 
teil ward, homo denarialis. Über den Freilas- 
sungsakt stellte der König eine Urkunde (prae- 
ceptum denariale oder carta denarialis) aus. 
Seit dem 7. Jahrh. konnte die denariatio auch 
zur Freilassung von Knechten dienen. 
Die Knechtschaft hat im fränkischen Reiche 
an Umfang und Verbreitung gewonnen, die Menge 
der Knechte ist erheblich größer geworden. Gallien 
besaß schon zur Zeit der Eroberung einen starken 
Bestand von Sklaven. Als Beute der fränkischen 
Sieger verfielen zahlreiche Gefangene dem Lose 
der Verknechtung. In karolingischer Zeit wurde 
die Zahl der Leibeigenen noch größer durch die 
freiwilligen Verknechtungen, zu welchen freie Leute 
im Drange der wirtschaftlichen Not und wegen 
Zahlungsunfähigkeit genötigt waren. Seit dem 
9. Jahrh. brachten dann die Kämpfe mit den 
Slawen neue Kriegsgefangene und damit neue 
Knechte, die nunmehr allgemein als Sklaven 
bezeichnet wurden. Die rechtliche Stellung der 
Knechte besserte sich allmählich besonders unter dem
	        
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