Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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anzuführen, wonach für Arbeiterinnen über 16 
Jahren der gesetzliche Maximalarbeitstag 11 Stun- 
den beträgt. Mit Rücksicht auf das Hauswesen 
dürfen die Arbeiterinnen an den Vorabenden der 
Sonn= und gesetzlichen Feiertage nur 10 Stunden 
und nur bis 5 ½ Uhr nachmittags beschäftigt 
werden. Die Nachtarbeit (8 ½— 5 ⅛) ist ganz 
untersagt. Falls die Mittagspause nicht schon 
1½ Stunden beträgt, müssen Arbeiterinnen, die 
ein Hauswesen zu besorgen haben, falls sie es 
beantragen, eine halbe Stunde vor der einstün- 
digen Mittagspause entlassen werden. 
Die Beschränkung der Kinderarbeit hat den 
Zweck, zu verhüten, daß die Kinder in den Jahren 
der Entwicklung zum Schaden von Gesundheit und 
Sittlichkeit ausgenützt werden, und zu ermöglichen, 
daß sie mit Nutzen die Schule besuchen können. 
Darum ist die gewerbliche Beschäftigung von Kin- 
dern unter 13 Jahren, bzw. solange sie die Volks- 
schule zu besuchen haben, verboten. Nach der 
Schulentlassung, im 14. Jahre, darf die Arbeits- 
zeit höchstens sechs Stunden betragen. Das neue 
Kinderschutzgesetz hat auch die „eigenen“ Kinder 
in seinen Bereich gezogen, die keine gewerblichen 
Arbeiter im Sinne der Gewerbeordnung sind. 
Neben den eigenen Kindern im gewöhnlichen Sinn 
bezieht sich das Gesetz auch auf 1) die verwandten 
Kinder des Arbeitgebers oder seiner Ehefrau, 
d. h. diejenigen Kinder, die noch im 2. und 3. Grade 
der geraden oder der Seitenlinie blutsverwandt 
sind, 2) die rechtlich adoptierten Kinder, 3) die 
Mündel, 4) die Zwangszöglinge. Alle diese gelten 
vor dem Gesetz als eigene Kinder, wenn sie zum 
Hausstand des Arbeitgebers gehören. Ein Teil 
von Beschäftigungen ist dann für die eigenen wie 
die fremden Kinder ganz verboten, andere nur mit 
Einschränkungen (vgl. Kinderschutz). 
Eine weitere schwierige Aufgabe der sozialpoli- 
tischen Sorge um die Familie ist die Wohnungs- 
frage. Die Wohnungsnot ist nicht bloß in der 
Stadt, sondern auch auf dem Land vorhanden 
und richtet großen wirtschaftlichen Schaden an, 
indem sie ein rechtes Familienleben entweder über- 
haupt nicht aufkommen läßt oder aber direkt 
Anlaß und Gelegenheit zur Unsittlichkeit wird 
(Alkoholismus, Schlafgängerunwesen, Prostitu- 
tion). Alle Maßregeln, mit denen die Wohnungs- 
not bekämpft wird, dienen deshalb auch der Ent- 
wicklung eines gesunden Familienlebens. 
Endlich wären hier noch zu nennen die Bestre- 
bungen zur Heranbildung tüchtiger Hausfrauen 
durch Handarbeits= und Haushaltungs- 
schulen. Uberhaupt muß jenen sozialen Ver- 
hältnissen entgegengearbeitet werden, die viele 
Menschen und hauptsächlich auch Frauen aus den 
Familien herausreißt und sie „familienlos" macht. 
Freilich wird das nicht die sozialpolitische Tätigkeit 
des Staates als solche vermögen. Alle sozialen 
Reformen helfen nichts und helfen vor allem der 
Frau nicht auf, wenn in den Menschen nicht selbst 
der Wille geweckt wird, in der Familie zu bleiben, 
Familienfideikommiß. 
  
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wenn im Gegenteil das Bestreben möglichster Un- 
abhängigkeit und Freiheit die Oberhand behält. 
Literatur. G. v. Below, Art. „F.“ im Wör- 
terbuch der Volkswirtschaft 1 (21906); Cathrein, 
Moralphilosophie (71904); Devas, Das Familien- 
leben (1896); ders., Grundsätze der Volkswirt- 
schaftslehre (übers. von Kämpfe, 1896); Gothein, 
rt. „F.“ im Handwörterbuch der Staatswissen- 
schaften III (21900); Große, Die Formen der F. 
u. der Wirtschaft (1896); F. Keller, Bevölkerungs- 
politik u. christl. Moral (1903); Pesch, Lehrb. der 
Nationalökon. 1 (1905); R. Schröder, Lehrb. der 
deutschen Rechtsgesch. ((1907). (Fr. Keller.]) 
Familiensideikommiß. 1. Entste- 
hung. Über den Ursprung der Fideikommisse 
gingen die Meinungen lange Zeit auseinander. 
Heute wird wohl allgemein in ihnen eine Nach- 
bildung der spanischen Majorate erblickt. Man 
bezeichnete mit diesem Namen Verleihungen von 
Krongut, bei denen der verliehene und nach dem 
Grundsatz der Primogenitur vererbte Besitz unver- 
äußerlich und gebunden war bis zum Aussterben 
der Agnaten. Die Ableitung der Fideikommisse 
aus dem römischen oder langobardischen Recht. 
darf als irrige Annahme bezeichnet werden. Das 
spanische Institut der Majorate kam zur Zeit der 
spanisch-habsburgischen Herrschaft von Spanien 
nach Italien und von dort Anfang des 17. Jahrh. 
nach Osterreich, von hier allmählich nach dem 
übrigen Deutschland. Die veränderten wirtschaft- 
lichen und politischen Zustände, nicht zuletzt auch 
das römische Recht mit seiner freien Verfügung 
über das Grundeigentum und der Gleichstellung 
aller Erben gleichen Grades sowie der Männer 
und Frauen bedrohte die Erhaltung des Grund- 
eigentums in der Familie gerade in den Kreisen des 
niedern Adels aufs schwerste. Der hohe Adel 
schützte sich kraft seiner autonomen Befugnisse 
durch Hausgesetze, der Bauer war entweder ganz 
auf fremder Scholle tätig oder in seiner Be- 
wegungsfreiheit von der Zustimmung des Ober- 
eigentümers abhängig. Der niedere Adel bildete 
nun das aus Spanien übernommene Recht der 
Majorate, vielleicht unter einer gewissen Anleh- 
nung an das deutsche Stammgutsrecht, um und 
sicherte sich so ein unveräußerliches Familiengut. 
In der späteren Zeit wurde die Errichtung der 
Fideikommisse grundsätzlich auch nichtadligen Fa- 
milien gestattet; nur in Bayern und Baden ist 
auch heute noch der Adel allein dazu berechtigt. 
Zum allergrößten Teil hat von diesem Sonderrecht 
allerdings der Adel Gebrauch gemacht, schon des- 
wegen, weil er früher vorwiegend im Besitz grö- 
ßerer Güterkomplexe war und bei ihm das Bewußt- 
sein der Familienzusammengehörigkeit ganz anders 
ausgebildet ist als beim Bürger= und Bauern- 
stand. Erst in der allerneuesten Zeit tritt auch in 
nichtadligen Familien das Bestreben nach fidei- 
kommissarischer Bindung ihres Besitzes mehr zu- 
tage. 
2. Rechtliche Grundlage. Der Begrün- 
der der Theorie der Fideikommisse war Philipp
	        
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