Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Ritterkaste, abgabenfrei, zum Schwerttragen be- 
rechtigt, mit erblichen Einkünften und meist auch 
erblichen Amtern. Unter ihnen stand am höchsten 
der Schogun (im Verkehr mit dem Auslande 
„Taikun“, „großer Herr“, genannt). Dann folg- 
ten die etwa 255 Daimio, die Inhaber der erb- 
lichen Feudalherrschaften mit über 10 000 Koku 
(à 180 1) Reis Einkommen; einen Teil des Jahres 
mußten sie am Hofe des Schoguns in Jedo resi- 
dieren, der sich durch dieses Mittel ihres Gehor- 
sams versichern wollte. Die Vasallen des Schoguns 
und der Daimio, die Samurai, hatten meist keinen 
Grundbesitz, sondern feste Bezüge; sie bildeten das 
Heer, hatten alle Amter mit Ausnahme der Hof- 
ämter inne und waren die eigentlichen Träger der 
Bildung und des Nationalstolzes. 
Als im 19. Jahrh. der Stille Ozean in den 
Bereich der Weltwirtschaft gezogen wurde, war 
die Absperrung des Reiches nicht mehr zu halten. 
Damals war die Macht der Tokugawa infolge 
ihrer eigenen Untüchtigkeit bereits im Sinken. 
Schlechte Finanzen und die Unzufriedenheit der 
vielfach verarmten Samurai beeinträchtigten die 
Autorität der Schogunregierung, und der im 
18. Jahrh. erwachte Kult der alten UÜberlieferung 
und des Schintoismus wandte die Sympathien 
dem Mikado zu, während die Schogune als Usur- 
patoren galten. Den Anstoß zur Umwälzung gab 
die Landung eines amerikanischen Geschwaders 
unter Perry 1853 und 1854, das im Vertrag 
von Kanagawa 31. März 1854 die Offnung der 
Häfen Schimoda und Hakodate erzwang. In den 
nächsten Jahren erfolgten ähnliche Zugeständnisse 
an die Niederländer, Russen, Engländer und 
Franzosen, 24. Jan. 1861 (Expedition Graf 
Eulenburg) auch an Preußen und den Zollverein. 
Das Bakufu genehmigte Handels= und Religions- 
freiheit in Jokohama, Nagasaki und Hakodate 
von 1859, in Niigata von 1860, in Hiogo und 
Osaka von 1863 an, ließ diplomatische Vertreter 
in Jedo und die Errichtung von Konsulaten in 
den genannten Häfen zu. Bald erfolgte jedoch ein 
Rückschlag. Die Zugeständnisse an die Fremden 
riefen vor allem bei den Samurai Erbitterung 
gegen die Schogunregierung hervor. Der Mikado 
gebot die Aufhebung der Verträge, und da bei der 
damals herrschenden Teurung die Revolution in 
Aussicht stand, erwirkte der Schogun von den 
Mächten wenigstens einen fünfjährigen Aufschub 
(1861). Gewaltsame Ausbrüche des Fremden- 
hasses blieben dennoch nicht aus, mehrere Euro- 
päer wurden ermordet, fremde Schiffe beschossen. 
Die dafür erteilten Lektionen, die Beschießung von 
Kagoschima und Schimonoseki 1863/64, machten 
aber auch den Daimio und dem Mikado klar, daß 
die Barbaren sich nicht mehr vertreiben ließen, 
und 1865 erfolgte die Bestätigung der Verträge 
durch den Mikado, der mit Hilfe der Volksstim- 
mung an Autorität gewonnen hatte und wieder 
mehr und mehr als der eigentliche Herr des Reiches 
anerkannt wurde. 
  
Japan. 
  
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Um so mehr richtete sich der Unwille gegen den 
Schogun. Die Daimio im südlichen Japan, von 
Satsuma, Hizen, Choschu und Tosa, einigten sich, 
die Schogunregierung überhaupt zu beseitigen und 
die legitime Mikadoherrschaft wiederherzustellen. 
Das Ziel der Bewegung, die von Saigo Taka- 
mori geleitet wurde, war, selbst den leitenden Ein- 
fluß zu gewinnen. Von diesem Kreis beraten, 
forderte Mutsuhito, der 121. Mikado, der 1867 
mit 15 Jahren den Thron bestieg, den Schogun 
auf, seine Abdankung einzureichen; Tokugawa 
Hitotsubaschi tat es, suchte aber die Macht zu be- 
halten. Am 3. Febr. 1868 zeigte der Mikado den 
Mächten an, daß er infolge der Abdankung des 
Schogun selbst die Regierung ergriffen habe, und 
bald darauf, daß er die Verträge anerkenne und 
freundliche Beziehungen unterhalten wolle. Am 
25. Febr. wurde der Schogun geächtet und ein 
starkes Heer unter Prinz Arisugawa aufgeboten. 
Der Schogun unterlag und wurde verbannt. Der 
Mikado trat jetzt aus seiner Abgeschlossenheit her- 
aus und verlegte die Residenz von Kioto nach 
Jedo, das jetzt Tokio genannt wurde. 
Es zeigte sich bald, daß die neue Regierung das 
Bakufu an Hinneigung zum Ausland weit über- 
traf und mit raschem Entschluß die abendländische 
Kultur einzuführen suchte. Die Zeitungen, die 
seit 1870 auftauchten, bearbeiteten das Volk in 
diesem Sinne. Da die Daimio 1869 ihre Macht 
und ihren Besitz in die Hand des Mikado zurück- 
gaben, war die Bahn für vollständige Abschaffung 
des Feudalsystems frei; dafür wurde die allge- 
meine Wehrpflicht eingeführt und mit französischen, 
später mit deutschen Offizieren das Heer reorgani- 
siert. Nach Auflösung der Feudalherrschaften wurde 
das Reich 1871 neu eingeteilt. Auch die Kasten- 
unterschiede fielen. Japaner wurden zu Studien 
ins Ausland geschickt, ausländische Techniker, 
Beamte und Lehrer herangezogen, um das Land 
möglichstrasch vom Ausland unabhängig zumachen. 
1876 wurde das Verbot des Christentums aufge- 
hoben und aus praktischen Gründen der Sonntag 
als offizieller Feiertag, wie schon 1873 der gre- 
gorianische Kalender, eingeführt. — Diese Um- 
wälzung gelang nicht ohne schwere Erschütterun- 
gen; doch kamen die Störungen nicht von den An- 
hängern der gestürzten, sondern von den enttäusch- 
ten Anhängern der neuen Regierung. Am schwersten 
litten unter der Abschaffung des Feudalwesens die 
Samurai. Da die Finanzen infolge der Revo- 
lution und der innern Umgestaltung danieder- 
lagen, setzte man die Pensionen der Daimio und 
Samurai herab. Eine Ablenkung dieser Miß- 
stimmung durch ein Unternehmen auf Formosa 
scheiterte am Widerspruch Chinas; vollends er- 
bitternd wirkte das Verbot des Schwerttragens 
1876. Nach mehreren kleineren Unruhen kam es 
1877 zum Aufstand in Satsuma, der schwersten 
innern Krisis, die das neue Japan durchzumachen 
hatte. Führer des Aufstandes war Saigo Taka- 
mori, dessen Mut und Geschick der Mikado haupt-
	        
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