1297
Ritterkaste, abgabenfrei, zum Schwerttragen be-
rechtigt, mit erblichen Einkünften und meist auch
erblichen Amtern. Unter ihnen stand am höchsten
der Schogun (im Verkehr mit dem Auslande
„Taikun“, „großer Herr“, genannt). Dann folg-
ten die etwa 255 Daimio, die Inhaber der erb-
lichen Feudalherrschaften mit über 10 000 Koku
(à 180 1) Reis Einkommen; einen Teil des Jahres
mußten sie am Hofe des Schoguns in Jedo resi-
dieren, der sich durch dieses Mittel ihres Gehor-
sams versichern wollte. Die Vasallen des Schoguns
und der Daimio, die Samurai, hatten meist keinen
Grundbesitz, sondern feste Bezüge; sie bildeten das
Heer, hatten alle Amter mit Ausnahme der Hof-
ämter inne und waren die eigentlichen Träger der
Bildung und des Nationalstolzes.
Als im 19. Jahrh. der Stille Ozean in den
Bereich der Weltwirtschaft gezogen wurde, war
die Absperrung des Reiches nicht mehr zu halten.
Damals war die Macht der Tokugawa infolge
ihrer eigenen Untüchtigkeit bereits im Sinken.
Schlechte Finanzen und die Unzufriedenheit der
vielfach verarmten Samurai beeinträchtigten die
Autorität der Schogunregierung, und der im
18. Jahrh. erwachte Kult der alten UÜberlieferung
und des Schintoismus wandte die Sympathien
dem Mikado zu, während die Schogune als Usur-
patoren galten. Den Anstoß zur Umwälzung gab
die Landung eines amerikanischen Geschwaders
unter Perry 1853 und 1854, das im Vertrag
von Kanagawa 31. März 1854 die Offnung der
Häfen Schimoda und Hakodate erzwang. In den
nächsten Jahren erfolgten ähnliche Zugeständnisse
an die Niederländer, Russen, Engländer und
Franzosen, 24. Jan. 1861 (Expedition Graf
Eulenburg) auch an Preußen und den Zollverein.
Das Bakufu genehmigte Handels= und Religions-
freiheit in Jokohama, Nagasaki und Hakodate
von 1859, in Niigata von 1860, in Hiogo und
Osaka von 1863 an, ließ diplomatische Vertreter
in Jedo und die Errichtung von Konsulaten in
den genannten Häfen zu. Bald erfolgte jedoch ein
Rückschlag. Die Zugeständnisse an die Fremden
riefen vor allem bei den Samurai Erbitterung
gegen die Schogunregierung hervor. Der Mikado
gebot die Aufhebung der Verträge, und da bei der
damals herrschenden Teurung die Revolution in
Aussicht stand, erwirkte der Schogun von den
Mächten wenigstens einen fünfjährigen Aufschub
(1861). Gewaltsame Ausbrüche des Fremden-
hasses blieben dennoch nicht aus, mehrere Euro-
päer wurden ermordet, fremde Schiffe beschossen.
Die dafür erteilten Lektionen, die Beschießung von
Kagoschima und Schimonoseki 1863/64, machten
aber auch den Daimio und dem Mikado klar, daß
die Barbaren sich nicht mehr vertreiben ließen,
und 1865 erfolgte die Bestätigung der Verträge
durch den Mikado, der mit Hilfe der Volksstim-
mung an Autorität gewonnen hatte und wieder
mehr und mehr als der eigentliche Herr des Reiches
anerkannt wurde.
Japan.
1298
Um so mehr richtete sich der Unwille gegen den
Schogun. Die Daimio im südlichen Japan, von
Satsuma, Hizen, Choschu und Tosa, einigten sich,
die Schogunregierung überhaupt zu beseitigen und
die legitime Mikadoherrschaft wiederherzustellen.
Das Ziel der Bewegung, die von Saigo Taka-
mori geleitet wurde, war, selbst den leitenden Ein-
fluß zu gewinnen. Von diesem Kreis beraten,
forderte Mutsuhito, der 121. Mikado, der 1867
mit 15 Jahren den Thron bestieg, den Schogun
auf, seine Abdankung einzureichen; Tokugawa
Hitotsubaschi tat es, suchte aber die Macht zu be-
halten. Am 3. Febr. 1868 zeigte der Mikado den
Mächten an, daß er infolge der Abdankung des
Schogun selbst die Regierung ergriffen habe, und
bald darauf, daß er die Verträge anerkenne und
freundliche Beziehungen unterhalten wolle. Am
25. Febr. wurde der Schogun geächtet und ein
starkes Heer unter Prinz Arisugawa aufgeboten.
Der Schogun unterlag und wurde verbannt. Der
Mikado trat jetzt aus seiner Abgeschlossenheit her-
aus und verlegte die Residenz von Kioto nach
Jedo, das jetzt Tokio genannt wurde.
Es zeigte sich bald, daß die neue Regierung das
Bakufu an Hinneigung zum Ausland weit über-
traf und mit raschem Entschluß die abendländische
Kultur einzuführen suchte. Die Zeitungen, die
seit 1870 auftauchten, bearbeiteten das Volk in
diesem Sinne. Da die Daimio 1869 ihre Macht
und ihren Besitz in die Hand des Mikado zurück-
gaben, war die Bahn für vollständige Abschaffung
des Feudalsystems frei; dafür wurde die allge-
meine Wehrpflicht eingeführt und mit französischen,
später mit deutschen Offizieren das Heer reorgani-
siert. Nach Auflösung der Feudalherrschaften wurde
das Reich 1871 neu eingeteilt. Auch die Kasten-
unterschiede fielen. Japaner wurden zu Studien
ins Ausland geschickt, ausländische Techniker,
Beamte und Lehrer herangezogen, um das Land
möglichstrasch vom Ausland unabhängig zumachen.
1876 wurde das Verbot des Christentums aufge-
hoben und aus praktischen Gründen der Sonntag
als offizieller Feiertag, wie schon 1873 der gre-
gorianische Kalender, eingeführt. — Diese Um-
wälzung gelang nicht ohne schwere Erschütterun-
gen; doch kamen die Störungen nicht von den An-
hängern der gestürzten, sondern von den enttäusch-
ten Anhängern der neuen Regierung. Am schwersten
litten unter der Abschaffung des Feudalwesens die
Samurai. Da die Finanzen infolge der Revo-
lution und der innern Umgestaltung danieder-
lagen, setzte man die Pensionen der Daimio und
Samurai herab. Eine Ablenkung dieser Miß-
stimmung durch ein Unternehmen auf Formosa
scheiterte am Widerspruch Chinas; vollends er-
bitternd wirkte das Verbot des Schwerttragens
1876. Nach mehreren kleineren Unruhen kam es
1877 zum Aufstand in Satsuma, der schwersten
innern Krisis, die das neue Japan durchzumachen
hatte. Führer des Aufstandes war Saigo Taka-
mori, dessen Mut und Geschick der Mikado haupt-