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Moralsystem sein, zu welchem ihn die Jesuiten-
gegner zu machen suchen. Zweitens, wenn der
Orden keine Geistestyrannei üben wollte, so
konnte er seinen Mitgliedern die Annahme und
Vertretung dieses Systems nicht untersagen. Übri-
gens ist es jedem Jesuiten erlaubt, den sog. Pro-
babiliorismus zu verteidigen (Cong. 13, decr. 18).
Allein der echte Probabilismus ist eher ein strenges
als ein laxes Moralsystem. Seine Grundlagen
sind nämlich kurz folgende: Selbst dort, wo nach
gewissenhafter und allseitiger Prüfung nichts im
strengen Sinne Gewisses für eine vorhandene
Verpflichtung von irgend einer Seite ausgemacht
werden kann, muß dennoch auf das Vorhanden-
sein einer solchen erkannt werden, wenn gewichtigen
Gründen für dieselbe nicht ebenfalls absolut und
relativ gewichtige Gründe gegen dieselbe entgegen-
stehen. Im entgegengesetzten Falle, wo absolut
und relativ gewichtige Gründe gegen die Ver-
pflichtung sprechen, ist die Verpflichtung als sehr
zweifelhaft nicht zu urgieren. Drei Momente
werden also zu einer wahrhaft probabeln Mei-
nung, der man folgen darf, nach den Grund-
sätzen des echten Probabilismus gefordert: 1) Es
darf sich nach angestellter gewissenhafter und mög-
lichst allseitiger Prüfung kein durchschlagender
Grund für das Bestehen einer Verpflichtung von
irgend einer Seite ergeben. Es müssen 2) mehr
oder minder wahrhaft wichtige Wahrscheinlichkeits-
gründe für das Bestehen einer derartigen Ver-
pflichtung vorhanden sein. Wo diese fehlen, liegt
allenfalls ein bloßer negativer, schlecht begrün-
deter Zweifel betreffs der Verpflichtung vor, den
man verachten muß. Es müssen endlich 3) auch
wahrhaft solide Gründe vorgebracht werden gegen
das Bestehen derselben Verpflichtung; d. h. es
müssen gewichtige Gründe vorliegen, welche es
mehr oder minder wahrscheinlich machen, daß die
entgegengesetzten Gründe für die Verpflichtung
trotz des gegenteiligen Scheines nur Scheingründe
sind (vgl. Duhr, Jesuitenfabeln (11904) 481 ffl.
Der Grundsatz, daß der Zweck die Mittel
heilige, ist, uneingeschränkt verstanden, im höch-
sten Grade unsittlich, in richtiger Beschränkung
dagegen sehr wahr. Wenn die gewählten Mittel
an sich gut oder doch an sich sittlich indifferent
sind, so werden sie durch den guten Zweck aller-
dings geheiligt. Und nur in diesem Sinne und
Zusammenhange stellen die Jesuiten, auch Busen-
baum, Filliucius u. a., diesen Satz auf. Daß aber
ein guter Zweck ein unsittliches Mittel jemals
seiner Unsittlichkeit entkleiden und es heiligen
könne, hat niemals ein Jesuit gelehrt. Darüber
kann vernünftigerweise kein Zweifel obwalten.
Denn in all den vielen großen Kommentaren,
welche die verschiedensten Jesuiten zum ersten Ab-
schnitt des zweiten Teiles (ad 1 °2 2669) der theo-
logischen Summa des hl. Thomas von Aquin,
des theologischen Führers aller Jesuitenschulen,
verfaßt haben, wird mit der größten Übereinstim-
mung und Ausführlichkeit die Lehre vorgetragen,
Jesuiten.
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daß zur sittlichen Gutheit einer Handlung nicht
bloß der sittlich gute Zweck gehöre, sondern daß
auch das Objekt und das Mittel wenigstens nicht
sittlich schlecht sein dürfe; endlich dürfe kein Um-
stand vorhanden sein, welcher durch seine sittliche
Verkehrtheit die Handlung trotz guten Zweckes
und trotz guten Gegenstandes vom Guten zum
Bösen verkehre. Aus dem Zusammenhang ge-
rissene, vielleicht auch weniger scharf gefaßte, weil
selbstverständliche Texte oder Texte, die von den
Gegnern aus Unwissenheit, Urteilslosigkeit, Bos-
heit verstümmelt, mißkonstruiert oder mißverstan-
den wurden, vermögen niemals das Gegenteil zu
beweisen. Die die ganze Jesuitenmoral beherr-
schenden Fundamentalsätze liegen allzu klar zutage
(ogl. Duhr a. a. O. 542 ff; dort auch S. 562 über
den Prozeß Dasbach-Hoensbroech; das Urteil des
Kölner Oberlandesgerichts gegen Hoensbroech in
Kölnische Volkszeitung 1905, Nr 273).
Über Mariana, dessen noch so verklausulierte
Lehre von der Erlaubtheit des Tyrannenmordes
der Orden aufs entschiedenste von sich wies und
allen Mitgliedern unter den schwersten Strafen
verbot, vgl. Duhr a. a. O. 722 ff.
III. Der äußere Ordensaufbau. Die eigent-
liche innere gesetzgeberische Gewalt des Ordens liegt
in der Hand der sog. Generalkongregation,
da sie die einzige rechtliche Repräsentation des
ganzen kirchlich autonomen Ordens ist. Jedoch
ist für den Zusammentritt derselben im Institute
keine bestimmte Zeit festgesetzt, außer beim Tode
des Generals zur Neuwahl seines Nachfolgers.
In andern außerordentlichen Fällen ist es Sache
entweder des Generals selbst oder seiner Assistenten,
sie zu berufen (Const. 8, c. 2, § 1; vgl. 9, c. 4,
§ 7;c. 5, § 4). Die Generalversammlung des
Ordens setzt sich zusammen aus dem General oder
seinem Vikar, den Assistenten, den zeitigen Ordens-
provinzialen bzw. ihren Stellvertretern und aus
zwei Deputierten jeder Provinz (Const. 8, c. 3,
§5 1 u. Ah). Letztere werden von den einzelnen
Provinzialkongregationen gewählt. Diese selbst
bestehen aus dem jedesmaligen Provinzial, den
Rektoren und den älteren Professen jeder Ordens-
provinz (Const. 8, c. 3, 82; Congr. 4, decr. 35,
37, 39; 5, decr. 24, 38, 60, 81). Diesen
Kongregationen kommt indessen keine Jurisdik-
tionsgewalt zu. Die Generalkongregation hin-
gegen kann 1), insofern sie nur die durch die päpst-
lichen Konstitutionen unverrückbar festgelegten
Grundlagen des Ordens wahrt und den Unter-
gebenen keine die gemachte Profession wesentlich
überschreitenden Pflichten auflegt, alle in den
Rahmen des Ordenszweckes fallenden Gesetze und
Konstitutionen erlassen, frühere aufheben und ab-
ändern; sie hat 2) allein die Macht, den General
zu wählen oder auch in gewissen Fällen ihn ab-
zusetzen; bei ihr allein steht es 3), einmal begrün-
dete Profeßhäuser und Kollegien wieder aufzu-
lösen (Const. 8, c. 2, § 2). Es bedarf kaum der
Erwähnung, daß päpstlichen Verfügungen, welche