Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

1355 
Abfall der bourbonischen Fürsten vom Papste 
drohte, da war es mit dem an sich schon nicht 
starken Widerstande vollends aus. Scheinvisitatio- 
nen, die mit Austreibung der Patres aus den be- 
treffenden Kollegien endigten, folgten rasch auf- 
einander. Endlich unterzeichnete Klemens XIV. 
am 17. Juni 1773 das Aushebungsbreve Do- 
minus ac Redemptor noster. Am 16. Aug., 
gegen 6 Uhr abends, wurde das Breve im Gesn 
und in den andern Häusern des Ordens zu Rom 
verkündet. Archive und Sakristeien wurden ver- 
siegelt, sämtliche Jesuiten in ihren Häusern inter- 
niert und einstweilen von allen geistlichen Funk- 
tionen suspendiert. Der General Laurentius Ricci 
wurde zuerst im englischen Kolleg, dann in der 
Engelsburg in strengem Gewahrsam gehalten, bis 
er nach zwei Jahren in der Haft verschied. Seine 
Assistenten und ein paar andere hervorragende 
Ordensmitglieder teilten seine Gefangenschaft. 
Schamlose Plünderungen von seiten der mit Aus- 
führung des Breve betrauten Prälaten Alfani, 
Macedonio, Buontempi folgten der Auflösung. 
Strafwürdiges aber wurde trotz der Durchmuste- 
rung aller Archive, trotz der strengsten Untersuchung, 
die das schon vollstreckte Urteil nachträglich recht- 
fertigen sollte, bei den Jesuiten nicht entdeckt. 
Das Breve selbst zerfällt in drei Teile. Nach 
der Einleitung wird zuerst dargetan, daß schon 
mancher Orden in der Kirche von den Päpsten 
aufgehoben worden ist (§§ 1/14); sodann werden 
alle jene Vorwürfe, Anklagen usw. vorgetragen, 
mit welchen man den Orden anzugreifen pflegte 
(6§ 15/22). Daß aber alle diese Beschuldigungen 
wahr seien, wird nicht gesagt. Es ist stets nur die 
Rede von Anklagen, Vorwürfen usw.; erst im 
§ 21 findet sich endlich Tatsächliches. Welche 
Schuld aber dabei den Orden als solchen trifft, 
bleibt dunkel. Zum Teile sind die behaupteten Tat- 
sachen selbst unrichtig angegeben, so wenn gesagt 
wird, Klemens XIII. sei die Bestätigungsbulle so- 
zusagen abgezwungen worden (Duhr, Jesuiten= 
fabeln I11904) 423). Endlich beginnt mit 8 25 der 
wichtigste und dispositive Teil des Breve. Als maß- 
gebende Gründe für die Aufhebung werden folgende 
angegeben: die Herstellung des Friedens in der 
Kirche; die Unmöglichkeit für den Orden, jetzt noch 
ebenso reiche Früchte für die Kirche wie ehedem 
hervorzubringen (ein Satz, durch welchen indirekt 
manche vorher erwähnte Anklagen als unzutreffend 
gekennzeichnet werden); endlich Gründe, von wel- 
chen der Papst glaubt, sie in seiner Brust ver- 
schlossen halten zu müssen. Unter diesen Gründen 
ist keine erwiesene Schuld des Ordens zu verstehen, 
denn nach § 35 des Breve ging keine Untersuchung 
vorher; selbst später ergab sich nichts. Ja der in- 
grimmige Jesuitenfeind Kardinal Malvezzi von 
Bologna hatte dem Papste von einer solchen vor- 
hergehenden Untersuchung aufs entschiedenste ab- 
geraten, weil dieselbe mit der Konstatierung der 
vollkommenen Unschuld des Ordens endigen und 
damit ein unter den gegebenen Umständen höchst 
Jesuiten. 
  
1356 
unerwünschtes Resultat liefern würde. Und wenn 
der Papst im späteren Verlaufe des Breve die Mit- 
glieder des Ordens ohne weiteres zur Bekleidung 
aller kirchlichen Würden und Amter fähig erklärte, 
so ergibt sich daraus unmittelbar, daß gar nichts 
gegen sie vorlag. Ein wichtiger Umstand, welcher 
dieses Breve betrifft, darf nicht unerwähnt bleiben. 
Eine öffentliche, allgemeine Promulgation des- 
selben fand niemals statt. Die Promulgation ist 
nun aber ein wesentliches Requisit jedes Gesetzes 
(ogl. § 35 des Breve). Mithin blieb der Erfolg 
dieses Gesetzes suspendiert, bis die Promulgation 
und Notifikation desselben in den einzelnen Diö- 
zesen, oder vielmehr, wie es in der betreffenden 
Ausführungsbestimmung vom 18. Aug. 1773 an- 
geordnet war, in den einzelnen Häusern stattge- 
funden hatte. Da nun Katharina II. von Ruß- 
land eine solche Promulgation in ihren Ländern 
aufs entschiedenste verhinderte, so blieb der Orden 
dort fortbestehen, und es konnten die dortigen 
Jesuiten mit gutem Gewissen fortfahren, nach ihren 
Gelübden und Ordenssatzungen zu leben. Am 
12. März 1783 gab Pius VI. mündlich die Geneh- 
migung zum Fortbestehen des Instituts in Rußland. 
VI. Wiederaufrichtung des Ordens. Die 
völlige Wiederaufrichtung des Ordens erfolgte nur 
allmählich: zuerst für Rußland auf das Gesuch 
des Zaren Paul I. durch Breve vom 7. März 
1801. Dann für das Königreich beider Sizilien 
auf das Ansuchen desselben Ferdinand I. (IV.), 
der, von andern bestimmt, die Jesuiten 37 Jahre 
früher aus seinen Staaten vertrieben hatte, unter 
dem 30. Juli 1804. Zwar wurden die Patres 
von Napoleon schon 1806 aus der Stadt und dem 
Königreich Neapel wieder ausgewiesen; aber in 
Sizilien verblieben sie, und als die Franzosen- 
herrschaft aufhörte, kehrten sie auch wieder nach 
Neapel zurück. Die aus Neapel Vertriebenen hatten 
das Exil benutzt, im Kirchenstaate neue Nieder- 
lassungen zu gründen und die Franzosen hatten 
derselben geschont. Den in England, Irland, 
Amerika lebenden Ex-Jesuiten hatte Pius VII. 
schon früher verstattet, sich dem in Rußland wieder- 
errichteten Orden in foro conscientiae anzu- 
schließen. Am 24. Dez. 1813 erfolgte von Fon- 
tainebleau aus für diese Länder die kanonische 
Wiederherstellung des Ordens. Endlich war die 
Zeit da, den Orden wiederum auf dem ganzen 
Erdenrunde ins Leben zu rufen. Dieses geschah 
auf die Bitten fast des ganzen katholischen Erd- 
kreises, vieler Erzbischöfe und Bischöfe, durch die 
Bulle Sollicitudo omnium ecclesiarum am 
7. Aug. 1814 durch Pius VII. Über die Wirk- 
samkeit der Jesuiten in Deutschland 1848/72 
geben Aufschluß die Aktensammlungen von Duhr, 
Aktenstücke zur Geschichte der Jesuitenmissionen in 
Deutschland (1903) und von Rist, Die deutschen 
Jesuiten auf den Schlachtfeldern und in den 
Lazaretten 1866 und 1870/71 (1904). 
VII. Das Verhältnis der Staatsgewalt 
zum Orden ist als ein in einzelnen Ländern dem
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.