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rechts beruft, so kann jenes doch nur insoweit vor
dem forum der Kirche als rechtskräftig betrachtet
werden, als es sich um die Ausdehnung des
Asylrechts, wie solche nach und nach entstanden,
handelt. Dasselbe besteht nämlich kirchenrechtlich
nicht bloß für das Innere der Kirche, sondern auch
für die Nebengebäude und für die Umgebung von
40 Schritten bei Kathedralkirchen und 30 bei
andern Kirchen; ferner für öffentliche und Privat-
oratorien, wenn sie mit bischöflicher Erlaubnis er-
richtet sind; dann für Friedhöfe bei der Kirche und
auch für solche von ihr getrennte, die mit bischöf-
licher Genehmigung errichtet und benediziert wor-
den sind. Selbst Klöster, Seminarien, kirchliche
Spitäler, Wohnungen der Kardinäle, Nuntien,
Bischöfe und Pfarrer genossen das Asylrecht. Diese
Ausdehnungen über das Kirchengebäude und die
Friedhöfe hinaus dürfte das Gewohnheitsrecht
abrogiert haben, nicht aber darf solches angenom-
men werden bezüglich der „Substanz“ des Asyl-
rechts (8. Off. 22. Dez. 1880; Archiv für kathol.
Kirchenrecht XI.VI 25), d. i. bezüglich der hei-
ligen Orte selbst, nämlich der Kirchen und Fried-
höfe als gottgeweihter und heiliger Orte. Ein
unnötiger Gewaltakt in denselben würde schon
naturrechtlich eine Verletzung der Heiligkeit des
Ortes involvieren. Deshalb nimmt man in letz-
terer Beziehung das Asylrecht als auf dem gött-
lichen Rechte beruhend an (vgl. c. 4 in VI. III, 30;
Conc. Trid. sess. XXV, c. 20 de ref.) und kann
man hier auch nicht von seiner gänzlichen Be-
seitigung durch das Gewohnheitsrecht reden. Da-
her hat auch noch Pius IX. die ohne weiteres ein-
tretende Exkommunikation verhängt über die im-
munitatem asyli eeclesiastici ausu temerario
violare iubentes aut violantes (Const. Apost.
Sed. vom 12. Okt. 1869, Nr 18). Was aber die
Ausdehnung dieser Immunität auf nicht heilige
Orte anbetrifft, so kann dieselbe als eine auf der
Geschichte beruhende Entwicklung und deshalb als
ein abrogierbares und tatsächlich abrogiertes Recht
betrachtet werden. Hat doch die kirchliche Gesetz-
gebung selbst das Asylrecht nicht als ein absolutes
aufgestellt. Es nahm von dem Genusse desselben
besonders schwere Verbrecher aus, als Straßen-
räuber, nächtliche Verwüster der Felder, Mörder,
die an heiliger Stätte oder in verräterischer Weise
den Mord verübt, Assassinen oder gedungene Mör-
der, Majestätsverbrecher, Häretiker, Verletzer des
kirchlichen Asylrechts, Fälscher päpstlicher Akten-
stücke, Veruntreuer öffentlicher Kassen, Falsch-
münzer usw. Ebenso dürfen auch heute noch Kirchen-
diebe und Einbrecher in den Kirchen und Fried-
höfen verhaftet werden, wenn sie auf der Tat er-
tappt werden (c. 10, X. III, 49). Zwar soll hierzu
erst die Erlaubnis des Bischofs eingeholt werden
und die Verhaftung selbst durch eine hierzu bevoll-
mächtigte Person erfolgen (vgl. Const. Cum alias),
doch kann auch dies als infolge der veränderten
Zeiterhältnisse durch entgegenstehendes Gewohn-
heitsrecht beseitigt betrachtet werden (s. Näheres
Immunität, kirchliche.
1362
über Agylrecht: Hinschius, Kirchenrecht IV 380 f
Hollweck, Kirchliche Strafgesetze, Mainz 1899,
S. 211, § 140; Archiv für kathol. Kirchenrecht
LXXVIII 24ff).
Staatsgesetze. Durch die moderne Staats-
gesetzgebung ist die Immunität in den einzelnen
Ländern entweder gänzlich aufgehoben oder doch
wesentlich beschränkt. So ist das Asylrecht überall
vollständig beseitigt. Nur in Osterreich bestimmt
AArt. 15 des Konkordats von 1855, daß das Asyl=
recht, soweit es mit der öffentlichen Sicherheit und
der Rechtspflege verträglich ist, gewahrt werden
soll. Indes stehen Kirchen als heilige Gebäude
überall unter dem besondern Schutze des Staates,
insofern Vergehen in ihnen mit besondern
Strafen belegt werden (vgl. R. St. G.B. § 166 ff,
und genießen vielfach Steuerfreiheit.
Nur bezüglich der persönlichen Immunität
erfreut sich der Klerus in Deutschland und Öster-
reich noch einiger Vorrechte. Hierher gehören be-
sonders in Deutschland: Freiheit von Vor-
spannleistungen im Frieden für die zur Ausübung
ihres Berufes erforderlichen Pferde (R.B.G. vom
28. Juni 1868, 8 5; R.G. vom 13. Febr. 1875,
§7; vom 13. Juni 1873, §§ 1, 6, 25). Dagegen
sind die Wohnungen der Geistlichen der Quartier-
leistung unterworfen, auch dort, wo die Geistlichen
sonst von der Gemeindelast befreit sind, da die
Einquartierungslast als eine Reichslast gilt (Entsch.
des Minist. des Innern vom 17. Dez. 1894).
Freiheit vom Schöffen= und Geschworenenamt
(R.G.V.G. vom 27. Jan. 1877, 88 34, 6; 85, 2).
Auch sollen Geistliche nicht zu Standesbeamten
ernannt werden (Ges. vom 6. Febr. 1875, § 3).
Vormundschaften dürfen sie nur mit Genehmigung
ihrer vorgesetzten Behörde übernehmen (B.G.B.
§# 1784). Befreiung von Zeugenzwang in Krimi-
nalsachen bezüglich des in Ausübung der Seel-
sorge Anvertrauten (St. P. O. § 52). Befreiung
der Geistlichen vom aktiven Militärdienste (R.G.
vom 8. Febr. 1890, §8 29, 32, 40, 64, 117).
Hiernach sind nicht bloß Militärpflichtige römisch-
katholischer Konfession, welche sich dem Studium
der Theologie widmen, während der Dauer dieses
Studiums bis zum 1. April des siebten Militär-
jahres zurückzustellen, sondern es sind auch taug-
liche Militärpflichtige römisch-katholischer Konfes-
sion, welche die Subdiakonatsweihe emp-
fangen haben, der Ersatzreserve zu überweisen.
Der Ersatzreserve überwiesene Personen, welche
auf Grund der Ordination dem geistlichen Stande
angehören, sollen auch zu Ubungen nicht heran-
gezogen werden; ebenso bleiben Ersatzreservisten,
welche nur erst die Subdiakonatsweihe empfangen
haben, von Übungen befreit. Befreiung der Geist-
lichen von Staatssteuern besteht in Deutsch-
land nicht mehr als solche, wohl aber lassen ein-
zelne Staaten teilweise Befreiungen zu. So sind
in Preußen die Seelsorgsgeistlichen befreit von
Gemeinde-, Kreis- und Provinzialabgaben für
Dienstgrundstücke und Dienstwohnungen (Real-