Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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schen Stadt und Grundherrschaft können mit 
dem Ende des 14. Jahrh. als abgeschlossen be- 
trachtet werden. Bis dahin aber darf man wohl 
zweifelsohne das Nebeneinanderbestehen von länd- 
lichen wie städtischen Korporationen der Hand- 
werker annehmen, wenngleich erstere nach und nach 
ohne Bedeutung wurden. Ihre Verfassung bleibt 
ebenso rudimentär wie die grundherrliche Ver- 
fassung der Gewerbe in den Städten. Dort, wo 
die Grundherren gleichzeitig Stadt- 
herren waren, ist ihr Einfluß auf die Gewerbe- 
verfassung im Gegensatze zu den Städten, wo 
dies nicht der Fall, unverkennbar. Sie nahmen 
hier nach Inama-Sternegg ebenso wie aufs dem 
Lande für sich das Recht in Anspruch, die Hand- 
werke als Amter bezw. Lehen zu behandeln und 
Zunftrechte zu verleihen. Auch der Inhalt der 
Zunftstatuten wird von ihnen bestimmt. Jedoch 
scheinen diese Vorrechte der Stadtherren nicht 
von langer Dauer gewesen zu sein; sie scheiterten 
an dem Widerspruche der städtischen Bevölkerung, 
der eine gewisse Gewerbefreiheit als Grundlage 
der Lebensbedingung galt. Die Stadtherren muß- 
ten daher hierin zwar nachgeben, wußten aber 
viele Rechte für sich zu reservieren, wie Markt- 
recht, Mühlenrecht us. Im 13. Jahrh. war 
das Gewerberecht aber zumeist schon an die 
Städte übergegangen, und das Stadtrecht trat 
an die Stelle des Hofrechts; damit verloren die 
Stadtherren die Einwirkung auf die Verfassung 
der Zünfte. Diese entwickelten sich dort, wo die 
Grundherrschaft ohne Einfluß war, auf völlig 
freier Grundlage. Die gesamte Ausgestaltung 
des mit der Zunft sich entwickelnden Gewerbe- 
rechts ist hier auf dem ureigenen Boden städ- 
tischen Lebens entsprungen. — Die kirchlichen 
Bruderschaften sowie die Gilden bildeten hier den 
Boden für die Entwicklung der Zünfte. Neben 
den kirchlichen Zwecken richten sich ihre Ziele auf 
Förderung der wirtschaftlichen Verhältnisse und 
damit naturnotwendig auf Anerkennung ihrer 
Institutionen usw. durch die öffentliche Gewalt. 
Deren Zustimmung wird ihnen auch nicht ver- 
sagt, und die von ihnen selbst entworfenen Nor- 
men werden gebilligt. An der Schwelle der 
großen Bewegung, welche die mittelalterliche Ge- 
werbeverfassung entwickelt hat, steht überall das 
Recht der Handwerker, Innungen zu bilden. 
Jedoch bestand kein gemeines Recht der Innun- 
gen; auch war mit dem Begriff der Innung als 
öffentliches Recht nicht immer der gleiche Inhalt 
von Befugnissen verstanden. Als Hauptziel aller 
Innungen kann man aber das Bestreben an- 
nehmen, die Selbständigkeit ihrer genossenschaft- 
lichen Existenz zu sichern, ihre Vorsteher selbst zu 
wählen, die innern Streitigkeiten selbst zu schlich- 
ten und die Innung zu einer Schutzgemeinschaft 
sowie zu einer Einrichtung der gemeinschaftlichen 
Förderung ihrer Standesinteressen zu machen. 
Die materiellen Ziele waren Zunftzwang, Eman- 
zipation von den besondern Lasten der gutsherr- 
Innung. 
  
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lichen Gewalt und Erlangung besonderer Privi- 
legien, durch welche ihr wirtschaftliches Interesse 
gefördert wurde. 
Die Entwicklung der Zünfte ist aber selbst 
nach Ausmerzung der grundherrlichen Gewalt in 
den einzelnen Städten noch in ganz verschiedenem 
Maße vor sich gegangen, je nachdem der Stadt- 
rat in Händen der Patrizier oder der Hand- 
werker und Gewerbetreibenden lag. Wo ersteres 
der Fall war, setzte bereits im 12. Jahrh. eine 
zielbewußte Gewerbepolitik ein, und dort trat 
der Stadtrat schon frühzeitig in die Rechte der 
ehemaligen Stadtherren ein. Dort versucht der- 
selbe auch die Autonomie der Zünfte zu regeln; 
er macht die Bildung von Innungen nicht bloß 
von seiner Zustimmung abhängig, sondern be- 
stimmt auch den Inhalt des Statuts und greift 
ferner in die gesamte Tätigkeit der Innungen ein. 
Er bestellt diesen städtische Aufsichtsorgane, kon- 
trolliert die Zünfte bei ihren Morgensprachen, 
behält sich öfters das Recht vor, Freimeister 
namentlich im Nahrungsmittelgewerbe zu bestel- 
len, wo er überhaupt der Autonomie der Hand- 
werker nur geringen Spielraum läßt; er übt fer- 
ner Kontrolle über die Qualität und den Preis 
der Waren zum Schutze der Konsumenten (durch 
Stempelung und Siegelung derselben und Taxen) 
und sucht zu verhindern, daß die Zunft dazu miß- 
braucht wird, die wirtschaftliche Selbständigkeit 
des einzelnen Genossen zu vernichten oder den 
Markt auszubeuten. Deshalb erfolgten oftmals 
Verbote der „Einung“, d. h. solcher Vereinba- 
rungen unter den Zunftmeistern, durch welche 
Produktion und Absatz über die statutarischen 
Zwecke hinaus im Interesse einzelner weniger 
geregelt werden sollten. Auch will der Stadtrat 
nicht die Autonomie der Stadt durch die Zunft- 
autonomie überwuchern lassen; die Stadtgewalt 
soll nicht durch die Zunftgewalt beseitigt oder 
geschwächt werden, mit einem Worte, er steckte — 
wenn auch oft in seinem eigenen (Patrizier= 
Interesse — den Zünften gewisse Grenzen, welche 
nach der einen Seite die Produktion und die 
Existenz der Produzenten, auf der andern Seite 
die Sicherheit der Konsumenten gegen Übervor- 
teilung usw. gewährleisten, gleichzeitig ihm selbst 
aber alle Machtvollkommenheit sichern sollten. 
Ganz anders gestaltete sich dagegen die Entwick- 
lung der Zünfte und ihre Politik in denjenigen 
Städten, in denen das Stadtregiment bei den 
Handwerkern selbst lag. Hier treiben die Zünfte 
von vornherein Politik und sind in erster Linie 
politische Korporationen. Das ganze öffentliche 
Leben der Stadt wird dort der Zunst angegliedert, 
die nicht gewerbetreibende Bevölkerung sogar in 
Verbänden mit zunftartigem Charakter zusammen- 
geschlossen und alles den Zunftinteressen unter- 
geordnet. Hier wird auch zusehends die Selbstän- 
digkeit der Zünfte größer: sie bestimmen selbständig 
über die gesamten Verhältnisse sowohl innerhalb 
als außerhalb der Zunft, über Eintrittsgelder, 
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