1393
die Mahnung des Heilandes, man solle das Un-
kraut stehen lassen bis zur Ernte; nur die Ex-
kommunikation sei über die Ketzer auszusprechen
(Anselmi Gesta epp. Leodiens.: Mon. Germ.
88. VII 227). Der hl. Bernhard wollte höchstens
Einkerkerung neben der Exkommnnikation an-
gewendet wissen und schrieb das schöne Wort:
Fides suadenda est, non imponenda (In Can-
tica sermo 66, n. 12). Ahnlich wünschte Gerhoh
von Reichersberg, qguatenus a domo sacerdotali
sanguinis questio remota esset (De investi-
gatione Antichristi l. 1, c. 42; Mon. Germ.
Lib. de lite III 348), und Petrus Cantor: der
Priester dürfe nicht Veranlassung geben, daß die
Katharer dem Tod überliefert würden, quia ülud
ab eo fit, cuius auctoritate fit (Verbum ab-
breviatum c. 78; Migne, Patr. lat. CCV 231).
Seit der Mitte des 12. Jahrh. begegnen wir aber
immer weniger Stimmen von kirchlichen Wort-
führern, die auf die Bestrafung der Häretiker durch
die weltlichen Machthaber Verzicht leisten wollen.
Der Grund dafür lag einmal in dem Wieder-
aufleben des römischen Rechtes, mit dem die intel-
lektualistische Renaissancebewegung eingeleitet wird,
sodann in dem starken Auftreten der auf die Ma-
nichäer zurückgehenden Katharer, die nicht nur die
kirchliche Einheit, sondern auch die soziale Grund-
lage der abendländischen Gesellschaft negierten. In
den Zeiten der Kreuzzüge, da das Abendland den
Islam im Orient und auf der Pyrenäen-Halb-
insel mit aller Macht bekriegte, wollte man sich
um keinen Preis die innere Glaubenseinheit ge-
fährden lassen. Allgemein wird nun der Grund-
satz anerkannt, daß die Ketzer den weltlichen Herr-
schern zur Bestrafung zu übergeben seien, und
das Vorgehen gegen die Ketzer sucht man in ein
System zu bringen. Ein Konzil von Tours be-
stimmte 1163, daß die Häretiker eingekerkert und
mit Güterkonfiskation bestraft werden sollten.
Papst Alexander III., der diesem Konzil beigewohnt
hatte, ließ durch das Laterankonzil von 1179 die
Fürsten auffordern, gegen die Ketzer mit Güter-
entziehung und Einkerkerung vorzugehen. Papst
Lucius III. verständigte sich 1184 zu Verona über
die Verfolgung der exkommunizierten Häretiker mit
Kaiser Friedrich I., der gegen sie den Bann aus-
sprach. Innozenz III., der zum Kreuzzuge gegen
die Albigenser aufrief, nahm die Qualifikation der
Häresie als Majestätsverbrechen wieder auf und
schuf so eine Argumentation, die nun weiter gel-
tend gemacht wurde: Cum enim secundum legi-
timas sanctiones reis laesé maiestatis puni-
tis Capite bona confiscuntur eorum, filiis suis
vita solummodo misericordia conservata,
duanto magis qui, aberrantes in fide, Domini
Dei filium lesum offendunt a capite nostro,
duod est Christus, ecclesiastica debent stric-
tione praecidi et bonis temporalibus spoliari,
cum longe sit gravius aeternam quam tem-
poralem laedere maiestatem (Brief an Viterbo
vom 25. März1199). Das Laterankonzil von 1215
Inquisition.
1394
stellte allgemeine Regeln für das Vorgehen gegen
die Häretiker auf und bedrohte sogar die Fürsten,
die sich die Bestrafung der Ketzer nicht angelegen
sein lassen würden, mit Exkommunikation und Län-
derentziehung. In der Legislation Innozenz' III.
kommt indes die Todesstrafe nicht vor, und in-
sofern zeigt er noch gegenüber der unter dem
Drängen des Volkes schon eingerissenen Praxis
Milde. Offiziell war im Abendlande die Ketzer-
verbrennung zuerst in Spanien durch den König
Peter II. von Aragonien 1198 angeordnet worden,
wobei die Ketzer zugleich als „öffentliche Reichs-
feinde“ bezeichnet wurden. Die Einwohner von
Toulouse verbrannten um diese Zeit, sich auf ein
Mandat des Grafen Raymund V. berufend, viele
Ketzer. Diesem Vorgange folgte Kaiser Friedrich II.,
indem er 1224 zunächst für die Lombardei ver-
ordnete, daß jeder von dem Diözesanbischof über-
führte Ketzer auf dessen Verlangen von der welt-
lichen Obrigkeit festzunehmen und entweder zu
verbrennen oder wenigstens der Zunge zu berauben
sei (Mon. Germ. Leges II 252). Diese Verord-
nung wurde bald in ganz Italien maßgebend, und
Papst Gregor IX. ließ nach ihr seit 1231 in Rom
verfahren. Ein weiteres Stadium bezeichnet die
1231 in Melfi für Sizilien, wieder mit Berufung
auf das römische Recht und auf die Qualifikation
als Majestätsverbrechen, von Kaiser Friedrich II.
erlassene Konstitution Inconsutilem tunicam,
durch die befohlen wurde, die Ketzer aufsuchen zu
lassen, und zwar per ofticiales nostros, sicut
et alios malefactores, also durch Staatsbeamte,
nicht durch kirchliche Organe, die so verdächtig Be-
sundenen einem kirchlichen Gerichte zu übergeben
und, wenn sie, schuldig erkannt, im Irrtum ver-
harrten, angesichts des Volkes zu verbrennen.
Damit war der Grundstein gelegt zu der In-
quisition im eigentlichen Sinne. Das Prinzip des
Inquisitionsprozesses im Gegensatze zum Anklage-
prozeß scheint Friedrich II. altem normannischen
Recht entnommen zu haben, das auf die karo-
lingische Inquisition zurückging (vgl. R. Schmidt,
Die Herkunft des Inquisitionsprozesses (1902.)0.
Indem er aber die Aufspürung der Ketzer in seinem
Königreiche selbst in die Hand nehmen wollte, ver-
solgte er sehr wahrscheinlich auch politische Zwecke,
die auf die Reichsfeinde in der Lombardei zielten,
wo zahlreiche Ketzer waren (Winkelmann, Fried-
rich II. II 301). Gregor IX. war mit diesen von
Friedrich II. 1282 auch auf das ganze Reich aus-
gedehnten Grundsätzen ganz einverstanden, nur
konnte er die Aufsuchung der Ketzer nicht staat-
lichen Beamten überlassek, und so organisierte er
das kirchliche Inquisitionsverfahren, indem er, statt
die Aufsuchung der Häretiker wie bisher allein den
Bischöfen zu überlassen, päpstliche Inquisi-
toren ernannte, so den Weltpriester Konrad von
Marburg 1231, im übrigen zumeist Domini-
kaner und Franziskaner.
Der Inquisitionsprozeß bildete sich dann im all-
gemeinen zu folgender Form aus. Dem Inquisitor