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antwortung der einzelnen Fragen nur ausgegangen
werden von reinen Tatsachen und von solchen Rechts-
verhältnissen, die auch ohne Anerkennung durch das
internationale Privatrecht bestehen. Als solche Ver-
hältnisse bieten sich dar der tatsächliche Aufenthalt
einer Person oder einer Sache in einem Rechts-
gebiete und die Verbindung einer Person mit einem
Territorium durch die Staatsangehörigkeit, dazu
noch der Sitz des Prozeßgerichtes. Von dem Be-
griffe des „Rechtsverhältnisses“ und seinem „Sitze“
oder von dem Begriffe der „Handlung“ auszugehen,
ist um deswillen bedenklich, weil diese Begriffe sich
nur aus einem territorialen Rechte feststellen lassen
und die Auffindung des einschlägigen Rechts eben
in Frage steht.
Das internationale Privatrecht ist nur zu einem
geringen Teile durch den Gesetzgeber fixiert. So-
wohl die erste wie die zweite Kommission zur Aus-
arbeitung eines B.G. B. für das Deutsche Reich
hatte das internationale Privatrecht als sechstes
Buch in das B.G. B. aufzunehmen beabsichtigt,
der Bundesrat beschloß aber die Streichung dieses
sechsten Buches und fügte dafür in den an den
Reichstag gebrachten Entwurf des Einf.Ges. die
Art. 6/30 ein, welche mit geringen Abänderungen
den jetzigen Gesetz gewordenen Art. 7/31 des
Einf.-Ges. zum B. G.B. entsprechen. Die gesetz-
liche Reglung beschränkt sich aber nur auf wenige
Punkte: Geschäftsfähigkeit, Einzelvorschriften über
Entmündigung, über Verschollenheit, über aus-
ländische Vereine, über Eherecht, über die Rechts-
verhältnisse der ehelichen und unehelichen Kinder,
über die Legitimation, über Annahme an Kindes
Statt, dann über Erbrecht. Der Satz, daß aus-
ländische Gesetze niemals zur Anwendung kommen
sollen, wenn sie gegen die guten Sitten oder gegen
den Zweck eines deutschen Gesetzes verstoßen, ist
nunmehr ausdrücklich anerkannt. Außerdem ist ein
Vergeltungsrecht gegen einen ausländischen Staat
sowie dessen Angehörige und ihre Rechtsnachfolger
ermöglicht, dessen Anwendung durch Anordnung
des Reichskanzlers unter Zustimmung des Bundes-
rates sowohl überhaupt als auch im einzelnen be-
stimmt werden kann.
Auch die vom Einf.Ges. geordneten Materien
sind nur unvollständig, mehr oder weniger kasui-
stisch normiert. Grundsätzlich wird aber für das
Personalstatut (Geschäftsfähigkeit, Familien= und
Erbrecht) die Staatsangehörigkeit als maßgebend
erachtet, bei staatenlosen Personen das Recht ihres
früheren Staates oder des Wohnsitz= oder Aufent-
haltsstaates. Uber die Frage, in welcher Weise
die bestehenden Lücken bezüglich der nicht oder
nicht vollständig geregelten Materien auszufüllen
sind, besteht Streit; die oben angeführten Grund-
sätze dürften aber, soweit nicht durch Auslegung
geholfen werden kann, auch nach dem Rechte des
Einf.Ges. als zutreffend zu erachten sein, mag
man dieselben als Gewohnheitsrecht oder lediglich
als Grundsätze bezeichnen, welche aus der Rechts-
vergleichung des in den einzelnen Staaten be-
Internationales Privatrecht.
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stehenden internationalen Privatrechts, aus dem
Verkehrsbedürfnisse und aus der Natur der Sache
sich ergeben. Richtig ist, daß darin in gewissem
Sinne eine Delegation der Gesetzgebung an den
Richter liegt, wobei die vollständige Sicherheit des
Rechtsverkehrs nicht ungefährdet ist.
Neben den Bestimmungen des Einf.Ges. blei-
ben die Vorschriften über internationales Privat=
recht in andern Reichsgesetzen (z. B. Wechsel-
ordnung, Zivilprozeßordnung, Konkursordnung)
selbstverständlich in Kraft; die landesgesetzlichen
Vorschriften über internationales Privatrecht sind
in den nicht der Landesgesetzgebung vorbehaltenen
Materien durch das Reichseinführungsgesetz auf-
gehoben worden und ist insoweit auch keine Be-
rechtigung der Landesgesetzgebung zum Erlaß neuer
derartiger Vorschriften mehr vorhanden. Bei der
Schwierigkeit der Materie ist auch eine umfang-
reiche Kodifikation, namentlich in Staatsverträgen,
kaum angezeigt. Doch finden sich nunmehr hierzu
bemerkenswerte Ansätze. Neben den internationalen
Verträgen über Urheberrecht, dann dem Weltpost-
vertrag, dem internationalen Eisenbahnrecht ist
namentlich auf das Abkommen zur Reglung von
Fragen des internationalen Privatrechts vom
14. Nov. 1896 (Reichsgesetzblatt 1899, 285 ff)
hinzuweisen, welches mit dem 27. April 1899 von
Belgien, Spanien, Frankreich, Italien, Luxemburg,
den Niederlanden, von Portugal, der Schweiz,
von Schweden, Osterreich, Deutschland, Däne-
mark, Rumänien und Rußland ratifiziert wurde;
es befaßt sich mit der Mitteilung gerichtlicher oder
außergerichtlicher Urkunden, mit den Ersuchungs-
schreiben, mit der Sicherheitsleistung für die Pro-
zeßkosten, mit dem Armenrecht und mit der Per-
sonalhaft. Es gilt zunächst für die Dauer von
fünf Jahren, gilt aber als stillschweigend erneuert,
wenn es nicht mit sechsmonatiger Frist vor Ab-
lauf dieses Zeitraumes von einem der vertrag-
schließenden Teile aufgekündigt wird. Die Auf-
kündigung hat Wirkung nur für das oder die
Länder, von denen sie ausgegangen ist; hinsicht-
lich der übrigen Staaten bleibt das Abkommen
in Kraft. Diese Ubereinkunft ist die Frucht der
europäischen Staatenkonferenz, welche im Juni
1894 auf Einladung der niederländischen Regie-
rung im Haag stattgefunden hat. Weitere drei im
Haag unterm 12. Juni 1902 zustande gekommene
internationale Verträge werden unter der Bezeich-
nung „Haager Familienrechtskonvention“ zusam-
mengefaßt. Sie betreffen das Eheschließungsrecht,
Ehescheidungsrecht und die Vormundschaft über
Minderjährige und bedeuten namentlich auf letzte-
rem Gebiete infolge der fast restlosen Verwirk-
lichung der Einheitlichkeit der Vormundschaft unter
zweckentsprechender Einführung eines Nachrichten-
verkehrs zwischen den beteiligten Behörden einen
verheißungsvollen Erfolg. Diese Abkommen sind
ratifiziert worden von dem Dieutschen Reiche
(R.G.Bl. 1904, 221, 2831, 240), Osterreich,
Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, den