Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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andern, in betreff welcher die schiedsgerichtliche 
Entscheidung obligatorisch sein sollte, wenn beide 
Parteien über das Prinzip des Schadensersatz- 
anspruches selbst einig sind und es sich also nur 
noch um dessen Größe und die Modalitäten seiner 
Erfüllung handelt. Unter dieser Voraussetzung 
könnte die Unterwerfung unter das Schiedsgericht 
eine Beeinträchtigung der staatlichen Souveränität 
gewiß nicht bewirken, während sie allerdings ge- 
eignet wäre, eine gerechte Lösung der Streitfrage 
herbeizuführen. Die andern Punkte der Liste 
waren freilich von so geringer Importanz, daß 
die sie bejahenden Voten hauptsächlich deshalb ab- 
gegeben wurden, um das Prinzip obligatorischer 
Schiedssprechung festzulegen. Aber auch gegen 
diese sowie gegen alle überhaupt möglicherweise in 
Frage kommenden Gegenstände, hinsichtlich deren 
die obligatorische Unterwerfung unter die Schieds- 
sprechung kraft eines allgemeinen Vertrages an- 
geregt werden könnte, wurde von deutscher Seite 
eine Reihe grundsätzlicher Bedenken erhoben. Diese 
mit dem größten Scharfsinn aufgestellten und ver- 
tretenen Einwendungen hatten jedenfalls das Ver- 
dienst, die Verteidiger der obligatorischen Schieds- 
sprechung zu einer viel tieferen Erfassung des 
Problems zu nötigen. Ob sie zu den Schlüssen 
berechtigen, die man aus ihnen ableiten wollte, ist 
allerdings eine andere Frage. 
Zunächst wurde darauf hingewiesen, daß nach 
den portugiesisch-englischen Anträgen auch solche 
Streitfragen dem Schiedsgerichte unterstellt werden 
müßten, in denen die Gerichte des einen der beiden 
Vertragsstaaten bereits entschieden haben, und daß 
dadurch Konflikte zwischen der nationalen und 
dieser Art internationaler Rechtssprechung entstehen 
könnten. Es wurde eingewendet, ein Urteil, das 
von der obersten Gerichtsinstanz eines Landes ge- 
fällt worden, könne durch einen Schiedsspruch 
weder kassiert noch reformiert werden, weil sonst 
durch den Schiedsspruch die Gerichtsbarkeit des 
betreffenden Staates beeinträchtigt und auch der 
Grundsatz verletzt würde, daß niemand seinem 
ordentlichen Richter entzogen werden dürfe. Dieser 
Einwand trifft vollkommen auf den Fall zu, daß 
das internationale Schiedsgericht erst zu dem 
Zwecke der Schlichtung des konkreten Falles ein- 
gesetzt würde. Nehmen wir an, der Verleger A 
habe ein Werk des ausländischen Autors B ent- 
gegen der Bestimmung eines zwischen den beiden 
in Betracht kommenden Staaten bestehenden Ur- 
heberrechtsvertrages gedruckt. Gleichwohl sei -B 
mit seiner Klage von den Gerichten des Staates, 
dem A angehört, abgewiesen worden, weil diese 
in mißverständlicher Interpretation des Staats- 
vertrages keinen Eingriff in das Urheberrecht an- 
nahmen. Auch diplomatische Vorstellungen des 
Staates, dem der Autor angehört, verschaffen ihm 
nicht sein Recht. Und nun veranlaßt dieser Staat 
jene Macht, deren Untertan der Verleger ist, die 
streitige Auslegung des Urheberrechtsvertrages und 
die durch diese bedingte Entscheidung über das 
  
Internationale Schiedsgerichtsbarkeit. 
  
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Schadensersatzbegehren einem Schiedsgerichte zu 
übertragen. Der Verleger A wird in diesem Falle, 
wenn das Schiedsgericht zu seinem Nachteil ent- 
scheidet, allerdings um einen Vorteil gebracht, den 
er in einem formell rechtmäßigen, wenn auch ma- 
teriell nicht gerechten Verfahren bereits errungen 
hatte. Er kann sich darüber beklagen, daß zu 
seinem Nachteile ein sonst unanfechtbares Urteil 
umgestoßen, daß er seinem ordentlichen Richter ent- 
zogen worden sei, da die Justizorganisation seines 
Landes internationale Gerichte über den nationalen 
nicht kennt. Ebenso läßt es sich nicht leugnen, daß 
formell durch einen solchen Rechtszug an ein inter- 
nationales Tribunal die Autorität der territorialen 
Gerichte erschüttert wird, mag auch materiell da- 
durch die Gerechtigkeit verwirklicht worden sein. 
Ganz anders aber stellt sich die Sache dar, wenn 
die Entscheidung über die Frage, welche der beiden 
einander entgegenstehenden Auslegungen des Ur- 
heberrechtsvertrages die richtige sei, von vornherein 
durch ein nicht bloß für den konkreten Fall ab- 
geschlossenes Ubereinkommen, sondern durch einen 
für alle Fälle dieser Art geltenden Staatsvertrag 
einem Schiedsgerichte übertragen ist. Ein solcher 
Vertrag erklärt dann ganz allgemein, daß im Falle 
eines Dissenses der beiden Staaten über die Aus- 
legung jener Vertragsbestimmung die Entscheidung 
der Rechtsfrage, welcher Sinn jener Vertragsnorm 
zukomme, in letzter Instanz nicht mehr dem obersten 
Gerichtshofe des Staates des Beklagten, sondern 
eben einem Schiedsgerichte zukomme. Durch einen 
solchen Schiedsgerichtsvertrag oder durch eine solche 
Schiedsgerichtsklausel wird daher hinsichtlich dieser 
Entscheidung die Justizorganisation der Vertrags- 
staaten durchbrochen bzw. ergänzt, indem über dem 
höchsten nationalen Gerichtshofe zur Entscheidung 
dieser Art von Fragen das internationale Schieds- 
gericht berufen wird. Eben deshalb bedarf ein 
Schiedsgerichtsvertrag oder eine Schiedsgerichts- 
klausel dieser Art zu ihrer Wirksamkeit der Ge- 
nehmigung der verfassungsmäßig zur Abänderung 
der Gerichtsorganisation berufenen Faktoren, also 
in den meisten Staaten der parlamentarischen Ge- 
nehmigung. Ist diese erfolgt, so werden aber da- 
durch die Normen über die Kompetenz der Landes- 
gerichte in den Vertragsstaaten ergänzt. Der 
oberste Gerichtshof im Staate des Beklagten kann 
dann nicht darüber klagen, daß ihm willkürlich 
eine andere Instanz übergeordnet worden; der 
Beklagte selbst kann sich nicht darüber beschweren, 
daß er willkürlich seinem ordentlichen Richter ent- 
zogen worden sei. Denn beides ist kraft eines 
ordnungsmäßig zustande gekommenen, die Gerichte 
wie die Individuen verpflichtenden und beschrän- 
kenden Rechtssatzes geschehen. Ganz ebenso aber 
liegt die Sache in allen andern Fällen, in welchen 
kraft eines abstrakten Schiedsgerichtsvertrages eine 
bestimmte Kategorie von durch die Gerichte zu ent- 
scheidenden Streitigkeiten ein für allemal einem 
internationalen Schiedsgerichte unterstellt wird. 
In all diesen Fällen ist ein Konflikt zwischen
	        
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