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Völkerrecht und Landesrecht ebenso ausgeschlossen,
als er bei der nur für den konkreten Fall erfolgen-
den Überweisung der Entscheidung an ein Schieds-
gericht unvermeidlich ist.
Eine weitere Einwendung betraf die Frage,
welche Bedeutung dem Schiedsspruche für künf-
tige Verwaltungsakte und für die künftige
Judikatur der beiden an ihm beteiligten Staaten
zukomme. Hinsichtlich der Verwaltungsakte ist die
Antwort klar. Nach Art. 37 der Konvention für
die friedliche Austragung von Konflikten sind die
Staaten verpflichtet, bona fide den Schiedsspruch
auszuführen. Stellt der Schiedsspruch also fest,
daß die von den Verwaltungsbehörden eines
Staates bisher festgehaltene Interpretation einer
Vertragsnorm unrichtig sei, so ist die Staats-
regierung verpflichtet, die ihr unterstehenden, an
ihre Weisungen gebundenen Behörden dahin zu
instruieren, daß sie von nun an nur mehr jene
Auslegung anwenden dürfen, die vom Schieds-
gerichte aufgestellt wurde. Schwieriger stellt sich
die Sache gegenüber den Gerichten, soweit deren
Unabhängigkeit anerkannt ist. In diesem Falle
wird die Regierung, wenn die Gerichte nicht frei-
willig sich der Auffassung des Schiedsgerichtes
anschließen, entweder die von diesem aufgestellte
Interpretation im Wege der Gesetzgebung als eine
authentische, auch mit bindender Wirkung für die
Gerichte ausgestattete aufstellen müssen, oder sie
wird im Falle neuerlich abweichender Entschei-
dungen ihrer Gerichte dafür sorgen müssen, daß
diese Entscheidungen durch ein neues Schieds-
gericht korrigiert werden. Die letztere Möglichkeit
bietet für alle Fälle einen Ausweg aus dem Kon-
flikte zwischen Vertragspflicht und Rechtspflege.
Ein kürzerer Weg zum Ziele wäre freilich der auf
der Zweiten Konferenz gemachte Vorschlag, in den
Schiedsgerichtsvertrag eine Bestimmung aufzu-
nehmen, die dem Schiedsspruche die Kraft einer
authentischen Interpretation des Vertrages ver-
leiht. Erhält ein solcher Vertrag die verfassungs-
mäßige Genehmigung, so wird er wiederum zu
einem Bestandteile des Landesrechtes und bindet
auch die Gerichte.
Noch eine Einwendung, die in diesem Zusam-
menhange die Konferenz beschäftigte, war die, daß
in bezug auf Kollektivverträge, insbesondere in
bezug auf sog. Weltverträge die Feststellung des
Sinnes einer in ihnen enthaltenen Norm durch
ein Schiedsgericht aus Anlaß eines zwischen zwei
Staaten entstandenen Streitfalles zur Auflösung
der durch solche Verträge geschaffenen „Union“
führen könnte, indem die übrigen Teilnehmer an
einem solchen Weltvertrage im Verhältnis unter-
einander jene Norm vielleicht anders auffassen
könnten, als das Schiedsgericht es im Verhältnis
der beiden Streitteile getan hatte, ja daß sogar
ein späteres Schiedsgericht dieselbe Frage zwischen
den Staaten C und D anders beurteilen könnte,
als dies früher zwischen den Staaten A und B
geschehen war. Kommt es nun aber nicht auch in
Internationale Schiedsgerichtsbarkeit.
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der innerstaatlichen Rechtspflege vor, daß über
materiell dieselbe Sache zwei Gerichte, sogar ein
und dasselbe Gericht in verschiedenen Urteilen
zwischen verschiedenen Parteien verschieden ent-
scheiden? Es hat das seinen Grund meistens darin,
daß die species facti nur sehr selten in zwei
scheinbar gleichen Fällen wirklich völlig identisch
ist; allerdings kann es seinen Grund auch einzig
und allein in verschiedener Rechtsauffassung haben.
Gewiß wird im Falle, wenn ein Streit, der zwischen
den Staaten A und B bereits durch Schieds-
spruch entschieden worden, nun auch zwischen den
Mächten C und D ausbricht, das erste schieds-
gerichtliche Urteil für das zweite Schiedsgericht
von größter moralischer Bedeutung sein, so daß
es sich nur dann von dessen Tenor entfernen wird,
wenn es dieses Urteil für völlig unbegründet hält.
In diesem Falle aber wird vielleicht der zweite
Schiedsspruch durch die Macht seiner Gründe
selbst für einen neuerlichen Streit zwischen den
Staaten A und B von Rückwirkung sein und
zur Korrektur des ursprünglichen Fehlurteils —
auch internationale Schiedsgerichte sind nicht un-
fehlbar — führen und somit der Verwirklichung
des-materiellen Rechtes dienen. Ubrigens hat
das Komitee der Zweiten Konferenz gerade hinsicht-
lich dieser Kollision eine Reihe sehr beachtenswerter
Vorschläge gemacht, deren Erörterung im Detail
an diesem Orte jedoch nicht möglich ist.
Schließlich wurde noch die Frage aufgeworfen,
was geschehen solle, wenn der Schiedsspruch den
einen Teil etwa zu einer Anderung seiner Gesetz-
gebung verpflichtete, und wenn das Parlament der
Durchführung dieser Anderung widerstrebte. Dem-
gegenüber wurde darauf hingewiesen, daß solche
Verpflichtungen, die allerdings für das Parlament
eine Zwangslage schaffen, auch in andern Fällen
entstehen können, so durch den Abschluß eines
Friedensvertrages oder infolge anderer internatio-
naler Vereinbarungen, die ohne Mitwirkung des
Parlamentes zustande gekommen sind. So hat
Osterreich ein Beispiel loyaler Erfüllung einer
solchen Pflicht gegeben, als es 1902 das Zucker-
kontingentierungsgesetz außer Wirksamkeit Fue,
weil die Brüsseler Zuckerkommission in ihrer ersten
Tagung mit Stimmenmehrheit die Anschauung
ausgesprochen hatte, daß dieses Gesetz mit dem
Geiste der Brüsseler Zuckerkonvention in Wider-
spruch stehe. Gerade die Zuckerkonvention von
1902 bietet ein Beispiel dafür, daß unter Um-
ständen einem Schiedsgerichte die Befugnis zu-
stehen müsse, darüber zu entscheiden, ob die interne
Gesetzgebung eines Staates mit den vertragsmäßig
von ihm übernommenen Pflichten in Einklang stehe
oder nicht. Zweifellos bedarf ein Versuch der
Organisation des Weltmarktes, wie ihn jener Ver-
trag in bezug auf eine bestimmte Ware zuerst unter-
nommen hat, einer internationalen Überwachung
und Kontrolle, und ebenso zweifellos kann eine
solche Uberwachung mit viel größerem Vertrauen
einem wirklich unbefangenen Schiedsgerichte über-