1447
fehlen hat; daß von dieser Art alles, ohne Aus-
nahme zu sein, sich befindet, was die äußerliche
Zucht der Kleriker und insbesondere die geistlichen
Orden betrifft, von welchen die christliche Kirche
bekanntermaßen durch mehrere Jahrhunderte nichts
gewußt hat und noch nichts wissen würde, wofern
den Fürsten der katholischen Christenheit nicht ge-
fällig wäre, solche nach und nach mehr oder weniger
in ihre Staaten aufzunehmen; daß diese keines-
wegs von der Wesenheit des Glaubens und der
Religion zu sein sich befinden; daß folglich des
Kaisers Majestät in vollem Maße nicht nur be-
fugt gewesen, alles dasjenige, welches bisher in
diesem Anbetracht geschehen sei, zu verfügen,
sondern sogar nach den Pflichten der oberherr-
lichen Gewalt auch in Zukunft diesem zufolge in
allen denjenigen Gegenständen zu handeln ver-
bunden sind, welche nicht dogmatische und inner-
liche, die Seele allein angehende Dinge betreffen
werden. . ..“
Gegen den Vorwurf, daß er von der Kirche
gebilligte Institute gänzlich aufgehoben habe, ver-
teidigte sich der Kaiser damit, daß er weit ent-
fernt sei, das Institut eines geistlichen Ordens
aufheben zu wollen, daß es ihm vielmehr sehr
gleichgültig sei, ob in fremden Staaten dieses
oder jenes Institut, dessen Dasein er in seinen
Staaten aufzuheben für gut befunden, noch fort-
hin beibehalten werde. Dann fährt das Hofdekret
fort: „Allerhöchstdieselben werden niemal eine
Einmischung in Angelegenheiten gestatten, welche
Allerhöchstdieselben als offenbar der oberen landes-
fürstlichen Machtvollkommenheit zustehend ansehen
werden, als welche ohne Ausnahme alles dasjenige
unter sich begreift, was in der Kirche nicht von
göttlicher, sondern nur von menschlicher Erfindung
oder Einsetzung ist und das, was es ist, allein
der Einwilligung oder Gutheißung der oberherr-
Josephinismus.
willige und willkürliche Bewilligungen sowie andere
dieser Art nicht nur allein abzuändern oder ein-
zuschränken, sondern sogar ganz aufzuheben."“
Auf den dritten Vorwurf, daß er sich wie kein
Fürst in das Gewissensgebiet eingemischt, ant-
wortet der Kaiser: „daß Seine Majestät sich nie
in dem Falle befinden können noch werden, irgend
einem ihrer Untertanen etwas zu befehlen, was
wider sein Gewissen sein könnte, und daher keinen
Ungehorsam ertragen, allenfalls sich aber Gehor-
sam zu verschaffen wissen werden. In dem nicht
zu vermutenden Falle aber, wo Gewissens wegen
jemand nicht gehorchen zu können glaubte, werden
Allerhöchstdieselben denjenigen, die also gedächten,
volle Freiheit lassen, außer dero Staaten, wohin
sie wollen, sich zu begeben“. Den ungarischen Bi-
schöfen, als sie aus Gewissensbedenken nicht ge-
horchen zu können erklärten, riet der Kaiser, ihre
Stellen niederzulegen und auszuwandern.
Auf den Vorwurf endlich, daß Seine Majestät
ausschließungsweise dem römischen Stuhle zu-
1448
stehende Rechte den Bischöfen zugeeignet, ant-
wortete der Kaiser, daß er nur einen Mißbrauch
aufgehoben habe. Dazu sei die Bemerkung ge-
macht, daß es sich zunächst um das Dispenswesen
gehandelt hat. Der Kaiser verbot direkt den Bi-
chöfen, in Ehe= und andern Angelegenheiten sich
nach Rom um Dispense zu wenden, und gebot
ihnen, selbst zu dispensieren. Anfangs beschränkte
sich das Verbot auf Dispense pro foro externo,
später wurde auch das forum internum ein-
bezogen. Leider fügten sich viele Bischöfe wider-
standslos und waren so Ursache, daß offenkundig
ungültige Ehen abgeschlossen wurden. Es ist eben
katholische Lehre, daß der Bischof nicht alles das-
jenige in seiner Diözese tun kann, was der Papst
in der gesamten Kirche.
Notwendig erhebt sich hier die Frage, wie es
möglich war, daß bei so offenkundig das Glaubens-
und Rechtsgebiet verletzendem Vorgehen sich nicht
im Gesamtklerus mindestens ein allgemeiner
Widerstand kundgab. Die angeführte Tatsache,
daß jeder Renitent mit Strafe bedroht war, erklärt
uns den Verlauf nicht hinreichend. Zu allen Zeiten
hat es mutige und pflichtbewußte Priester gegeben,
welche lieber in den Kerker, ja in den Tod gingen
als gehorchten, wo sie nicht gehorchen durften.
Warum hat der österreichische Klerus eine Aus-
nahme gemacht?
Das Staatschristentum und Hoschristentum war
bereits unter Maria Theresia Regierungsprinzip.
Die römische Kirche war nicht in der Lage, die
Besetzung der Bischofsstellen mit fähigen und
würdigen Kandidaten zu erreichen. Unwissenheit
und Unverständnis für die Angelegenheiten von
Religion und Kirche, Ehrgeiz und Sucht nach Ein-
kommen waren die hervorstechendsten Eigenschaften
des Hofadels, dessen Söhne oft schon im Knaben=
*
alter eines, ja mehrere Bistümer bekamen. Diese
lichen Gewalt zu verdanken hat, welcher daher
zusteht und zustehen muß, alle dergleichen frei-
waren dann weder fähig noch geneigt, den Klerus
in den katholischen Traditionen unterrichten zu
lassen. Sie ertrugen es, daß die Erzieher und
Professoren desselben von der Regierung aus-
gewählt wurden; sie machten nicht einmal An-
spruch, die Lehrbücher selbst auszuwählen. Das
besorgte die Regierung durch ihre Zensoren. Beidtel
schreibt: „In dieser Periode beschränkte sich der
Einfluß der Bischöfe auf die Kandidaten des
Priesterstandes darauf, diejenigen zu weihen, welche
die Vorsteher der theologischen Schulen und der
Generalseminarien ihnen mit guten Zeugnissen zu-
sendeten. Diese Rolle ließen sich jene Männer,
welche damals die österreichischen Bischofsstühle
entehrten, gefallen; denn sie hatten keinen Funken
von jener Einsicht oder jenem Mute, welche früher
und später die Bischöfe des Auslandes bestimmt
hatten, der Regierung offen zu erklären, daß sie die
Aussicht über die Erziehung des Klerus für die
erste und wichtigste ihrer Pflichten hielten.“
Aus den eingeführten Lehrbüchern und dem
Geiste der Priestererzieher kam der Josephinismus
in den Klerus. Die Kirchengeschichte wurde längere