Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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fehlen hat; daß von dieser Art alles, ohne Aus- 
nahme zu sein, sich befindet, was die äußerliche 
Zucht der Kleriker und insbesondere die geistlichen 
Orden betrifft, von welchen die christliche Kirche 
bekanntermaßen durch mehrere Jahrhunderte nichts 
gewußt hat und noch nichts wissen würde, wofern 
den Fürsten der katholischen Christenheit nicht ge- 
fällig wäre, solche nach und nach mehr oder weniger 
in ihre Staaten aufzunehmen; daß diese keines- 
wegs von der Wesenheit des Glaubens und der 
Religion zu sein sich befinden; daß folglich des 
Kaisers Majestät in vollem Maße nicht nur be- 
fugt gewesen, alles dasjenige, welches bisher in 
diesem Anbetracht geschehen sei, zu verfügen, 
sondern sogar nach den Pflichten der oberherr- 
lichen Gewalt auch in Zukunft diesem zufolge in 
allen denjenigen Gegenständen zu handeln ver- 
bunden sind, welche nicht dogmatische und inner- 
liche, die Seele allein angehende Dinge betreffen 
werden. . ..“ 
Gegen den Vorwurf, daß er von der Kirche 
gebilligte Institute gänzlich aufgehoben habe, ver- 
teidigte sich der Kaiser damit, daß er weit ent- 
fernt sei, das Institut eines geistlichen Ordens 
aufheben zu wollen, daß es ihm vielmehr sehr 
gleichgültig sei, ob in fremden Staaten dieses 
oder jenes Institut, dessen Dasein er in seinen 
Staaten aufzuheben für gut befunden, noch fort- 
hin beibehalten werde. Dann fährt das Hofdekret 
fort: „Allerhöchstdieselben werden niemal eine 
Einmischung in Angelegenheiten gestatten, welche 
Allerhöchstdieselben als offenbar der oberen landes- 
fürstlichen Machtvollkommenheit zustehend ansehen 
werden, als welche ohne Ausnahme alles dasjenige 
unter sich begreift, was in der Kirche nicht von 
göttlicher, sondern nur von menschlicher Erfindung 
oder Einsetzung ist und das, was es ist, allein 
der Einwilligung oder Gutheißung der oberherr- 
Josephinismus. 
  
willige und willkürliche Bewilligungen sowie andere 
dieser Art nicht nur allein abzuändern oder ein- 
zuschränken, sondern sogar ganz aufzuheben."“ 
Auf den dritten Vorwurf, daß er sich wie kein 
Fürst in das Gewissensgebiet eingemischt, ant- 
wortet der Kaiser: „daß Seine Majestät sich nie 
in dem Falle befinden können noch werden, irgend 
einem ihrer Untertanen etwas zu befehlen, was 
wider sein Gewissen sein könnte, und daher keinen 
Ungehorsam ertragen, allenfalls sich aber Gehor- 
sam zu verschaffen wissen werden. In dem nicht 
zu vermutenden Falle aber, wo Gewissens wegen 
jemand nicht gehorchen zu können glaubte, werden 
Allerhöchstdieselben denjenigen, die also gedächten, 
volle Freiheit lassen, außer dero Staaten, wohin 
sie wollen, sich zu begeben“. Den ungarischen Bi- 
schöfen, als sie aus Gewissensbedenken nicht ge- 
horchen zu können erklärten, riet der Kaiser, ihre 
Stellen niederzulegen und auszuwandern. 
Auf den Vorwurf endlich, daß Seine Majestät 
ausschließungsweise dem römischen Stuhle zu- 
  
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stehende Rechte den Bischöfen zugeeignet, ant- 
wortete der Kaiser, daß er nur einen Mißbrauch 
aufgehoben habe. Dazu sei die Bemerkung ge- 
macht, daß es sich zunächst um das Dispenswesen 
gehandelt hat. Der Kaiser verbot direkt den Bi- 
chöfen, in Ehe= und andern Angelegenheiten sich 
nach Rom um Dispense zu wenden, und gebot 
ihnen, selbst zu dispensieren. Anfangs beschränkte 
sich das Verbot auf Dispense pro foro externo, 
später wurde auch das forum internum ein- 
bezogen. Leider fügten sich viele Bischöfe wider- 
standslos und waren so Ursache, daß offenkundig 
ungültige Ehen abgeschlossen wurden. Es ist eben 
katholische Lehre, daß der Bischof nicht alles das- 
jenige in seiner Diözese tun kann, was der Papst 
in der gesamten Kirche. 
Notwendig erhebt sich hier die Frage, wie es 
möglich war, daß bei so offenkundig das Glaubens- 
und Rechtsgebiet verletzendem Vorgehen sich nicht 
im Gesamtklerus mindestens ein allgemeiner 
Widerstand kundgab. Die angeführte Tatsache, 
daß jeder Renitent mit Strafe bedroht war, erklärt 
uns den Verlauf nicht hinreichend. Zu allen Zeiten 
hat es mutige und pflichtbewußte Priester gegeben, 
welche lieber in den Kerker, ja in den Tod gingen 
als gehorchten, wo sie nicht gehorchen durften. 
Warum hat der österreichische Klerus eine Aus- 
nahme gemacht? 
Das Staatschristentum und Hoschristentum war 
bereits unter Maria Theresia Regierungsprinzip. 
Die römische Kirche war nicht in der Lage, die 
Besetzung der Bischofsstellen mit fähigen und 
würdigen Kandidaten zu erreichen. Unwissenheit 
und Unverständnis für die Angelegenheiten von 
Religion und Kirche, Ehrgeiz und Sucht nach Ein- 
kommen waren die hervorstechendsten Eigenschaften 
des Hofadels, dessen Söhne oft schon im Knaben= 
* 
alter eines, ja mehrere Bistümer bekamen. Diese 
lichen Gewalt zu verdanken hat, welcher daher 
zusteht und zustehen muß, alle dergleichen frei- 
waren dann weder fähig noch geneigt, den Klerus 
in den katholischen Traditionen unterrichten zu 
lassen. Sie ertrugen es, daß die Erzieher und 
Professoren desselben von der Regierung aus- 
gewählt wurden; sie machten nicht einmal An- 
spruch, die Lehrbücher selbst auszuwählen. Das 
besorgte die Regierung durch ihre Zensoren. Beidtel 
schreibt: „In dieser Periode beschränkte sich der 
Einfluß der Bischöfe auf die Kandidaten des 
Priesterstandes darauf, diejenigen zu weihen, welche 
die Vorsteher der theologischen Schulen und der 
Generalseminarien ihnen mit guten Zeugnissen zu- 
sendeten. Diese Rolle ließen sich jene Männer, 
welche damals die österreichischen Bischofsstühle 
entehrten, gefallen; denn sie hatten keinen Funken 
von jener Einsicht oder jenem Mute, welche früher 
und später die Bischöfe des Auslandes bestimmt 
hatten, der Regierung offen zu erklären, daß sie die 
Aussicht über die Erziehung des Klerus für die 
erste und wichtigste ihrer Pflichten hielten.“ 
Aus den eingeführten Lehrbüchern und dem 
Geiste der Priestererzieher kam der Josephinismus 
in den Klerus. Die Kirchengeschichte wurde längere
	        
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