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in Deutschland der Fall war, direkt aus dem
Lehnsstaate in den Kleinstaat übergingen, waren
nur die Markgrafschaften Montferrat und Sa-
luzzo, die Grasschaft Savoyen, die sich mit dem
Erwerbe der Markgrafschaft Turin im Gebiete des
oberen Po auszudehnen begann, und der reiche
Besitz der Este am unteren Po (Ferrara). Andere
erbliche Herrschaften entwickelten sich im 13. und
14. Jahrh. in manchen Städten aus dem Ver-
fassungsinstitut der Signorie; von längerem Be-
stande waren davon die der Carrara in Padua,
der Scala in Verona, der Gonzaga in Mantua,
der Visconti (denen 1450 die Sforza folgten) in
Mailand (1395 Herzogtum). Auf ähhlicher
Grundlage baute sich die Herrschaft der Medici
in Florenz auf (seit 1434). Als Republiken er-
hielten sich vor allem die Seehandelsstädte Pisa
und Genua mit ihrem Kolonialbesitz in Sardinien
und Korsika, ferner Venedig mit seinen Erobe-
rungen im Adriatischen, Jonischen und Agälischen
Meere. Auch in den Binnenstädten entwickelte sich
trotz der Parteikämpfe zwischen Guelfen und
Ghibellinen und der demokratischen Gärung ein
reiches wirtschaftliches Leben. Getreide= und Salz-,
Woll= und Tuchhandel, Schiffahrt und Reederei,
die Vermittlung des seit den Kreuzzügen neu-
belebten Orienthandels und der Geldverkehr mit
West= und Mitteleuropa machten Italien damals
zum reichsten Lande. Durch die Kirche und das
Erbe des klassischen Altertums übte es den Primat
auf dem Gebiete des Geisteslebens aus. Dem Zu-
sammenwirken von Glaubensstärke und Opfer-
freude, natürlichem Schönheitssinn und südlichem
Himmel verdankte die Kunst eine unerreichte Blüte.
Ende des 15. Jahrh. begann der Wettstreit
Frankreichs und Spaniens um die Vorherrschaft
in Italien und damit eine neue Periode der
Fremdherrschaft. Die Streitobjekte waren zu-
nächst Neapel-Sizilien und Mailand, die beide
(jenes 1504, dieses 1535 bzw. bei der Teilung
der habsburgischen Länder 1554/56) an Spanien
kamen und den spanischen Habsburgern bis zu
ihrem Aussterben (1700) blieben. Der florenti-
nische Staat hatte sich über fast ganz Toskana,
namentlich Siena und Pisa, ausgedehnt und
wurde für die Medici 1531 zum erblichen Herzog-
tum, 1569 zum Großherzogtum Toskana er-
hoben. Auch sonst hatte sich dieitalienische Staaten-
welt arrondiert: Saluzzo kam 1531 an Frank-
reich (1601 an Savoyen), Montferrat 1536 an
die Gonzaga von Mantua (seit 1530 Herzoge).
Außer den genannten Staaten bestanden noch der
Kirchenstaat, die Republiken Lucca, Genua und
Venedig, Savoyen (Herzogtum seit 1417), das
Herzogtum der Este in Modena-Reggio (Ferrara
wurde 1598 vom Kirchenstaate eingezogen), seit
1545 das der Farnese in Parma-Piacenza, die
Fürstentümer Mirandola (das 1710 an die Este
kam), Massa-Carrara (1743 desgleichen) und
Piombino. Die meisten dieser Staaten verdankten
ihren Bestand und ihre Rangerhöhung der habs-
Italien.
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burgischen Vorherrschaft, der sie sich freiwillig.
fügten. Den ersten Erfolg errang Frankreich wäh-
rend des Dreißigjährigen Krieges, indem Man-
tua-Montferrat nach dem Aussterben der Gonzaga
an die Linie Nevers kam (1631).
Der Spanische Erbfolgekrieg (1700/14) setzte
an die Stelle der spanischen Linie die Vorherrschaft
der österreichischen Habsburger. Neapel, Sar-
dinien, Mailand und Mantua, wo das Haus
Nevers wegen seines Anschlusses an Frankreich
abgesetzt worden war, fielen an Osterreich, Sizilien
mit dem Königstitel, Montferrat und Teile von
Mailand an seinen Bundesgenossen Savoyen, der
jedoch 1720 Sizilien mit dem wenig wertvollen
Sardinien vertauschen mußte. Doch gelang es den
spanischen Bourbonen wenigstens, Parma-Pia-
cenza-Guastalla nach dem Aussterben der Farnese
(1731) als Sekundogenitur für den Prinzen Karl
zu gewinnen. Weitere Erfolge brachten den Bour-
bonen die Bemühungen Osterreichs um die An-
erkennung der Pragmatischen Sanktion und der
Polnische Erbfolgekrieg: gemäß den Friedens-
schlüssen von 1735/38 erhielt Karl von Parma
das Königreich Neapel-Sizilien, dafür kam Parma
an Osterreich, das durch Erlöschen des Hauses
Medici (1737) erledigte Toskana an den Gemahl
Maria Theresias, womit es eine österreichische
Sekundogenitur wurde. Nach dem Osterreichischen
Erbfolgekriege kam 1748 auch Parma an eine
Nebenlinie der spanischen Bourbonen; so spiegelte
sich das europäische Gleichgewicht in der Verteilung
der italienischen Territorien wider. In allen
diesen Wandlungen errang die prinzipienlose
Staatskunst Savoyens durch rechtzeitigen An-
schluß an die siegreiche Sache eine allmähliche Ge-
bietserweiterung bis zum Tessin.
Die französische Revolution und Napoleon I.
räumten mit der alten Staatenwelt gründlich auf;
schließlich gab es nur noch zwei Staaten, das
Königreich Neapel unter Napoleons Schwager
Joachim Murat und das Königreich Italien unter
seinem Stiessohne Eugen als Vizekönig, während
Savoyen, Ligurien, Toskana und der größte Teil
des Kirchenstaates mit dem Kaiserreich vereinigt
wurden. Durch die Beschlüsse des Wiener Kon-
gresses wurden die alten Dynastien zurückgeführt;
den Republiken Genua, Venedig und Lucca da-
gegen kam der Grundsatz der Legitimität nicht zu
gute. Osterreich erhielt sein altes Gebiet Mailand
und Mantua, die venezianischen Gebiete beider-
seits der Adria und den Teil des Kirchenstaates
nördlich vom Po als Lombardo-Venezianisches
Königreich. Toskana erhielt sein habsburgisches
Herrscherhaus wieder, auch Modena-Reggio mit
Massa-Carrara kam, da die Este 1803 aus-
gestorben waren, an eine habsburgische Linie
(Osterreich-Este) und Parma an Napoleons Ge-
mahlin, die österreichische Prinzessin Marie Luise
auf Lebenszeit. Die Bourbonen von Parma
mußten sich bis zu ihrem Tode (184 7) mit Lucca
begnügen, das darauf an Toskana fiel. Die