Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

1489 
fassung. Der Gemeinderat wird von allen 21 Jahre 
alten Italienern, die eine geringe direkte Steuer 
zahlen oder wegen persönlicher Eigenschaften in 
die Listen aufsgenommen werden, auf 6 Jahre 
gewählt; nicht wählbar sind Seelsorgsgeistliche, 
die zur Überwachung der Gemeindeverwaltung 
berufenen Beamten, Gemeindebeamte und die von 
der Gemeinde besoldeten Beamten oder sonst mit 
ihr in Abhängigkeitsverhältnissen stehenden Per- 
sonen. Die Zahl der Gemeinderäte variiert von 
80 bis 15. Dem Gemeinderat obliegt die Sorge 
für die Gemeindeinstitute und die Herstellung der 
Wahllisten. In der Zeit zwischen den Sitzungen 
wird er von der aus dem Rate gewählten Muni- 
zipalgiunta (2 bis 10 Mitgl.) vertreten, welche für 
den regelmäßigen Geschäftsgang und für die Voll- 
ziehung der Beschlüsse des Rates zu sorgen hat. 
Den Vorsitz in den Sitzungen des consiglio 
municipale und der giunta municipale führt 
der Sindaco, der von den Gemeinderäten gewählt 
wird (in kleineren Gemeinden bis 1896 vom 
Könige ernannt); er kann aus Gründen der öffent- 
lichen Ordnung vom Präfekten suspendiert und 
durch königlichen Erlaß seines Amtes entsetzt 
werden. Das Budget der Gemeinde unterliegt 
der Oberaufsicht des Präfekten. Die Gemeinde 
besitzt, um den an sie gestellten Anforderungen 
gerecht werden zu können, ein ausgedehntes Be- 
steuerungsrecht. Nur die Provinzen und Gemein- 
den sind juristische, vermögensfähige Personen, 
nicht aber die Kreise und „Amter"“, die jeder 
Selbständigkeit entbehren. 
Die Rechtspflege wird von folgenden Be- 
hörden ausgeübt: In Zivilsachen bestehen die 
Friedensrichter oder Schiedsrichter (conciliatori), 
die Amtsrichter (pretori), die Zivilgerichte, die 
Appellhöfe und die Kassationshöfe. Die Straf--- 
gerichtsbarkeit wird ausgeübt von den Prätoren, 
den Strafgerichten, Appellhöfen, von den Ge- 
schworenengerichten und vom Kassationshof in 
Rom; daneben bestehen Militärstrafgerichte für 
das Heer und für die Marine. Bei den Zidil- 
und Strafgerichten und bei den Gerichten höherer 
Instanz fungieren Staatsanwaltschaften. Jede 
Gemeinde hat einen oder mehrere (unbesoldete) 
Friedensrichter, jedes „Amt“ einen (ehrenamt- 
lichen) Amtsrichter, größere Städte mehrere, und 
daneben Amtsgerichte für Strafsachen; jeder Kreis- 
hauptort hat ein Zivil= und ein Strafgericht. Die 
Zahl der Appellhöfe ist 20, die der Kassations- 
höfe 5. Über Kompetenzstreitigkeiten zwischen ver- 
schiedenen Gerichten sowie zwischen diesen und den 
Administrativbehörden entscheidet der Kassations- 
hof in Rom, oberste Instanz der Verwaltungs- 
gerichtsbarkeit ist der Staatsrat (vierte Abteilung). 
Die Friedensrichter, die keiner technisch- 
juristischen Vorbildung bedürfen, haben Sühne- 
versuche anzustellen und sind zuständig für persön- 
liche Klagen betreffs Mobilien, Miete und Pacht 
bis zu 100 Lire. Die Amtsrichter entscheiden 
über Zivil- und handelsrechtliche Klagen bis zu 
  
Italien. 
  
1490 
1500 Lire, ferner über Besitzlagen und nehmen 
Berufungen gegen Entscheidungen der Friedens- 
richter an. Gegen ihre Entscheidungen ist Be- 
rufung an das Zivilgericht gestattet, das auch 
über die dem Prätor entzogenen Sachen in erster 
Instanz urteilt, sofern diese nicht vor ein anderes 
Forum gehören, und über handelsrechtliche Strei- 
tigkeiten entscheidet. Gegen alle Urteile des Zivil- 
gerichts ist Berufung an den Appellhof zu- 
lässig, der auch über Streitigkeiten wegen Zahlung 
von Gerichtsgebühren, über Kompetenzstreitigkeiten 
der ihm unterstehenden Gerichte, über zweifelhafte 
Wahlfähigkeit, Fähigkeit zum Geschworenen usw. 
entscheidet. Seine Urteile unterliegen der fakul- 
tativen Berufung an den Kassationshof, der auch 
über Zivilklagen gegen richterliche Beamte und 
über Rekurse gegen Urteile der Administrativ- 
behörden entscheidet. Er kann auch Streitigkeiten 
von einem Gerichtshofe an einen andern verweisen. 
— In Strassachen entscheidet der Amtsrichter 
wegen Ubertretungen und Delikte, auf welche eine 
Haft bis zu drei Monaten oder eine Geldstrafe 
bis zu 3000 Lire gesetzt ist (ausgenommen die den 
Assisenhöfen zugewiesenen Delikte und alle Preß- 
vergehen). Berufung ist nur bei größeren Strafen 
gestattet. Bestimmte Kategorien von Delikten sind 
dem Strafgerichte zugewiesen. Berufung gegen 
seine Urteile ist, außer bei Strafen unter 600 Lire, 
zulässig. Die Assisenhöfe urteilen unter Mitwir- 
kung von Geschworenen über Staats= und Maje- 
stätsverbrechen, über Aufreizung dazu durch die 
Presse, über Delikte gegen die Religion, überhaupt 
über Delikte, welche mit Zuchthaus oder Haft von 
mindestens fünf Jahren zu bestrafen sind. In 
zweiter und letzter Instanz entscheiden in Straf- 
sachen die Appellhöse und der Kassationshof in 
om. — Die Richter werden vom Könige er- 
nannt, sind in Ausübung ihres richterlichen Amtes 
unabhängig und erlangen nach 3 Jahren Amts- 
führung das Recht, nur mit ihrem Willen aus 
ihrer Stellung versetzt werden zu können, sie können 
nur nach einem bestimmt geregelten Verfahren aus 
ihrem Amte entfernt werden. Doch hat der Justiz- 
minister das Recht, die Versetzung von Richtern 
gegen ihren Willen nach Anhörung einer bestimm- 
ten Kommission zu verfügen, wenn er es im Inter- 
esse des Dienstes für nötig hält. 
Die unter der Leitung des Justizministers 
stehende Staatsanwaltschaft vertritt vor 
den Gerichten die Exekutivgewalt; sie wacht über 
die Beobachtung der Gesetze und sorgt für die Be- 
strafung der Reate und Ausführung der Urteile; 
ihre Funktionen werden an den Kassations= und 
Appellhöfen von Generalprokuratoren, an den 
Zivil= und Strafgerichten von Prokuratoren, an 
den Amtsgerichten in der Regel von richterlichen 
Hilfsbeamten, den Auditoren, versehen. Die Ge- 
richtsbarkeit der italienischen Konsuln in fremden 
Staaten über italienische Staatsbürger ist durch 
Verträge mit den betreffenden Staaten geregelt. 
Für die Militärgerichtsbarkeit (nur für Straf-
	        
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