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fassung. Der Gemeinderat wird von allen 21 Jahre
alten Italienern, die eine geringe direkte Steuer
zahlen oder wegen persönlicher Eigenschaften in
die Listen aufsgenommen werden, auf 6 Jahre
gewählt; nicht wählbar sind Seelsorgsgeistliche,
die zur Überwachung der Gemeindeverwaltung
berufenen Beamten, Gemeindebeamte und die von
der Gemeinde besoldeten Beamten oder sonst mit
ihr in Abhängigkeitsverhältnissen stehenden Per-
sonen. Die Zahl der Gemeinderäte variiert von
80 bis 15. Dem Gemeinderat obliegt die Sorge
für die Gemeindeinstitute und die Herstellung der
Wahllisten. In der Zeit zwischen den Sitzungen
wird er von der aus dem Rate gewählten Muni-
zipalgiunta (2 bis 10 Mitgl.) vertreten, welche für
den regelmäßigen Geschäftsgang und für die Voll-
ziehung der Beschlüsse des Rates zu sorgen hat.
Den Vorsitz in den Sitzungen des consiglio
municipale und der giunta municipale führt
der Sindaco, der von den Gemeinderäten gewählt
wird (in kleineren Gemeinden bis 1896 vom
Könige ernannt); er kann aus Gründen der öffent-
lichen Ordnung vom Präfekten suspendiert und
durch königlichen Erlaß seines Amtes entsetzt
werden. Das Budget der Gemeinde unterliegt
der Oberaufsicht des Präfekten. Die Gemeinde
besitzt, um den an sie gestellten Anforderungen
gerecht werden zu können, ein ausgedehntes Be-
steuerungsrecht. Nur die Provinzen und Gemein-
den sind juristische, vermögensfähige Personen,
nicht aber die Kreise und „Amter"“, die jeder
Selbständigkeit entbehren.
Die Rechtspflege wird von folgenden Be-
hörden ausgeübt: In Zivilsachen bestehen die
Friedensrichter oder Schiedsrichter (conciliatori),
die Amtsrichter (pretori), die Zivilgerichte, die
Appellhöfe und die Kassationshöfe. Die Straf---
gerichtsbarkeit wird ausgeübt von den Prätoren,
den Strafgerichten, Appellhöfen, von den Ge-
schworenengerichten und vom Kassationshof in
Rom; daneben bestehen Militärstrafgerichte für
das Heer und für die Marine. Bei den Zidil-
und Strafgerichten und bei den Gerichten höherer
Instanz fungieren Staatsanwaltschaften. Jede
Gemeinde hat einen oder mehrere (unbesoldete)
Friedensrichter, jedes „Amt“ einen (ehrenamt-
lichen) Amtsrichter, größere Städte mehrere, und
daneben Amtsgerichte für Strafsachen; jeder Kreis-
hauptort hat ein Zivil= und ein Strafgericht. Die
Zahl der Appellhöfe ist 20, die der Kassations-
höfe 5. Über Kompetenzstreitigkeiten zwischen ver-
schiedenen Gerichten sowie zwischen diesen und den
Administrativbehörden entscheidet der Kassations-
hof in Rom, oberste Instanz der Verwaltungs-
gerichtsbarkeit ist der Staatsrat (vierte Abteilung).
Die Friedensrichter, die keiner technisch-
juristischen Vorbildung bedürfen, haben Sühne-
versuche anzustellen und sind zuständig für persön-
liche Klagen betreffs Mobilien, Miete und Pacht
bis zu 100 Lire. Die Amtsrichter entscheiden
über Zivil- und handelsrechtliche Klagen bis zu
Italien.
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1500 Lire, ferner über Besitzlagen und nehmen
Berufungen gegen Entscheidungen der Friedens-
richter an. Gegen ihre Entscheidungen ist Be-
rufung an das Zivilgericht gestattet, das auch
über die dem Prätor entzogenen Sachen in erster
Instanz urteilt, sofern diese nicht vor ein anderes
Forum gehören, und über handelsrechtliche Strei-
tigkeiten entscheidet. Gegen alle Urteile des Zivil-
gerichts ist Berufung an den Appellhof zu-
lässig, der auch über Streitigkeiten wegen Zahlung
von Gerichtsgebühren, über Kompetenzstreitigkeiten
der ihm unterstehenden Gerichte, über zweifelhafte
Wahlfähigkeit, Fähigkeit zum Geschworenen usw.
entscheidet. Seine Urteile unterliegen der fakul-
tativen Berufung an den Kassationshof, der auch
über Zivilklagen gegen richterliche Beamte und
über Rekurse gegen Urteile der Administrativ-
behörden entscheidet. Er kann auch Streitigkeiten
von einem Gerichtshofe an einen andern verweisen.
— In Strassachen entscheidet der Amtsrichter
wegen Ubertretungen und Delikte, auf welche eine
Haft bis zu drei Monaten oder eine Geldstrafe
bis zu 3000 Lire gesetzt ist (ausgenommen die den
Assisenhöfen zugewiesenen Delikte und alle Preß-
vergehen). Berufung ist nur bei größeren Strafen
gestattet. Bestimmte Kategorien von Delikten sind
dem Strafgerichte zugewiesen. Berufung gegen
seine Urteile ist, außer bei Strafen unter 600 Lire,
zulässig. Die Assisenhöfe urteilen unter Mitwir-
kung von Geschworenen über Staats= und Maje-
stätsverbrechen, über Aufreizung dazu durch die
Presse, über Delikte gegen die Religion, überhaupt
über Delikte, welche mit Zuchthaus oder Haft von
mindestens fünf Jahren zu bestrafen sind. In
zweiter und letzter Instanz entscheiden in Straf-
sachen die Appellhöse und der Kassationshof in
om. — Die Richter werden vom Könige er-
nannt, sind in Ausübung ihres richterlichen Amtes
unabhängig und erlangen nach 3 Jahren Amts-
führung das Recht, nur mit ihrem Willen aus
ihrer Stellung versetzt werden zu können, sie können
nur nach einem bestimmt geregelten Verfahren aus
ihrem Amte entfernt werden. Doch hat der Justiz-
minister das Recht, die Versetzung von Richtern
gegen ihren Willen nach Anhörung einer bestimm-
ten Kommission zu verfügen, wenn er es im Inter-
esse des Dienstes für nötig hält.
Die unter der Leitung des Justizministers
stehende Staatsanwaltschaft vertritt vor
den Gerichten die Exekutivgewalt; sie wacht über
die Beobachtung der Gesetze und sorgt für die Be-
strafung der Reate und Ausführung der Urteile;
ihre Funktionen werden an den Kassations= und
Appellhöfen von Generalprokuratoren, an den
Zivil= und Strafgerichten von Prokuratoren, an
den Amtsgerichten in der Regel von richterlichen
Hilfsbeamten, den Auditoren, versehen. Die Ge-
richtsbarkeit der italienischen Konsuln in fremden
Staaten über italienische Staatsbürger ist durch
Verträge mit den betreffenden Staaten geregelt.
Für die Militärgerichtsbarkeit (nur für Straf-