Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

1495 
(21•%). Bei der feindlichen Stellung des italie- 
nischen Staates zur Kirche ist die Geistlichkeit von 
jeder amtlichen Mitwirkung am Unterrichtswesen, 
von der Leitung und Überwachung irgend welcher 
öffentlichen Schulen völlig ausgeschlossen. Der 
Religionsunterricht in den Schulen war durch das 
Gesetz Casati für alle Schüler obligatorisch, außer 
jenen, deren Eltern um Dispens einkamen; die 
Gemeinden hatten für geeignete Lehrkräfte zu 
sorgen. Daran änderte auch das Unterrichtsgesetz 
von 1877 nichts. Im Dez. 1907 erließ der 
Unterrichtsminister Rava eine Schulverordnung, 
in der von dieser Pflicht der Gemeinden keine 
Rede mehr war. Infolge des allgemeinen Pro- 
testes der Katholiken erließ der Minister am 
2. Febr. 1908 eine zweite, von der Kammer am 
27. Febr. gebilligte Schulverordnung, nach der 
die Gemeinden nur für den Religionsunterricht 
derjenigen Schüler sorgen müssen, deren Eltern 
ihn verlangen; die Schulräume werden dazu in 
der vom Provinzialschulrate festgesetzten Zeit zur 
Verfügung gestellt. Auf Grund dieses Beschlusses 
haben viele Gemeinderäte, besonders der vom 
Logengroßmeister Nathan geleitete römische, den 
Religionsunterricht in den Volksschulen abge- 
schafft und machen die größten Schwierigkeiten, 
dem Verlangen zahlreicher Familienväter nach 
fakultativem Religionsunterricht zu willfahren. 
Außerordentlich reich ist Italien an Biblio- 
theken, Museen, Galerien. Unter den Bibliotheken 
nimmt den ersten Rang ein die Vatikanische in 
Rom. Von großer Bedeutung sind aber auch die 
Nationale und die Mediceische in Florenz, die 
Bibliothek Vittorio Emanuele in Rom, die Brai- 
densische und die Ambrosiana in Mailand, die 
Markusbibliothek in Venedig. Angrößeren Staats- 
bibliotheken zählt Italien 32. 
Periodische Zeitschriften zählte man 1905 
3210 (gegen 1596 im Jahre 1889 und 765 im 
Jahre 1871), davon 147 täglich erscheinende. 
Politische und politisch-religiöse Zeitungen er- 
schienen 1905: 815. Im Auslande erschienen im 
gleichen Jahre 264 italienische Zeitschriften (110 
in Europa, 138 in Amerika). 
V. Wirtschafftliche Verhälknisse. Das pro- 
duktive Land beträgt 84 % des Gesamtareals. Aber 
der Ackerbau ist in vielen Teilen des Landes, na- 
mentlich im Süden, vernachlässigt, wozu aller- 
dings in erster Linie die Latifundienwirtschaft des 
Adels in Mittel- und Süditalien, dann der Ab- 
sentismus der Gutsbesitzer, die Abneigung des 
Italieners gegen das Landleben, der Steuerdruck, 
die Ausbeutung der Landarbeiter durch Pächter, 
Geschäftsführer und andere Zwischeninstanzen (die 
wiederholt zu Bauernaufständen geführt hat), die 
veralteten Bewirtschaftungsmethoden usw. bei- 
tragen. Der Großgrundbesitzer zieht es vielfach 
vor, große Strecken anbaufähigen Landes als 
Weideplätze zu benutzen. Seit einiger Zeit werden 
Produktivgenossenschaften gebildet (Vereinigungen 
von landwirtschaftlichen Arbeitern, Dienstboten, 
Italien. 
  
1496 
Taglöhnern usw.), zum Zweck, mehr oder weniger 
große Güter in Pacht zu übernehmen und zu be- 
wirtschaften. Sehr gut angebaut sind die Lom- 
bardei und Toskana. An 54% des Gesamt- 
areals sind Acker= und Gartenland, 13 % Wein- 
land und Olivenhaine, 16 % Waldungen, 1% 
Alpenweiden. Vor allem eifrig betrieben wird 
die Weinkultur, in der unter allen Ländern 
Europas Italien neben Frankreich bezüglich der 
Menge an der Spitze steht, während die Qualität 
im allgemeinen wegen der Mängel der Bereitung 
und Aufbewahrung hinter den Edelsorten Frank- 
reichs und des Rheingebietes zurückbleibt. Die 
ausschließlich mit Reben bepflanzte Bodenfläche 
beträgt an 5000 qkm; dazu kommen 35 000 qkm 
Anbaufläche auf anderem Ackerlande, besonders 
Weizenfeldern, das vielfach auch wegen der Seiden- 
zucht mit Maulbeerbäumen, den Stützen für die 
Weinreben, bepflanzt ist. Ebenso große Sorgfalt 
wird auf die Baumkultur gelegt; in erster Linie 
ist hier der Olbaum zu nennen, der teils auf Ackern 
und Wiesen teils in Wäldern kultiviert wird (an 
11.000 qkm), dann der Aprikosen-, Mandel-, 
Feigen= und Maulbeerbaum, südlich vom 44. 
nördlicher Breite und an der Riviera Agrumen 
(Orangen, Zitronen, Limonen usw.). Von ebenso 
großer Bedeutung ist der Anbau von Hülsen- 
früchten und Gemüsearten. Von den Cerealien 
werden im Norden besonders Weizen, daneben 
Mais, in der Poebene auch Reis, im Süden 
Gerste und Weizen angebaut; doch müssen zur 
Deckung des Bedarfes große Mengen Getreide 
eingeführt werden. Die durchschnittlichen Ernte- 
mengen betrugen in den Jahren 1901/06 in 
Mill. hI: 57,3 Weizen (1907: 62,6), 31,6 Mais 
(31,2), 9,05 Reis (10,5), 38,2 Wein (56,6), 
2,7 Olivenöl (2,9), 4875 Mill. Stück Agrumen. 
An Tabak (besonders in den Provinzen Benevent, 
Lecce, Arezzo, Salerno; 5040 ha) wurden 1906: 
6,7 Mill. kg geerntet. Eine hervorragende Ein- 
nahmequelle bildet die Zucht der Seidenraupe (im 
jährlichen Durchschnitt 1903/07: 52,8 Mill. kg 
Kokons, wovon fast die Hälfte auf die Lombardei, 
je ein Fünftel auf Piemont und Venezien kommt). 
Verarbeitet wird die italienische Seide großenteils 
in Lyon. Der Wald ist teils Bergwald (meist Laub- 
holz, an 4120 qkm Kastanienwald) teils dünner 
Küstenwald mit immergrünen Hölzern; im Apen- 
nin, auf Sardinien usw. treten an seine Stelle 
die Machhien (Gebüsche aus meist immergrünen 
Sträuchern). Die seit Jahrhunderten fortgesetzte 
Entwaldung hat weite, ehemals fruchtbare Land- 
striche in Odland und Sümpfe verwandelt und 
macht die Bergflüsse zur Regenzeit des Herbstes 
und Winters zu verheerenden Wildbächen. 1867 
bis 1906 wurden 46 200 ha neu aufgeforstet. 
Die Viehzucht steht hinter der anderer Länder 
zurück. 1908 zählte Italien ohne Militärpferde 
955.050 Pferde (namentlich in der Poebene und 
in den Provinzen Ravenna, Pisa, Rom), 849000 
Esel, 388 000 Maultiere, 6,2 Mill. Stück Rind-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.