Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Mitgliedschaft frei übertragbar. Demnach ge- 
hören auch sie nicht zu den Korporationen, weil 
auch bei ihnen die Komplementäre den Gläu- 
bigern gegenüber mit dem ganzen Vermögen haf- 
ten wie bei den gewöhnlichen Kommanditgesell- 
schaften. Anders bei den Aktiengesellschaften. Sie 
haben mit den (reinen Privatgesellschaften und den 
erlaubten) Gesellschaften zwar das gemein, daß 
jeder Aktionär einen verhältnismäßigen Anteil an 
dem Inbegriff des Gesellschaftsvermögens hat, 
und daß dieses nach Auflösung der Gesellschaft 
und nach Tilgung der Gesellschaftsschulden unter 
die Aktionäre verteilt wird, dagegen haftet für die 
Schulden der Gesellschaft lediglich das Vermögen 
derselben; eine persönliche Haftung der Aktionäre p 
gegenüber den Gesellschaftsgläubigern findet im 
allgemeinen nicht statt; sie können nicht einmal 
von der Gesellschaft selbst zu neuen Beiträgen 
herangezogen werden. Wegen dieses charakteristi= 
schen Merkmals sind sie zu den juristischen Per- 
sonen zu rechnen, welche kraft Gesetzes bestehen. 
— Die Gewerkschaften (Bergwerksgesellschaften) 
bilden nach älterem Bergrecht eine (erlaubte) Ge- 
sellschaft. Nach neuerem Bergrecht dagegen, ins- 
besondere nach dem preußischen Berggesetz von 
1865, haftet auch bei ihnen für die Schulden 
der Gewerkschaft nur das Vermögen der letzteren; 
eine persönliche Haftung der Gewerke den Ge- 
werkschaftsgläubigern gegenüber ist ausgeschlossen. 
Daher rechnet man sie ebenfalls mit Recht zu den 
vermöge Gesetzes bestehenden Korporationen. — 
Zu den reichsrechtlich geregelten juristischen Per- 
sonen des Privatrechts zählen auch die Gesell- 
schaften mit beschränkter Haftung nach dem Gesetz 
vom 20. April 1892 und die Erwerbs= und 
Wirtschaftsgenossenschaften nach dem Gesetz vom 
1. Mai 1889 und 12. Aug. 1896. 
Aus den letztangeführten Beispielen ist ersicht- 
lich, daß, wie oben bemerkt wurde, die frühere 
doktrinelle Unterscheidung der drei verschiedenen 
Gattungen der Gesellschaften keineswegs mehr 
aufrecht zu erhalten ist. Das soziale und Verkehrs- 
leben ist in neuerer Zeit so in der Umbildung 
begriffen, daß die alten gesetzlichen Formen nicht 
mehr passen und ganz neuen rechtlichen Gebilden, 
den Bedürfnissen des Lebens entsprechend, weichen 
müssen. Diesen Bedürfnissen hat der Gesetzgeber 
zum Teil bereits Rechnung getragen. Darum die 
große Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit der 
gesetzlichen Bestimmungen auf dem Gebiete des 
Rechts der Personenvereinigungen. Nur das eine 
ist, um es zu wiederholen, festzuhalten, daß eine 
Körperschaft immer nur ein solcher Personen- 
verein sein kann, welcher durch Verleihung oder 
Gesetz als eine rechtliche Einheit mit der Bestim- 
mung anerkannt ist, daß für die Verbindlichkeiten 
des Vereins den Gläubigern gegenüber niemals die 
einzelnen Mitglieder haften, daß jene vielmehr nur 
an das Vermögen des Vereins sich halten können. 
Literatur. Außer den Lehrbüchern über Zivil- 
recht u. Verwaltungsrecht (Löning, G. Meyer, 
  
Justiz usw. — Justizverweigerung. 
  
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Rösler, Sarwey, Stengel) sind über Genossen- 
schaftswesen besonders zu vergleichen die Werke 
von Loew (1829), Maurer (1854 ff), Parisius 
(1867 ff), Gierke (1868 ff), Brückner (1869), 
Schulze-Delitzsch (1869 ff), Sicherer (1872), Roth 
(1876), Kraus (1878), Dankelmann (1882), Rei- 
nartz (1882), Esser (1883), Propst (1884), Jäger 
(1884), Rosin (1886); J. v. Staudinger, Kommen- 
tare zum B.G.B. I (1907); Planck, B. G. B. 1 
(1903); Dernburg, Bürgerl. Recht 1 (81906).— 
Vgl. auch Binder, Das Problem der jurist. Per- 
sönlichkeit (1907); ferner Stroß, Das österreich. 
Genossenschaftsrecht (1887). 
V. Rintelen, rev. Eggler.] 
Justiz, Justizverwaltung s. Rechts- 
ege. 
Justizverweigerung. A. Allgemeines. 
I. Begriff. Justizverweigerung ist die pflicht- 
widrige Versagung der Rechtspflege. Voraus- 
gesetzt ist ein dreifaches: 1) ein Gegenstand der 
Rechtspflege, eine Rechtssache (Justizsache), d. h. 
ein bei der zur Pflege des Rechts berufenen Be- 
hörde anhängig gemachter Streit über Dasein, 
Inhalt oder Umfang eines Rechts im subjektiven 
Sinne, im Gegensatze zur Verwaltungssache; 
2) eine Versagung der Rechtspflege, d. h. die 
Nichtanwendung des geltenden Gesetzes auf den 
anhängig gemachten Rechtsstreit, im Gegensatze 
zur mangelhaften Rechtspflege, welche in unrich- 
tiger Anwendung des Gesetzes besteht und auf eine 
unrichtige Beurteilung der Tatsachen oder auf eine 
unrichtige Auslegung des Gesetzes zurückzuführen 
ist. Keine Justizverweigerung ist es daher, wenn 
eine Klage, ein Rechtsmittel, irgend ein Antrag 
überhaupt von der angerufenen Justizbehörde als 
unzulässig oder als unbegründet zurückgewiesen 
wird, z. B. wegen Unzuständigkeit, wegen man- 
gelnder Beobachtung der erforderlichen Formen 
und Fristen, wegen unzureichenden Beweises. 
Nicht der Inhalt einer gegebenen gerichtlichen 
Entscheidung, sondern nur die Versagung der 
Entscheidung selbst kann den Tatbestand der Justiz- 
verweigerung erfüllen. In der Wirkung kommt es 
allerdings für den Rechtsuchenden einer Justiz- 
verweigerung gleich, wenn der Staat nicht aus- 
reichende Vorschriften über die Entscheidung nega- 
tiver Kompetenzkonflikte zwischen den Gerichts= und 
Verwaltungsbehörden erläßt und dadurch herbei- 
führt, daß die Beteiligten eine richterliche Ent- 
scheidung in der Sache nicht erlangen können. 
3) Die Versagung der Rechtspflege muß eine 
pflichtwidrige sein; nur insoweit die Justizbehör- 
den durch das Gesetz verpflichtet sind, rechtliches 
Gehör zu gewähren, kann eine Justizverweigerung 
in Frage kommen. — Die Fragen, welche Streit- 
sachen im einzelnen als Justizsachen gelten, welche 
Behörden zur Rechtspflege berufen sind und in 
welchen Fällen von ihnen rechtliches Gehör ge- 
währt werden soll, beantworten sich nach dem 
Staatsrecht der einzelnen Länder verschieden. 
II. Arten. Die Justizverweigerung kann in 
jeder Lage des Rechtsstreites vorkommen, auch 
 
	        
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