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vor Einführung der konstitutionellen Monarchie
sowohl die privaten Angelegenheiten der Herrscher
als auch die Staatsangelegenheiten in dem Kabi-
nett bearbeitet. Auf die Einzelheiten einzugehen,
insbesondere auf das Verhältnis des Staatsrats
und Zivilkabinetts in Preußen von 1810 ab, er-
übrigt sich, weil durch den Erlaß der Verfassungen
die Stellung des Kabinetts durchweg geändert
worden ist. Seitdem umfaßt der Wirkungskreis
des Kabinetts in der Hauptsache die formelle Er-
ledigung der unmittelbar an den Monarchen ge-
langenden Geschäftsgegenstände. Derselbe ist jedoch
in den verschiedenen Staaten nicht gleichmäßig ge-
regelt. Für die Verschiedenheit der Reglung ist
die verfassungsrechtliche Gestaltung des Verhält-
nisses der Minister zum Träger der Krone maß-
gebend, da das Kabinett zur Erledigung derjenigen
Angelegenheiten nicht berechtigt ist, welche der
Gegenzeichnung der Minister bedürfen und welche
deshalb den Verkehr der Minister mit dem Mon-
archen erfordern. Das Kabinett hat die an den
Herrscher unmittelbar gelangenden Eingaben und
Vorstellungen von Behörden und Privatpersonen
(Beschwerden, Begnadigungs= und sonstige Ge-
suche) zur persönlichen Entschließung desselben
vorzubereiten und die Entschließung auszufertigen.
Es hat die Korrespondenz des Herrschers zu ver-
mitteln, soweit dieselbe nicht durch das Auswär-
tige Amt des Staates zu erledigen ist. Durch
seine Hand gehen ferner die Anordnungen des
Herrschers an die Minister, unter ihnen auch die
Aufforderung zur Einreichung ihres Entlassungs-
gesuches sowie die auf die Organisation der Staats-
verwaltung bezüglichen Befehle, sofern dem Herr-
scher staatsrechtlich ein Eingriff in diese zusteht.
In Bayern ist das Kabinettssekretariat seit 1848
auf die unmittelbar zu des Königs Privatdisposi-
tion gehörenden Angelegenheiten beschränkt. Die
von dem Herrscher unterschriebenen, aus der Kanzlei
ausgehenden Schriftstücke sind von dem Vorsteher
des Kabinetts (Kabinettssekretär, Kabinettsdirektor)
gegenzuzeichnen, womit jedoch eine verfassungs-
mäßige Verantwortlichkeit für deren Inhalt nicht
übernommen wird. Die Beamten des Kabinetts
sind in den meisten Staaten Hof-, in einzelnen
Staatsbeamte, je nachdem sie aus der Staats-
kasse oder aus der Zivilliste des Herrschers be-
soldet werden.
In Preußen zerfällt das Kabinett in zwei Ab-
teilungen, eine für Hof= und Zivilsachen, und
eine für Militär= und Marinesachen. Das Militär-
kabinett hat alle Militärsachen zu bearbeiten und
vorzutragen, die an den König persönlich eingehen,
insbesondere die Personalangelegenheiten von Heer
und Marine. Seine Stellung ist dadurch für das
ganze Reich von Bedeutung, zumal da für die
lediglich auf der Kommandogewalt des Königs be-
ruhenden Armeebefehle eine Gegenzeichnung des
Kriegsministers nicht besteht. — Die aus dem
Kabinett des Herrschers ausgehenden Anordnungen
heißen Kabinettsordern, Kabinettsbefehle.
Staatslexikon. II. 3. Aufl.
Kabinett usw.
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Vor Erlaß der Verfassungen hatten dieselben Ge-
setzeskraft, wenn sie vorschriftsmäßig veröffentlicht
worden waren. Im Laufe des vorigen Jahrh.
wurde die Bezeichnung auf die vom Herrscher voll-
zogenen und an eine bestimmte Staatsbehörde ge-
richteten Anordnungen eingeschränkt, so daß ihre
Gesetzeskraft in Wegfall kam. Ihr Inhalt kann
aber nach wie vor nicht bloß ein auf einen zur
Entscheidung gebrachten Fall beschränkter, sondern
auch ein allgemeiner sein. Von besonderem Inter-
esse sind wegen der politischen Erörterungen über
sie die sog. justifizierenden Kabinettsordern an die
Minister, durch welche etatswidrige Ausgaben den
die Ausgaben prüfenden Behörden (für Preußen
und das Reich der Oberrechnungskammer) gegen-
über gerechtfertigt werden. Sie bedürfen der Gegen-
zeichnung des zuständigen Ministers und im Reiche
der Zustimmung des Reichstages. — Aus dem
Kabinett des Herrschers ergingen in früheren Jahr-
hunderten auch Entscheidungen in Justizsachen;
man bezeichnete deshalb das Eingreifen des Lan-
desherrn in den Gang der Justiz als Kabinetts-
justiz. Solange der König der oberste Richter
war, hatte ein derartiges Eingreifen nichts Be-
fremdliches. Die Entwicklung der Territorial=
hoheit der einzelnen Landesherren mußte jedoch zu
dessen Beseitigung führen. In der Reichskammer-
gerichtsordnung von 1495 Titel 21 ist für das
Reichskammergericht die Kabinettsjustiz ausge-
schlossen. Und nach § 1 des deutschen Gerichts-
verfassungsgesetzes kann die richterliche Gewalt nur
durch unabhängige, dem Gesetze allein unterwor-
fene Gerichte ausgeübt werden. Dadurch wird das
Staatsoberhaupt, welches als solches Gerichtsherr
ist, verhindert, persönlich in die Rechtspflege ein-
zugreifen. Die Gerichte selbst sind keiner andern
Autorität als der des Gesetzes unterworfen. Ver-
fügungen, welche ihnen von dem Staatsoberhaupte
zugehen und welche unmittelbar in ein anhängiges
oder anhängig zu machendes Prozeß= oder Straf-
verfahren eingreifen, sind von ihnen nicht zu be-
achten. Auch ist den Richtern eine persönlich
gesicherte Stellung gewährt, damit nicht die Ge-
richtsherren durch Befehle und Wünsche einen un-
berechtigten Einfluß auf ihre Tätigkeit ausüben
können. Wie für die ordentlichen Gerichte, ist auch
für die Verwaltungs= und Disziplinargerichte und
für die freiwillige Gerichtsbarkeit die Kabinetts-
justiz verboten, womit jedoch nicht ausgeschlossen
ist, daß das Staatsoberhaupt eine allgemeine Auf-
sicht über die Justizverwaltung ausübt und sich
über dieselbe Bericht erstatten läßt. Als Organ
dazu dient ihm das Justizministerium. Würde
die Justizhoheit des Landesherrn zu einer Justiz-
verweigerung mißbraucht, so liegt, sofern auf ge-
setzlichem Wege ausreichende Hilfe nicht erreicht
werden kann, dem Bundesrate die Pflicht ob, bei
der Staatsregierung Abhilfe zu bewirken (Ver-
fassung Art. 77). — Marquardsen, Handbuch
des öffentlichen Rechts.
[Spahn.]
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