Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

1537 
vor Einführung der konstitutionellen Monarchie 
sowohl die privaten Angelegenheiten der Herrscher 
als auch die Staatsangelegenheiten in dem Kabi- 
nett bearbeitet. Auf die Einzelheiten einzugehen, 
insbesondere auf das Verhältnis des Staatsrats 
und Zivilkabinetts in Preußen von 1810 ab, er- 
übrigt sich, weil durch den Erlaß der Verfassungen 
die Stellung des Kabinetts durchweg geändert 
worden ist. Seitdem umfaßt der Wirkungskreis 
des Kabinetts in der Hauptsache die formelle Er- 
ledigung der unmittelbar an den Monarchen ge- 
langenden Geschäftsgegenstände. Derselbe ist jedoch 
in den verschiedenen Staaten nicht gleichmäßig ge- 
regelt. Für die Verschiedenheit der Reglung ist 
die verfassungsrechtliche Gestaltung des Verhält- 
nisses der Minister zum Träger der Krone maß- 
gebend, da das Kabinett zur Erledigung derjenigen 
Angelegenheiten nicht berechtigt ist, welche der 
Gegenzeichnung der Minister bedürfen und welche 
deshalb den Verkehr der Minister mit dem Mon- 
archen erfordern. Das Kabinett hat die an den 
Herrscher unmittelbar gelangenden Eingaben und 
Vorstellungen von Behörden und Privatpersonen 
(Beschwerden, Begnadigungs= und sonstige Ge- 
suche) zur persönlichen Entschließung desselben 
vorzubereiten und die Entschließung auszufertigen. 
Es hat die Korrespondenz des Herrschers zu ver- 
mitteln, soweit dieselbe nicht durch das Auswär- 
tige Amt des Staates zu erledigen ist. Durch 
seine Hand gehen ferner die Anordnungen des 
Herrschers an die Minister, unter ihnen auch die 
Aufforderung zur Einreichung ihres Entlassungs- 
gesuches sowie die auf die Organisation der Staats- 
verwaltung bezüglichen Befehle, sofern dem Herr- 
scher staatsrechtlich ein Eingriff in diese zusteht. 
In Bayern ist das Kabinettssekretariat seit 1848 
auf die unmittelbar zu des Königs Privatdisposi- 
tion gehörenden Angelegenheiten beschränkt. Die 
von dem Herrscher unterschriebenen, aus der Kanzlei 
ausgehenden Schriftstücke sind von dem Vorsteher 
des Kabinetts (Kabinettssekretär, Kabinettsdirektor) 
gegenzuzeichnen, womit jedoch eine verfassungs- 
mäßige Verantwortlichkeit für deren Inhalt nicht 
übernommen wird. Die Beamten des Kabinetts 
sind in den meisten Staaten Hof-, in einzelnen 
Staatsbeamte, je nachdem sie aus der Staats- 
kasse oder aus der Zivilliste des Herrschers be- 
soldet werden. 
In Preußen zerfällt das Kabinett in zwei Ab- 
teilungen, eine für Hof= und Zivilsachen, und 
eine für Militär= und Marinesachen. Das Militär- 
kabinett hat alle Militärsachen zu bearbeiten und 
vorzutragen, die an den König persönlich eingehen, 
insbesondere die Personalangelegenheiten von Heer 
und Marine. Seine Stellung ist dadurch für das 
ganze Reich von Bedeutung, zumal da für die 
lediglich auf der Kommandogewalt des Königs be- 
ruhenden Armeebefehle eine Gegenzeichnung des 
Kriegsministers nicht besteht. — Die aus dem 
Kabinett des Herrschers ausgehenden Anordnungen 
heißen Kabinettsordern, Kabinettsbefehle. 
Staatslexikon. II. 3. Aufl. 
Kabinett usw. 
  
1538 
Vor Erlaß der Verfassungen hatten dieselben Ge- 
setzeskraft, wenn sie vorschriftsmäßig veröffentlicht 
worden waren. Im Laufe des vorigen Jahrh. 
wurde die Bezeichnung auf die vom Herrscher voll- 
zogenen und an eine bestimmte Staatsbehörde ge- 
richteten Anordnungen eingeschränkt, so daß ihre 
Gesetzeskraft in Wegfall kam. Ihr Inhalt kann 
aber nach wie vor nicht bloß ein auf einen zur 
Entscheidung gebrachten Fall beschränkter, sondern 
auch ein allgemeiner sein. Von besonderem Inter- 
esse sind wegen der politischen Erörterungen über 
sie die sog. justifizierenden Kabinettsordern an die 
Minister, durch welche etatswidrige Ausgaben den 
die Ausgaben prüfenden Behörden (für Preußen 
und das Reich der Oberrechnungskammer) gegen- 
über gerechtfertigt werden. Sie bedürfen der Gegen- 
zeichnung des zuständigen Ministers und im Reiche 
der Zustimmung des Reichstages. — Aus dem 
Kabinett des Herrschers ergingen in früheren Jahr- 
hunderten auch Entscheidungen in Justizsachen; 
man bezeichnete deshalb das Eingreifen des Lan- 
desherrn in den Gang der Justiz als Kabinetts- 
justiz. Solange der König der oberste Richter 
war, hatte ein derartiges Eingreifen nichts Be- 
fremdliches. Die Entwicklung der Territorial= 
hoheit der einzelnen Landesherren mußte jedoch zu 
dessen Beseitigung führen. In der Reichskammer- 
gerichtsordnung von 1495 Titel 21 ist für das 
Reichskammergericht die Kabinettsjustiz ausge- 
schlossen. Und nach § 1 des deutschen Gerichts- 
verfassungsgesetzes kann die richterliche Gewalt nur 
durch unabhängige, dem Gesetze allein unterwor- 
fene Gerichte ausgeübt werden. Dadurch wird das 
Staatsoberhaupt, welches als solches Gerichtsherr 
ist, verhindert, persönlich in die Rechtspflege ein- 
zugreifen. Die Gerichte selbst sind keiner andern 
Autorität als der des Gesetzes unterworfen. Ver- 
fügungen, welche ihnen von dem Staatsoberhaupte 
zugehen und welche unmittelbar in ein anhängiges 
oder anhängig zu machendes Prozeß= oder Straf- 
verfahren eingreifen, sind von ihnen nicht zu be- 
achten. Auch ist den Richtern eine persönlich 
gesicherte Stellung gewährt, damit nicht die Ge- 
richtsherren durch Befehle und Wünsche einen un- 
berechtigten Einfluß auf ihre Tätigkeit ausüben 
können. Wie für die ordentlichen Gerichte, ist auch 
für die Verwaltungs= und Disziplinargerichte und 
für die freiwillige Gerichtsbarkeit die Kabinetts- 
justiz verboten, womit jedoch nicht ausgeschlossen 
ist, daß das Staatsoberhaupt eine allgemeine Auf- 
sicht über die Justizverwaltung ausübt und sich 
über dieselbe Bericht erstatten läßt. Als Organ 
dazu dient ihm das Justizministerium. Würde 
die Justizhoheit des Landesherrn zu einer Justiz- 
verweigerung mißbraucht, so liegt, sofern auf ge- 
setzlichem Wege ausreichende Hilfe nicht erreicht 
werden kann, dem Bundesrate die Pflicht ob, bei 
der Staatsregierung Abhilfe zu bewirken (Ver- 
fassung Art. 77). — Marquardsen, Handbuch 
des öffentlichen Rechts. 
[Spahn.] 
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