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menfassung aller deutschen Stämme zur Erfüllung
der dem deutschen Volke gesetzten weltgeschichtlichen.
Aufgaben anerkennt.
B. Das römische Kaisertum (27 v. Chr. bis
zum Ende des weströmischen Reiches 476). I. Das
Kaisertum bei den Römern (principatus) ist ein
staatsrechtlicher Begriff, und zwar nicht eine
Monarchie, sondern eine Vereinigung der höchsten
republikanischen Magistratsgewalten, in welcher
das entartete Volk sich den schwach verschleierten
Despotismus gefallen ließ. Die Souveränität
des Volkes blieb grundsätzlich unberührt und fand
ihren Ausdruck in der schlechthin freien Wahl und
Absetzung des Kaisers, die sich, mochte sie im ein-
zelnen Falle durch das gesetzliche Organ, den
Senat, oder durch beliebige Teile des Volkes oder
Heeres sich vollziehen, im Grunde genommen
lediglich nach der Gewalt des Stärkeren, nicht
nach dem Legitimitätsprinzipe regelte. Der Kaiser
ist der erste Bürger und Beamte der Republik,
der als solcher nicht über dem Gesetze steht, wohl
aber mannigfach gesetzlich privilegiert ist und im
Laufe der Entwicklung das Recht der Dispen-
sation von den Gesetzen erhalten hat (princeps
legibus solutus). Seine Unverantwortlichkeit
ergibt sich aus dem republikanischen Grundsatze,
daß jeder Magistrat nur bei einem übergeord-
neten Beamten zur Verantwortung gezogen wer-
den kann; ein Einschreiten gegen den Kaiser ist
daher auch nur während seiner Amtsdauer aus-
geschlossen, dagegen nach Amtsniederlegung oder
Absetzung zugelassen, wie auch nach dem Tode
des Kaisers eine Revision seiner Amtshandlungen
stattfand und Ehrenstrafen verhängt werden konn-
ten. Auch die Unverletzlichkeit des princeps ist
im Grundsatze lediglich die magistratische; aber
freilich wurde der Begriff des Majestätsver-
brechens, dessen Verfolgung und Bestrafung ins
Ungeheuerliche ausgedehnt. Die Vergötterung der
Kaiser, vielfach geübt und von den schlechtesten
Kaisern sogar verlangt, ist nicht zu einem dauern-
den Rechtsinstitute geworden. Eine Besoldung
bezog der Kaiser ebensowenig wie die übrigen
Magistrate, und die ihm zur Bestreitung seiner
Aufgaben zugewiesenen Staatseinkünfte erforder-
ten nicht selten Zuschüsse aus seinen Privatmitteln
(Augustus erklärt in seinem Testamente, er habe
aus ererbtem Gute 4 Milliarden Sesterzen zu
öffentlichen Zwecken verwendet). Die gewöhn-
lichen Abzeichen des Kaisers waren die der repu-
blikanischen Magistrate: Purpurgewand und
Lorbeerkranz (letzterer Zeichen des Triumphators).
Von andern Magistraturen unterschied sich das
Kaisertum durch die Lebenslänglichkeit und Unbe-
schränktheit seiner Gewalt, durch die Vereinigung
der verschiedenen Amter und den Mangel eines
Amtseides. Der Kaiser leistete keinen Eid auf die
Gesetze, während die übrigen Beamten bei ihrem
Amtsantritte dies zu tun hatten. Ein besonderer
Eid wurde dem Kaiser als dem Feldherrn der Ge-
meinde nur von den Soldaten geschworen (sacra-
Kaiser.
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mentum)e: ein Eid, der sich aber späterhin zu
einem Treueide der Beamten, Bürger und Unter-
tanen erweiterte. Als Titel seiner Stellung legte
sich der Kaiser die Beinamen Imperator, Cäsar,
Augustus bei, wovon die beiden ersten auf den
Diktator Cajus Julius Cäsar als den Begründer
des Kaisertums, der letzte (= heilig, c#eg#a##öh auf
den ersten princeps, dem er durch Senatsbeschluß
verliehen wurde, zurückzuführen ist. Aus dem
magistratischen Charakter des Kaiseramtes ergab
sich auch die Möglichkeit, in dem den orbis ter-
rarum umfassenden, einheitlichen Reiche die
Staatsgewalt unter mehrere Imperatoren zu
teilen, und diese Teilung bot wieder das Mittel,
durch Einführung einer Mitregentschaft oder Ge-
samtregentschaft die Nachfolge in den an sich
nicht erblichen Prinzipat zu sichern.
II. Eine gesetzliche Reglung der im Kaisertume
inbegriffenen oder mit demselben verbundenen, je
durchbesondere Übertragungsakteerworbenen Amter
hat nicht stattgefunden. Ebensowenig kam es in der
Kaiserzeit zu einer Normierung des Rechts der Ge-
setzgebung oder zu einer gesetzlichen Reglung der
bürgerlichen Behörden: neben dem Gesetzgebungs-
recht der Komitien entwickelte sich ohne prinzipielle
Abgrenzung ein Gesetzgebungsrecht des Kaisers;
neben die von den Komitien ernannten Beamten
traten mehr und mehr kaiserliche Beamte; zu den
alten volkstümlichen Geschworenengerichten kamen
als gleichberechtigte Behörden das vom Kaiser
als princeps senatus beeinflußte Senatsgericht
und das vom Kaiser selbst geleitete Kaisergericht.
Diese Unbestimmtheit der die ganze Machtfülle
des römischen Reichs in sich tatsächlich vereinigen-
den kaiserlichen Amtsgewalt erleichterte ebenso die
Beibehaltung der leeren republikanischen Formen
wie den materiellen Mißbrauch der Gewalt. —
1) Den allein wesentlichen Inhalt der kaiserlichen
Gewalt bildet das militärische imperium oder
die prokonsularische Gewalt, d. h. der ausschließ-
liche Oberbefehl über das ganze Heer, der auf
Aufforderung des Senats oder der Truppen
übernommen wird und den Titel Augustus be-
gründet. Dieser Oberbefehl schließt in sich das
ausschließliche Recht der Aushebung, Bildung,
Organisation und Dislokation der Truppen, die
Verleihung aller militärischen Auszeichnungen
(ausgenommen den vom Senate anzuordnenden
Triumph), die Ernennung aller Offiziere, die
Verabschiedung von Offizieren und Soldaten
(veterani Augusti). Von dem prokonsularischen
Militärkommando war zwar Rom und Jtalien,
wo keine Legionen stehen sollten, verfassungs-
mäßig ausgenommen; allein dieses Verbot erlitt
wesentliche Einschränkungen durch das Flotten= und
Gardekommando des Kaisers, welcher in den
Kriegshäfen von Misenum und Ravenna feste
Standlager und in Rom die prätorischen Ko-
horten als Leibwache halten durfte, und wurde
schließlich ganz umgangen. Mit dem imperium
hängt zusammen die ausschließliche Befugnis des
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