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christlichen Völker stand. Den Höhepunkt seiner
weltgeschichtlichen Bedeutung erreichte das Kaiser-
tum unter Kaiser Heinrich III. aus dem salischen
Hauee; sein Zerfall begann unter dem staufischen
aiserhause, gleichzeitig mit der Erwerbung des
Königreichs Sizilien, als das Kaisertum, seine
Aufgabe verkennend, aus einem Schutzherrn der
Kirche deren Herr zu werden und ein Weltreich
mit kaiserlicher Allgewalt im Sinne der römischen
Imperatoren zu gründen suchte. Das in den un-
seligen Kämpfen gegen das Papsttum erlegene
Kaisertum trat gegenüber der erstarkenden Landes-
hoheit immer mehr in den Hintergrund. Der
vordringende Protestantismus beschleunigte den
Auflösungsprozeß, und wenn auch der Plan des
Schwedenkönigs Gustav Adolf, ein evangelisches
Kaisertum zu gründen, mit dem Tode des Er-
oberers ein jähes Ende genommen hatte, so war
doch auch das katholische Kaisertum unhaltbar
geworden, seitdem die Gleichberechtigung der
protestantischen Konfessionen mit der katholischen
Kirche und das Recht der Landesherren, über die
Religion ihrer Untertanen zu verfügen (cuius
regio, illius religio), im Westfälischen Frieden
Anerkennung gefunden hatte. Zudem war das
italienische Königreich, ehedem häufig als arrha
imperü bezeichnet, längst verloren gegangen.
Nachdem die Kaiserwürde von 1437 bis 1740 und
von 1745 bis 1806 bei der deutsch-österreichischen
Linie des habsburgischen Hauses geblieben war,
erlag das schließlich zu einem Schattenbilde ge-
wordene Kaisertum den Angriffen des revolu-
tionären Frankreich. Aus Anlaß der Gründung
des Rheinbundes legte Kaiser Franz II. am
6. Aug. 1806 den Titel eines römischen Kaisers
ab und entband Reichsstände und Reichsangehö-
rige ihrer Verpflichtungen gegen ihn als Reichs-
oberhaupt. Der Wert des Kaisertums für die
innere Entwicklung Deutschlands hat von einzelnen
Geschichtschreibern und Politikern abfällige Be-
urteilung erfahren; das deutsche Volk aber hat
der Kaiseridee und ihrer großen Geschichte eine so
dankbare Erinnerung bewahrt, daß hierdurch eine
Wiederherstellung der Kaiserwürde im neuen Reiche
ermöglicht wurde.
II. Das römische Kaisertum der deutschen
Nation hat von dem antiken römischen Kaiser-
tume zwar den Namen und die Würde, den
Mittelpunkt und Umfang einer weltgeschichtlichen
Kulturaufgabe entnommen, ist aber in seinem
Inhalte wesentlich von demselben verschieden, ins-
besondere besteht kein rechtlicher Zusammenhang
mit dem antiken römischen Reiche, wiewohl man
im Mittelalter die Kaiser als Nachfolger des
Augustus betrachtete, bei der Kaiserkrönung
Karls d. Gr. von einer translatio imperü a
Graecis ad Francos und bei der Kaiserkrönung
Ottos d. Gr. von einer translatio imperü a
Francis ad Germanos redete, auch späterhin
die Rezeption des römischen Rechts in Deutsch-
land als kaiserliches Recht zu rechtfertigen suchte.
Kaiser.
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Das neue Kaisertum ist vor allem ein völker-
rechtlicher Begriff und als solcher gekennzeichnet
durch seine religiöse Bedeutung und seine Ver-
bindung mit der katholischen Kirche. Wie die
katholische Kirche den Anspruch erhebt, die ganze
getauste Menschheit unter einem gemeinsamen
Oberhaupte, dem Nachfolger des hl. Petrus, zu
umfassen, so umfaßt auch das Kaisertum virtuell
alle christlichen Völker: das Kaisertum ist an
kein Land und an kein Volk gebunden, es ist
kein nationales, kein deutsches, wenn auch seit
Otto d. Gr. deutsches Wesen ihm sein Gepräge
aufgedrückt hat (der deutsche König, welcher die
Anwartschaft auf die Kaiserkrone hat, braucht
kein Deutscher zu sein!); das Kaisertum ist ein
internationales, ein römisches. Das römische
Kaisertum deutscher Nation war weder ein
Nationalstaat noch ein Weltstaat, etwa ein mit
der Christenheit zusammenfallendes weltlliches
Universalreich. Es umfaßte in seiner Blütezeit
lediglich Deutschland und Burgund (regnum
Germaniae) sowie die Lombardei (regnum
Italiae); einen Zuwachs an Land und Leuten er-
hielt der deutsche König durch die Kaiserkrönung
keineswegs, er wurde nicht einmal Herr des
Kirchenstaates, dessen Landesherr nach wie vor
der Papst war, und er erwarb mit der Kaiser-
würde auch keinerlei Herrschaftsrechte über andere
Staaten. Die von manchen, namentlich von den
Hofjuristen der staufischen Kaiser, behauptete Ober-
herrschaft des Kaisers über die ganze Welt (do-
minium mundi) oder über die christlichen Völker-
schaften oder wenigstens über die abendländische
Christenheit ist ebenso unbegründet wie die aus
einem angeblichen Oberpriestertume des Kaisers
abgeleitete Regierungsgewalt des letzteren in Sachen
der Kirche, ihrer Diener und Güter. Im Gegen-
teile liegt das Charakteristische des neuen Kaiser-
tums gerade in der prinzipiellen Trennung der
höchsten geistlichen und weltlichen Gewalt und in
der Beschränkung der kaiserlichen Gewalt auf eine
kirchliche Aufgabe. Den kirchlichen Charakter der
Kaiserwürde bezeichnet sehr klar schon der karo-
lingische Kaiser Ludwig II. in seiner Apologie
des abendländischen Kaisertums gegenüber dem
byzantinischen Kaiser Basilius, indem er dasselbe
als ein „himmlisches“ bezeichnet, daher auch der
Titel „Heiliges Reich“ (Sacrum Imperium). —
Als Beschüger der römischen (katholischen) Kirche
hatte der Kaiser das Oberhaupt derselben und
dessen Rechte, also insbesondere auch den Kirchen-
staat zu verteidigen und mit seiner Macht, nötigen-
falls unter Verhängung der Reichsacht, dem Papste
den schuldigen Gehorsam zu verschaffen (vgl.
Schwabenspiegel); er hatte aber auch die Kirche
überhaupt und die ganze Christenheit in seinen
Schutz zu nehmen, die friedlichen Eroberungen
der Glaubensboten mit seinem Schwerte zu schirmen
und so die Ausbreitung des Christentums zu unter-
stützen. Lediglich eine Folgerung aus der Schutz-
pflicht des Kaisers war es, daß er die Vasallen