Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

1547 
des römischen Stuhles nicht mit Krieg überziehen 
durfte. Auf Erfüllung seiner Pflicht hatte der 
Kaiser bei seiner Krönung dem Papste einen Treu- 
eid zu schwören, nicht einen Lehnseid (nomagium). 
Das Kaisertum war kein päpstliches Lehen, der 
Kaiser als solcher nicht päpstlicher Vasall, wenn 
er auch „Streiter des hl. Petrus“ (miles Petri) 
genannt wurde; auch die Ehrfurchtsbezeigungen, 
die das Herkommen forderte und die nach der Sitte 
des Zeitalters nichts Erniedrigendes hatten, z. B. 
das vielbesprochene Stegreifhalten, sind von der 
Lehnsinvestitur ganz verschieden und waren teil- 
weise, wie die später außer Gebrauch gekommene 
Adoration, wechselseitig. Nur bei der Belehnung 
mit dem Königreich Sizilien fand eine wirkliche 
Lehnsinvestitur statt. Der eidlich übernommenen 
Verpflichtung konnte sich der Kaiser nicht einseitig 
entledigen; eine Abdankung des Kaisers ohne Zu- 
stimmung des Papstes war daher rechtlich un- 
gültig. — Dem ehrenamtlichen Charakter des 
Kaisertums entsprach es, daß die Kaiserwürde dem 
Kaiser nur Ehrenvorrechte einbrachte. Der 
Kaiser übertraf als Anwalt und Schirmherr der 
Kirche alle übrigen Fürsten der Christenheit an 
Ansehen. Sein Vorrang als erster weltlicher 
Monarch der Christenheit war anerkannt; lange 
Zeit führte er allein den Titel „Majestät“, und 
noch gegen Ende des Mittelalters galt er allein 
für befugt, die Königswürde zu verleihen. Aus 
der Aufgabe des Kaisers, Beschützer der gesamten 
Christenheit zu sein, ergab sich auch die Unteil- 
barkeit dieses Kaisertums: wie die Christenheit 
als die eine katholische Kirche nur ein geistliches 
Oberhaupt haben konnte, so konnte sie auch nur 
einen für die Gesamtheit aufgestellten Beschützer, 
ein weltliches Oberhaupt haben; zwei Kaiser 
waren so undenkbar wie zwei Sonnen an einer 
Hemisphäre, und wenn es auch Gegenkaiser wie 
Gegenpäpste geben konnte, so gab es doch nie- 
mals zwei sich gegenseitig anerkennende Kaiser der 
Christenheit. Als daher im Jahre 1053 König 
Ferdinand von Kastilien den Titel Hispaniae 
Imperator annahm, bewirkte Kaiser Heinrich III. 
bei Papst Viktor II., daß derselbe dem spanischen 
Könige die Fortführung des Kaisertitels unter 
Androhung des Bannes untersagte, worauf Fer- 
dinand den Titel aufgab. Erst gegen Ende der 
Kaiserzeit begegnen wir der erzwungenen An- 
erkennung kaiserlichen Ranges gegenüber dem 
Sultan (1718) und gegenüber der französischen 
Republik (im Frieden von Campo Formio 1797). 
Außer dem Vorrang findet sich noch als Recht 
des Kaisers anerkannt das ius precum prima- 
rum, d. h. die Befugnis, an jedem reichsunmittel- 
baren Stifte auf die erste nach der Thronbestei- 
gung erledigte Pfründe einen Kandidaten zu 
präsentieren; andere dem Kaiser zugeschriebene 
Befugnisse, wie ius spolü, jus regaliae, das 
Recht der Erteilung von Paniebriefen usw., 
beruhen teils auf Mißbräuchen, teils auf be- 
sondern, mit der Kaiserwürde nicht zusammen- 
  
  
  
Kaiser. 1548 
hängenden Rechtstiteln. Endlich hat das nahe 
Verhältnis zwischen Papst und Kaiser zu einer 
gegenseitigen Einräumung eines Einflusses auf 
die Wahl geführt. Solange bei der deutschen 
Königswahl die Geltung der Stimmenmehrheit 
nicht feststand (bis 1338 bzw. 1356), hatte der 
Papst beim Auseinandergehen der Stimmen nach 
altem Herkommen die Entscheidung. Anderseits 
wurde bis Gregor VII. dem Kaiser die Befugnis 
zugestanden, die Rechtmäßigkeit der Papstwahl zu 
prüfen und zu bestätigen, auch wohl Wahl- 
streitigkeiten zu schlichten. Seit dem 15. Jahrh. 
ist dem Kaiser wie einigen andern hervorragenden 
katholischen Fürsten das Recht der Exklusive bei 
der Papstwahl eingeräumt worden, d. h. die Be- 
fugnis, vor Abschluß der Wahl durch einen eigens 
damit beauftragten Kardinal einen Kandidaten 
als mißliebig zu bezeichnen, wodurch übrigens 
die Wahl des Bezeichneten keineswegs ungültig 
wurde. 
III. Das Wesen des römischen Kaisertums 
deutscher Nation ist ferner charakterisiert durch 
seine Verbindung mit dem deutschen Königtume, 
und hierin liegt die staatsrechtliche Bedeutung des 
Kaiserbegriffes. Dem Rechte des deutschen Volkes, 
durch seine Fürsten in dem deutschen Könige den 
künftigen römischen Kaiser zu wählen, entsprach 
die Pflicht, dem gewählten Könige zu leisten, was 
zur Erlangung der Kaiserkrone notwendig war, 
nämlich den Römerzug. Durch die Zusammen- 
fassung der Deutschen im Auslande haben die 
Römerzüge das deutsche Nationalbewußtsein 
wesentlich entwickelt und gekräftigt, das Reich hat 
es zu einer Gesamtbewaffnung und lange Zeit zu 
einer Gesamtleistung überhaupt nur unter dem 
Namen des Römerzuges und der Römermonate 
gebracht. Noch wichtiger als diese äußere Rechts- 
folge ist die in dem neuen Kaisertume eingetretene 
Vereinigung der christlichen Uberzeugung von dem 
weltumfassenden Beruf der Kirche mit der christlich- 
germanischen Auffassung des Königtums. Die 
Rechtsstellung des deutschen Königs war folgende: 
1) Der König hat eine monarchische, aber nicht 
eine unbeschränkte Gewalt; er allein ist in dem 
deutschen Einheitsstaate, dem Reiche, souverän, 
während alle übrigen Reichsfürsten und sonstigen 
Reichsstände ihm untertan und nach Lehnsrecht 
seine Vasallen sind. Dies Verhältnis ist de iure 
bis zum Schluß des Reichs geblieben und hat 
seinen Ausdruck darin gefunden, daß die Reichs- 
fürsten wie andere Untertanen die Reichssteuer 
des gemeinen Pfennigs zu entrichten hatten. Der 
König hatte seine Gewalt, obgleich von den 
Fürsten gewählt, doch nicht als Beauftragter der 
Fürsten oder des Volkes, sondern zu eigenem 
Recht, aber als eine von Gott verliehene und 
daher nicht willkürlich, sondern pflichtgemäß zum 
Wohle der Untertanen zu handhabende Macht. — 
Zur Stärkung in der Erfüllung seiner wesentlich 
in dem Schutze des Friedens und des Rechts be- 
stehenden Regentenpflicht wurde der König vom
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.