Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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preußischen Souveräns. Dagegen können die Prä- 
sidialrechte schon deshalb nicht als monarchische 
bezeichnet werden, weil das Reich kein Einheits- 
staat, sondern ein Bundesstaat ist, in welchem „die 
Souveränität nicht beim Kaiser, sondern bei der 
Gesamtheit der verbündeten Regierungen ruht"“ 
(Bismarck im deutschen Reichstage, 19. April 
1871). „Eine einheitliche Spitze mit monarchi- 
schem Charakter ist nicht geschaffen worden; denn 
das wäre kein Bundesverhältnis mehr, sondern 
die Mediatisierung derer, denen diese monarchische 
Gewalt nicht übertragen ist“ (Bismarck im nord- 
deutschen Reichstage, 11. März 1867). Der Kaiser 
handelt nicht in eigenem Namen, sondern „im 
Namen des Reichs“ (R.-V. Art. 11, 17), also im 
Namen des Souveräns, d. h. der Gesamtheit der 
Bundesstaaten; ebenso erkennt das Reichsgericht 
nicht im Namen des Kaisers, sondern „im Namen 
des Reichs“, und die Reichsbeamten werden „für 
das Reich“ vereidigt (R.-V. Art. 18). Der Kaiser 
hat seine Präsidialbefugnisse nicht kraft eigenen 
Rechts, sondern auf Grund gesetzlicher Ubertragung 
von seiten des Souveräns, des Reichs. Das 
Kaisertum iststaatsrechtlich ein Amt, keine 
Herrschaft. Daß die Ubertragung der Präsidial- 
befugnisse dauernd und durch die Verfassung ge- 
währleistet ist, und daß das Amt mit einer Herr- 
schaft, der Krone Preußens, vereinigt, also der 
Inhaber des Amtes unverantwortlich und unab- 
setzbar ist, ändert nichts an der Tatsache, daß der 
Kaiser seine Präsidialbefugnisse nicht im eigenen 
Namen, sondern im Namen einer andern Person, 
der juristischen Person des Reichs, ausübt. Schon 
Puchta hat, noch ehe das Deutsche Reich gegründet 
war, die Möglichkeit einer solchen Vereinigung 
von Amt und Herrschaft anerkannt: „Es ließe sich 
denken, daß der Monarch zugleich eine doppelte 
obrigkeitliche Person wäre, wenn sein Land einem 
größeren Gemeinwesen und Reich angehört, so 
daß er in Reichssachen im Namen des Reichsober- 
hauptes tätig wäre, in Landessachen in seinem 
eigenen; in letzterer Hinsicht wäre er Monarch, in 
ersterer Beamter“ (Kurfus der Institutionen I 
[118711 57). Noch interessanter ist die Auffassung 
des Schöpfers der Verfassung, des Reichskanzlers 
Bismarck, der im Jahre 1866 zur Zeit der Schaf- 
fung der Norddeutschen Bundesverfassung in der 
Adreßkommission des preußischen Abgeordneten- 
hauses, als einige Kommissionsmitglieder darüber 
Klage führten, daß man für den Norddeutschen 
Bund nicht die Reichsverfassung von 1849 aus- 
gerufen habe, klar und bestimmt erklärte: die 
Reichsverfassung von 1849 habe die Fürsten ge- 
wissermaßen zu Untertanen, zu Vasallen des 
Kaisers machen wollen; „diese (die Bundesfürsten) 
werden aber viel mehr geneigt sein, einem Mit- 
verbündeten, einem Beamten des Bundes, 
Rechte einzuräumen als einem eigentlichen Kaiser 
und Lehnsherrn“ (Sybel, Begründung d. Deutschen 
Reichs V 431/432). Hiernach ist der Kaiser als 
Beamter des Reichs zu charakterisieren; daß er 
Kaiser. 
  
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nicht ein „Reichsbeamter“ im Sinne des Art. 18 
der R.V. ist, bedarf keiner Erörterung. Die 
kluge Rücksicht auf die bisherigen Souveränitäts- 
rechte der Bundesfürsten hat zu einer juristischen 
Formulierung der Präsidialstellung geführt, welche 
den Kaiser nicht als Herrn des Reichs, sondern 
als dessen höchsten Diener bezeichnet. Die herr- 
schende Auffassung, welche in dem Kaiser ein be- 
vorrechtetes Mitglied des Reichs sieht, wird weder 
der juristischen Form noch ihrem tiefen Sinne 
gerecht: wenn die Reichsverfassung vom Kaiser 
verlangt, daß er „im Namen des Reichs“ handeln 
solle, so heißt das, daß bei seinen Handlungen 
nicht das Interesse des von ihm vertretenen Bundes- 
staates Preußen oder gar seiner Person oder seines 
Hauses, sondern allein das Interesse des gesamten 
Reichs maßgebend sein müsse. Dem Amtscharakter 
des deutschen Kaisertums entsprechend, ist als Amts- 
titel statt des eine Gebietshoheit anzeigenden 
Herrschaftstitels „Kaiser von Deutschland“ die 
Bezeichnung „Deutscher Kaiser“ gewählt und die 
Führung dieses Titels auf die Fälle der Aus- 
übung des Amtes „in allen Beziehungen und 
Angelegenheiten des Deutschen Reichs“ (Kaiser- 
proklamation in Versailles) beschränkt worden. 
Mit diesem Titel verknüpft sind die kaiserlichen 
Attribute: Reichsadler, Reichskrone, Wappen und 
Standarte des Kaisers, Kaiserthron, Kaisermantel, 
nebst Krone, Wappen und Standarte der Kaiserin 
sowie des Kronprinzen. Daß die Attribute des 
Königreichs Preußen nicht zugleich für die Attri- 
bute des Deutschen Kaisertums erklärt worden sind, 
hatte seinen Grund in dem Bestreben, „selbst den 
Schein eines preußischen Kaisertums zu vermeiden“ 
(v. Stillfried). Der Reichsadler ist ein schwarzer, 
einköpfiger, rotbewehrter, rechtssehender, nicht ge- 
krönter Adler mit leeren Klauen, über dessen Haupt 
die der Krone Karls d. Gr. nachgebildete Reichs- 
krone schwebt und auf dessen Brust der silberne 
preußische Wappenschild liegt, darin ein schwarzer, 
goldbewehrter und mit der Königskrone gekrönter 
Adler, welcher mit den Klauen das Königszepter 
und den Reichsapfel hält. Die Reichsfarben sind 
Schwarz-Weiß-Rot. Ein besonderer kaiserlicher 
Hofstaat besteht nicht; ebensowenig ein Vorrang des 
Kaisers vor den Monarchen Deutschlands, die seine 
„Verbündeten“, nicht seine Vasallen sind. Das 
Amt des Kaisers ist als reines Ehrenamt gedacht; 
irgend welche Bezüge an Geld oder Geldeswert 
sind für den Kaiser in der Reichsverfassung nicht 
vorgesehen. — 2) Die Besonderheit des kaiserlichen 
Amtes liegt nicht in dem Inhalte und Umfange der 
mit dem Amte verknüpften Pflichten und Rechte, 
welche auch mit einer republikanischen Präsident- 
schaft sich vereinigen ließen, sondern in der Be- 
rufung zum Amte, in der Vereinigung des Amtes 
mit der Krone Preußens: der König von Preußen 
ist zugleich Deutscher Kaiser, und mit dem Erwerb 
der preußischen Königskrone wird zugleich die 
Kaiserwürde erworben. Die Bestimmungen der 
preußischen Verfassung über das Thronfolgerecht
	        
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