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Beziehung wird durch denselben der Wert der
amerikanischen Flotte nahezu verdoppelt werden,
indem er es ihr ermöglicht, in wenigen Tagen
aus dem einen Ozean in den andern zu gelangen.
In wirtschaftlicher Beziehung wird der industrie-
und handeltreibende Osten Nordamerikas in engste
Verbindung mit den an den Stillen Ozean an-
grenzenden Staaten Südamerikas treten, während
diese Staaten zurzeit ihre Güter mit Europa aus-
tauschen. Wenn auch diese Anderung der wirt-
schaftlichen Beziehungen zunächst das kapitalkräf-
ige amerikanische Unternehmertum veranlassen
wird, die Südstaaten, in denen noch eine Menge
unerschlossener Naturschätze der Hebung harrt, in
ihrem Interesse auszubeuten, so wird doch die
von ihm gegebene Anregung in ihrem letzten Ende
auch eine Hebung der Produktivität und des
Wohlstandes dieser Staaten zur Folge haben.
Der Kanal wird sodann den Nordamerikanern
gestatten, aus ihren Industriestädten des Ostens
die Manufakturen ebenso billig nach Japan,
China und Australien zu exportieren, wie dies
Europa durch den Sueskanal kann. Ihre Kon-
kurrenz wird für Europa um so gefährlicher sein,
als sie wegen des Überflusses an Rohmaterial
geringere Herstellungskosten haben. Endlich wird
auch in politlischer Beziehung der Kanal die
Staaten Südamerikas in Abhängigkeit von Nord-
amerika bringen und die Herrschaft Nordamerikas
über den Stillen Ozean besiegeln. Bei dieser Be-
deutung des Kanals erscheint es unbegreiflich, wie
man sich vor Jahrzehnten in Europa so für den
Bau desselben begeistern konnte. Unbewußt hat
seinerzeit vom europäischen Standpunkte aus König
Philipp II. von Spanien das Richtige getroffen,
als er verbot, die Frage der Durchstechung von
Mittelamerika weiter zu erörtern. Um an einigen
Beispielen zu zeigen, wie durch den Kanal die
wirtschaftliche Entfernung zwischen dem Osten
und Westen Amerikas verkürzt wird, sei bemerkt,
daß die Entfernung Neuyorks von S. Fran-
cisco um das Kap Hoorn 13500 Seemeilen
(1 Seemeile = 1.85 km), durch den Panama-
kanal aber nur 5000 Seemeilen beträgt, und daß
Valparaiso von Neuyork um das Kap Hoorn
8500, durch den Kanal aber nur 5000 See-
meilen entfernt ist. Zur Bestätigung der oben
bezüglich des Exports nach Ostasien und Austra-
lien aufgestellten Behauptung dient die folgende
Tabelle:
Es beträgt die Entfernung in englischen Meilen
von Neuyork # von Plymouth
durch den durch den nach durch den durch den
Panama-Sues- Panama-Suoes-
kanal kanal kanal kanal
10016 12790 Melbourne 1 12 576 10670
9851 13320 odney 12 410 l 11 200
8 523 14230 Wellington 11092 12 110
11521 11 556 Manila 114080 9436
12 915 10 170 Singapur 15474 8050
11 603 11 610 Hongkong 1 14 162 9490
11726 12360 Schanghai 14285 10240
10 088 13040 Jokohama 12645 10 920
Staatslexikon. II. 3. Auf-.
Kanäle.
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Es würde ein Irrtum sein, zu glauben, daß
dem Sueskanal alle die Reisen erhalten blieben,
die durch ihn kürzer sind als durch den Panama-
kanal. Ob er sie behält, wird auch davon abhängen,
wie sich die Höhe der beiderseitigen Kanalabgaben
zueinander verhält. In dieser Beziehung wird der
Sueskanal aber sicher nicht imstande sein, den
Panamakanal zu unterbieten. Welchen Umfang
der Verkehr im Panamakanal annehmen wird, läßt
sich mit Sicherheit nicht voraussagen; die darüber
angestellten Berechnungen gehen nach dem Stand-
punkte, der bei der Berechnung eingenommen wurde,
weit auseinander. Hervorzuheben ist indessen, daß
im Gegensatze zum Sueskanal der Panamakanal
auch von Segelschiffen benutzt werden wird.
Im Jahre 1905 hat Präsident Roosevelt ent-
schieden, daß der Kanal als Schleusenkanal erbaut
werden soll, dessen oberste Haltung in einer Höhe
von 25,95 m liegen soll und dessen jährliche
Leistungsfähigkeit zwischen 44 und 72 Mill. t
schwanken würde; als Bauzeit sind 9 Jahre
vorgesehen. Mit guten Gründen wird dieses Pro-
jekt von Bunau-Varilla bekämpft, der seinerseits,
indem er auf die 1887er Ideen der alten Panama-
gesellschaft zurückgeht, vorschlägt, vorläufig einen
in 3—4 Jahren auszuführenden Schleusenkanal
zu bauen und denselben dann, was ohne Unter-
brechung des Verkehrs möglich sei, in eine richtige
„Meerenge“ von einer Mindestwassertiefe von
13,75, einer Sohlenbreite von 152,50 und einer
mittleren Wasserspiegelbreite von 183 m umzu-
formen. Präsident Taft hat denn auch eine gründ-
liche technische Nachprüfung des ganzen Werkes in
Aussicht gestellt.
Die Kanalliteratur hat einen großen Um-
fang. Die wichtigsten Schriften finden sich in den
Literaturangaben bei Lampe u. Pensa; Fritz Lampe,
Wissenschaftliche Beilage zum Jahresbericht der
X. Realschule in Berlin (1902; Literaturangabe
S. 53 ff); C. Sonderegger, L'Achevement du Canal
de Panama (1902); Henry Abbot, Problems of
the Panama Canal (1905); Henri Pensa, La Ré-
publique et le Canal de Panama (1906; Literatur-
angabe S. 337/342); Ph. Bunau-Varilla, Le Dé-
troit de Panama (Par. 1907); F. Regel, Der
Panamakanal (1909).
3. Der in den Jahren 1887/96 mit einem
Kostenaufpvande von 156 Mill. M erbaute,
98,65 km lange Kaiser-Wilhelm-Kanal
hat in militärischer Beziehung eine ähnliche Be-
deutung für Deutschland wie der Panamakanal für
die Vereinigten Staaten von Amerika. Er verfolgt
den Zweck, den Schiffen der deutschen Kriegsmarine
die Durchfahrt und damit eine Vereinigung und
ein Zusammenwirken der an der Ostsee und an
der Nordsee stationierten Teile der Flotte in jedem
der beiden Meere zu ermöglichen und eine wirk-
same Verteidigung der deutschen Seeküsten mit den
vorhandenen Kräften zu gewährleisten. Daneben
soll er den Interessen der Handelsschiffahrt dienen,
indem er den Weg zwischen der Nord= und Ostsee
abkürzt und die nicht ungefährliche Fahrt um das
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