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einem lebhaften Ortsverkehr auch einen weit rei-
chenden Durchgangsverkehr — ohne Umschlag —
hat, so wird man sich nur in seltenen Fällen zum
Bau eines solchen entschließen, wenn man ihn
nicht wenigstens an einer Seite mit einem größeren
Flusse oder einem Meere in Verbindung setzen
kann. Ihm auch an dem andern Ende eine solche
Verbindung zu geben, ist in der Regel wünschens-
wert, kann unter Umständen aber auch schaden.
In technischer Beziehung spielen sodann die
Bodenverhältnisse eine große Rolle. Sie dürfen
nicht so schwierig sein, daß die Kosten ihrer Uber-
windung außer Verhältnis zu dem zu erwarten-
den Nutzen stehen. Auch muß eine ausreichende,
Schleusenverbrauch, Verdunstung und Durch-
sickerung genügend berücksichtigende Speisung des
Kanals mit Wasser gesichert sein. Selbstredend
hat der Bau eines Kanals zu unterbleiben, wenn
ernstlich zu befürchten ist, daß ein Bergwerks-
oder sonstiger wichtiger Betrieb erheblich durch
ihn geschädigt oder er durch den Betrieb ge-
fährdet würde. Es muß aber noch weiter geprüft
werden, welche wirtschaftlichen Verschiebungen
vom Kanalbau zu erhoffen oder zu befürchten
sind. Die Verbindung Lothringens mit dem
rheinisch-westfälischen Industriegebiete durch die
vorhin erwähnte Wasserstraße z. B. könnte mög-
licherweise die Folge haben, daß es der mit dem
Rechenstift arbeitenden Großindustrie zweckmäßig
erschiene, die Verhüttung nicht mehr im rheinisch-
westfälischen Industriegebiet, sondern in Loth-
ringen vorzunehmen. Ehe man die in Rede
stehende Wasserstraße baut, muß man sich also
darüber klar werden, ob dieser Effekt wünschens-
wert und in welchem Grade er wahrscheinlich
ist. — Endlich wird der einen Kanal bauende
Staat, wenn er Eigentümer der Eisenbahnen ist,
auch zu der Frage Stellung nehmen müssen, in
welchem Umfange ein Ausfall an den Einnahmen
der letzteren infolge des Kanalbaues zu befürchten
ist, und ob seine Finanzen diesen Ausfall ertragen
können. Anders liegt für ihn die Sache, wenn
— wie z. B. in Frankreich — die Eisenbahnen
im Eigentume von Aktiengesellschaften stehen.
Dann darf er hoffen, durch Gewährung eines
billigen oder gar abgabefreien Kanalbetriebes
mildernd auf die Eisenbahntarife einwirken zu
können. Man sieht also, daß in andern Ländern
gemachte Erfahrungen nur mit Vorsicht verwertet
werden können.
Alle Gebiete des Erwerbslebens können durch
einen Kanalbau günstig beeinflußt werden, den
Hauptnutzen aber hat regelmäßig von ihm die
Großindustrie. Diese hat längst eingesehen, daß
bei der zum internationalen Gemeingut gewordenen
Vervollkommnung der Herstellungsmethoden die
Verbilligung der Transportkosten eigentlich das
einzige Mittel ist, durch welches sich gegenüber der
Konkurrenz noch ein Vorsprung erringen läßt.
III. Bau und Betrieb der Kanäle. 1. Der
Bau und die Verwaltung der Kanäle wird durch-
Kanäle.
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weg — mit Ausnahme von England — vom
Staate in die Hand genommen.
Darüber, wie ein Kanal zu bauen sei, lassen
sich allgemein gültige Vorschriften nicht aufstellen.
In erster Linie wird auf die Beschaffenheit des
Terrains Rücksicht zu nehmen sein; sodann muß
das Bestreben obwalten, den Kanal dem Verkehrs-
bedürfnis nach Größe und Leistungsfähigkeit
richtig anzupassen. Auch muß darauf geachtet
werden, daß die Scheitelstrecken überall und wenn
möglich das ganze Jahr hindurch aus natürlichen
Zuflüssen gespeist werben können; Pumpwerke
sind nur ein Notbehelf, auf den keinesfalls ge-
rechnet werden darf. In Preußen sind die Maß-
verhältnisse des für 600/700-Tonnen-Schiffe
fahrbaren Dortmund-Ems-Kanals für alle neuen
Kanäle westlich von der Oder vorbildlich ge-
worden. Auch die neuen österreichischen Kanäle
sollen dieselben Abmessungen erhalten. Danach
beträgt die Wassertiefe 2,50 m, die Sohlenbreite
18 m, die Wasserspiegelbreite 30 m und die Licht-
höhe unter den Brücken 4 m. Auf beiden Kanal-
ufern wird ein 3.5 m breiter und 1,5 m über dem
Wasserspiegel liegender Leinpfad mit einem Seiten-
graben und einem 1m breiten Geländeschutzstreifen
angelegt.
Für die Kanäle östlich der Oder sind kleinere
Abmessungen vorgesehen. Sie sollen nur von
Schiffen bis zu 400 t Ladefähigkeit befahren wer-
den. Die älteren Kanäle sind durchweg fahrbar
für Schiffe von 50 bis 300 t.
Das zum Bau der Kanäle erforderliche Terrain
wird, wenn es nicht auf gütlichem Wege zu er-
halten ist, auf Grund des Enteignungsgesetzes er-
worben.
Führt die Trace über Bergwerke, so steht nach
preußischem Berggesetz § 153 den Bergbautreiben-
den gegen die Ausführung der Kanäle ein Wider-
spruchsrecht nicht zu. Sie sollen nur seitens der
zuständigen Behörde darüber gehört werden, in
welcher Weise unter möglichst geringer Benach-
teiligung des Bergwerkseigentums die Kanäle aus-
zuführen seien. Gegen den Erbauer der Kanäle
— gewöhnlich also den Staat — steht ihnen ein
Schadensersatzanspruch zu. „Ein Schadensersatz
findet aber nur insoweit statt, als entweder
die Herstellung sonst nicht erforderlicher Anlagen
in den Bergwerken oder die sonst nicht erforderliche
Beseitigung oder Veränderung bereits in den Berg-
werken vorhandener Anlagen nötig wird.“ Ent-
gangener Gewinn wird also nicht vergütet.
Die Höhe der Baukosten ist naturgemäß auch
bei Binnenschiffahrtskanälen sehr verschieden. Sie
hängt in erster Linie von dem Preise ab, der für
die Kanaltrace zu bezahlen ist, und sodann davon,
in welchem Umfange die Gestaltung des Ter-
rains Erdarbeiten oder gar Schleusenanlagen
nötig macht.
In der letzten Zeit ist es gebräuchlich geworden,
diejenigen Gegenden, die von einem zu erbauenden
Kanale den größten Vorteil haben werden, zu