1581
IV. Die wichtigsten neuen deutschen und
österreich-ungarischen Kanalgesetze und Kanal-
projekte. 1. Die preußischen Kanalge-
setze vom 9. Juli 1886 und 1. April 1906.
Den zuerst aus Interessentenkreisen geäußerten
Wünschen Folge gebend, hat die königliche Staats-
regierung zu Anfang der 1860er Jahre verschiedene
Linien für eine Kanalverbindung zwischen dem
rheinisch-westfälischen Industriegebiet und dem
bestehenden Binnenschiffahrtsystem der Elbe, Oder
und Weichsel aussuchen und Projekte für einzelne
derselben ausarbeiten lassen. Ein besonderes Ge-
wicht wurde dabei auf die Ermittlung einer solchen
Richtungslinie gelegt, welche für die zu erwartenden
Transporte von Rohprodukten, namentlich Kohlen,
die billigsten Frachten zu verbürgen und hierdurch
die Lebensfähigkeit des ganzen Unternehmens am
sichersten in Aussicht zu stellen imstande wäre.
Nähere Mitteilungen über die ausgearbeiteten Ent-
würfe gibt die im Jahre 1877 von der Staats-
regierung dem Landtage mitgeteilte Denkschrift
„Die im preußischen Staate vorhandenen Wasser-
straßen, deren Verbesserung und Vermehrung“
S. 81 ff. Einer der dort erörterten Entwürfe ist
nach Umarbeitung durch die Bauräte Michaelis
und Heß im wesentlichen von der Kanalvorlage des
Jahres 1899 übernommen worden.
Durch das Gesetz vom 9. Juli 1886 wurde die
Regierung zum Bau des Dortmund-Ems-Kanals
(richtiger Herne-Emshöhen-Kanal genannt) er-
mächtigt. In § 1 des Gesetzes war zum Ausdruck
gebracht, daß dieser Kanal aufgefaßt werde „als
Teilstrecke eines Schiffahrtskanals, der bestimmt
ist, den Rhein mit der Ems und in einer den In-
teressen der mittleren und unteren Weser und Elbe
entsprechenden Weise mit diesen Strömen zu ver-
binden“. Dieser das rheinisch westfälische Indu-
striegebiet (Dortmund und Herne) mit Emden ver-
bindende 282 km lange Kanal ist in den Jahren
1892/99 gebaut worden. Er hat einschließlich der
von den Interessenten erstatteten Grunderwerbs-
kosten rund 80 Mill. M gekostet.
Literatur. Dortmund-Ems-Kanal, Festschrift
zur Eröffnung desselben (Berl. 1899); Schwecken-
dieck, Festschrift zur Eröffnung des neuen Emder
Seehafens (1901).
Ein während seines Baues am 17. April 1894
vorgelegter Gesetzentwurf betr. den Bau eines
Schiffahrtskanals vom Dortmund-Ems-Kanal
zum Rhein (Süd-Emscherlinie) wurde am 18. Mai
1894 vom Abgeordnetenhause in zweiter Lesung
abgelehnt. Darauf legte die Regierungam 15. März
1899 dem Landtage den Entwurf eines Gesetzes
betr. den Bau eines Schiffahrtskanals vom Rhein
bis zur Elbe vor. Den Gegenstand der Vorlage bil-
deten die folgenden Kanalteile: a) Dortmund-
Rhein= oder Emscherthal-Kanal, 39,5 km lang,
b) Ergänzungen des Dortmund-Ems-Kanals,
c) Mittellandkanal vom Dortmund-Ems-Kanal
bis zur Elbe, 324,9 km lang, mit 8 Zweigkanälen,
) Weserkanalisierung von Hameln bis Bremen.
Kanäle.
1582
Der Kanal sollte in den Abmessungen des Dort-
mund-Ems-Kanals erbaut werden undeinschließlich
einer 102,1 km langen Strecke des Dortmund-
Ems-Kanals von Herne bis Bevergern, die er
in sich aufnehmen sollte, 466,5 km lang werden.
Auf diese Strecke sollten nur 13 Schleusen, also
auf 36 km eine Schleuse kommen. Vergleichsweise
sei bemerkt, daß der Rhein-Marne-Kanal auf
315 km Länge 180 Schleusen, d. h. auf weniger
als 2 km eine Schleuse hat.
Die Vorlage wurde vom Abgeordnetenhause in
dritter Lesung am 19. Aug. 1899 verworfen.
Der Ablehnung einer von ihr im Jahre 1901
vorgelegten erweiterten wasserwirtschaftlichen Vor-
lage hat die Regierung durch Auflösung des Land-
tages vorgebeugt. Im Jahre 1904 hat die Regie-
rung dann abermals dem Landtage einen Gesetzent-
wurfbetreffend die Herstellung und den Ausbau von
Wasserstraßen vorgelegt, der sich von den Gesetz-
entwürfen des Jahres 1899 und 1901 im wesent-
lichen dadurch unterschied, daß das Kanalstück
von Hannover zur Elbe mit verschiedenen Stich-
kanälen und die Weserkanalisierung weggelassen
war. Mit Rücksicht auf diese Weglassung und die
Umgestaltung, die die Kanalvorlage in der Kom-
mission erhalten, ist sie dann vom Landtage ange-
nommen worden. Sie ist demnächst als Gesetz
vom 1. April 1906 quittiert worden. Nach
diesem Gesetze sollen gebaut werden 1) ein Kanal
vom Rhein bis zum Dortmund-Ems-Kanal (der
hierfür ausgeworfene Betrag von 745000000 M
wird schwerlich ausreichen), 2) verschiedene Er-
gänzungsbautenam Dortmund-Ems-Kanal, 3) ein
Kanal von Bevergern am Dortmund-Ems-Kanal
nach Hannover. Es soll sodann 4) die Lippe
kanalisiert werden und sollen 5) verschiedene Ar-
beiten zur Verbesserung der Landeskultur vor-
genommen werden. Für all diese Arbeiten sind
zusammen 250 750 000 M ausgeworfen worden.
Ferner sind 6) für Herstellung eines Groß-
schiffahrtsweges Berlin-Stettin 43 Mill. M,
# 7) für die Verbesserung der Oder-Weichsel-Straße
21 175000 M und 8) für die Kanalisierung der
Oder von der Mündung der Glatzer Neisse bis
Breslau sowie für Versuchsbauten auf der Strecke
von Breslau bis Fürstenberg und für die Anlage
eines oder mehrerer Staubecken 19 650 000 M
bewilligt worden.
Durch den Großschiffahrtsweg Berlin-Stettin
wird Stettin eine Ausgleichung für die Schädi-
gung erhalten, die es durch den Kaiser-Wilhelm-
Kanal und den im Juni 1900 eröffneten Elbe-
Trave-Kanal (der mit preußischem Zuschuß für
Rechnung Lübecks gebaut worden ist) erfahren hat.
Anderseits ist die Befürchtung der schlesischen
Montanindustrie, daß sie durch die Inbetrieb-
nahme dieser Wasserstraße geschädigt werden
würde, durch eine in ihrem Interesse in 8 11 ge-
troffene Bestimmung beseitigt worden. Es würde
zu weit führen, die sämtlichen — zum Teil ganz
neuen — Bestimmungen des Kanalgesetzes an