1585
Triest durch eine über den Semmering und an
Graz und Laibach vorbeiführende Wasserstraße
geplant. In Ungarn endlich wird erwogen, die
projektierte Wasserstraße Stettin-Pest bis zum
ungarischen Hafen Fiume durchzuführen. Die
ganze Länge der Wasserstraße Stettin-Pest-Fiume
würde 2200 km betragen, wovon 1400 km
natürliche schiffbare Flüsse, 420 km kanalisierte
Flüsse und 380 km Kanäle sein würden. An eine
Ausführung dieser Projekte ist aber in absehbarer
Zeit nicht zu denken. [Am Zehnhoff.]
Kanonisches Recht s. Kirchenrecht.
Kant. II. Darstellung; Grundlegung; Privat-
recht; öffentliches Recht; Kants Schule. II. Be-
urteilung.)
Immanuel Kant war geboren am 22. April
1724 zu Königsberg als Sohn eines Sattler-
meisters. Er besuchte die Lehranstalten seiner
Heimatstadt und gedachte anfangs sich zum Geist-
lichen heranzubilden, doch wandte er sich bold (be-
sonders unter Anleitung der Professoren Martin
Knutzen und J. G. Teske) den philosophischen
und mathematischen Studien zu. In den Jahren
1746/55 versah er verschiedene Hauslehrerstellen
in und um Königsberg, promovierte 1755 als
Doktor der Philosophie und habilitierte sich in
dem nämlichen Jahre zu Königsberg für dieses
Fach, um volle 15 Jahre hindurch Privatdozent
zu bleiben. 1765 erhielt er die Stelle eines Unter-
bibliothekars mit einem Jahresgehalte von 62 Ta-
lern und erst 1770 die Stelle eines ordentlichen
Professors der Logik und Metaphysik, welche er
vom 46. bis zum 80. Lebensjahre beibehielt, wenn
er auch in den letzten Jahren vor seinem Tode keine
Vorträge mehr halten konnte. Er starb am 12. Febr.
1804.
Kants Schriften geben Zeugnis von seinem gei-
stigen Entwicklungsgange, welcher in drei Perioden
verlief: der in Leibnizisch-Wolffschen Gedankenbah=
nen sich bewegenden dogmatischen Erstlingsperiode,
der durch die Annäherung an die Gedankenwelt
Lockes und Humescharakterifierten skeptischen Durch-
gangsperiode und der seit 1770 allmählich zur Reife
kommenden, seine eigentliche Geisteshöhe bezeichnen-
den kritischen Endperiode. Zahlreiche Schriften na-
turwissenschaftlichen, mathematischen und philoso-
phischen Inhalts bilden die Stadien dieses langen
und gewaltigen Entwicklungsganges. Die Haupt-
schriften seiner Endperiode sind: die „Kritik der
reinen Vernunft“ (1781; 21787); die „Kritik der
praktischen Vernunft" (1788) und die „Kritik der
Urteilskraft“ (1790), indem sie die drei Hauptteile
seines kritischen Systems behandeln. Ihnen schließen
sich zur weiteren Ausführung an: die „Prolegomena
zu einer jeden künftigen Metaphyfik“ (1783), die
„Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissen-
schaft" (1786), die „Grundlegung zur Metaphysik
der Sitten“ (1785) und die „Metaphysik der Sit-
ten“ (1797).
Die Schrift „Die Religion innerhalb der Gren-
zen der reinen Vernunft“ (1793) hatte eine vom
Minister Wöllner ausgegangene Kabinettsorder
vom 12. Okt. 1794 zur Folge, wodurch ihm das
Mißfallen Friedrich Wilhelms II. ausgedrückt
Kanonisches Recht — Kant.
1586
wurde wegen „Entstellung und Herabwürdigung
mancher Haupt= und Grundlehren der Heiligen
Schrift und des Christentums“. Kant gab darauf-
hin (in vollem Einklange mit seinen weiter unten
zu entwickelnden Rechtsanschauungen) die Ant-
wort: „Um auch dem mindesten Verdachte vor-
zubeugen, so halte ich es für das sicherste, hiermit
als E. k. Majestät getreuester Untertan feierlichst
zu erklären, daß ich mich fernerhin aller öffentlichen
Vorträge, die Religion betreffend, es sei die natür-
liche oder die geoffenbarte, sowohl in Vorlesungen
als in Schriften gänzlich enthalten werde.“ Nachdem
seit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms III.
eine neue Wendung der Dinge eingetreten war, ließ
er 1798 die Schrift „Streit der Fakultäten"“ er-
scheinen und gab in der Vorrede zu ihr über diesen
Vorgang selber einen öffentlichen Bericht.
Zu den rechts= und staatsphilosophischen Schrif-
ten gehören folgende drei: „Über den Gemeinspruch:
Das mag für die Theorie richtig sein, taugt aber
nicht für die Praxis“ (1793); „Zum ewigen Frie-
den"“ (1795); „Metaphysische Anfangsgründe der
Rechtslehre", welche mit den „Metaphyfischen An-
fangsgründen der Tugendlehre“ zusammen die
„Metaphysik der Sitten“ (1797) bilden (Gesam-
melte Werke von G. Hartenstein (10 Bde, Leipz.
1838/39, systematisch geordnet); neue Ausgabe in
chronologischer Ordnung (8 Bde, ebd. 1867/691,
von K. Rosenkranz u. F. W. Schubert (12 Bde,
ebd. 1838/40; Bd 12 enthält eine Geschichte der
Kantschen Philosophiel). Ferner in der von J. H.
v. Kirchmann begründeten „Philosophischen Biblio-
thek“" ljetzt zumeist in guten Neuauflagen];die Haupt-
schriften von Kehrbach in der Reclamschen Univer-
salbibliothek usp. Maßgebend ist jetzt die von der
Königl. Preuß. Akademie der Wissenschaften in
Berlin veranstaltete vollständige kritische Gesamt-
ausgabe (seit 1900], welche auch den handschrift-
lichen Nachlaß und die Vorlesungen enthalten soll.
Erschienen sind bis jetzt die Werke größtenteils und
die Briefe. Nach dieser Ausgabe, soweit sie er-
schienen, ist im folgenden zitiert; sonst nach der von
Rosenkranz und Schubert.)
I. Vorerst mögen einige orientierende Bemer-
kungen in bezug auf die kritische Grundlegung
der Kantschen Sittenlehre hier Platz finden.
Die Sinnlichkeit nimmt die Dinge auf, wie sie
sich unter den apriorischen Formen von Raum und
Zeit als Erscheinungen darbieten; der Verstand
erhebt die Sinneserscheinungen vermittelst seiner
apriorischen Denkformen (Kategorien und Grund-
sätze) zu Gegenständen möglicher Erfahrung. Es
gibt daher eine apriorische und darum allgemein
gültige Wissenschaft von der Natur als Erschei-
nungswelt, eine immanente Metaphysik. Aber die
spekulative Vernunft vermag die Dinge, so wie
sie an sich sind, nicht zu erkennen. Die Ideen der
Substantialität, Einfachheit, Beharrlichkeit und
Unsterblichkeit unserer Seele, die Idee einer über
der Naturnotwendigkeit stehenden Freiheit (dritte
kosmologische Antinomie) sowie die Idee Gottes
haben keine konstitutive Bedeutung, wie die
Sinnes= und Verstandesformen. Eine transzen-
dente, über das uns in der Anschauung Gegebene
hinausgehende Metaphysik als spekulative (theore-