Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

1589 
zu sein (Werke V 132/146). Sie verstatten keinen 
Imperativ, kein crede, sondern nur ein credo 
(Fortschr. der Metaphysik seit Leibniz u. Wolff, bei 
Rosenkranz u. Schubert 1 538; vgl. auch Werke V 
468/174). Auf solche Weise führt das Sittengesetz 
zur Religion, d. h. zur Erkenntnis aller Pflichten 
als göttlicher Gebote. Die natürliche Religion 
und darüber hinaus auch die als möglich anzu- 
erkennende Offenbarungsreligion, vorzüglich die 
christliche, haben nur die Aufgabe, die Sittlichkeit 
zu befördern; ihr Zweck ist ein moralischer. 
Zur Sittenlehre K.s im allgemeinen voal. 
außer den größeren, die Geschichte der neueren 
Philosophie behandelnden Werken von J. E. Erd- 
mann, Überweg-Heinze, E. Zeller, Kuno Fischer, 
W. Windelband, A. Stöckl, den Monographien 
über Kant von Fr. Paulsen (in Frommanns Klas- 
sikern der Philosophie), O. Külpe, G. Simmel, 
M. Kronenberg, H. Sidgwick, E. Beurlier, Th. Ruys- 
sen, den kritischen Bemerkungen in den Ethiken von 
V. Cathrein S. J., W. Wundt, Fr. Paulsen folgende 
Spezialarbeiten: A. Trendelenburg, Der Wider- 
streit zwischen K. u. Aristoteles in der Ethik, in 
Historische Beiträge zur Philosophie III (1867) 
171/214; Fr. Zange, Das Fundament der Ethik, 
eine kritische Untersuchung über K.s u. Schopen- 
hauers Moralprinzip (1872); G. Schramm, K.3 
kategorischer Imperativ (1873); J. Witte, Bei- 
träge zum Verständnis K.2 (1874) 58/90; J. Vol- 
kelt, K.s kategorischer Imperativ (1875); A. Dor- 
ner, Prinzipien der K.schen Ethik (1875); H. Cohen, 
K.s Begründung der Ethik (1877; vgl. desf. 
Ethik des reinen Willens“, 1904); Otto Lehmann, 
K.# Prinzipien der Ethik (1880); W. Wohlrabe, 
K.3 Lehre vom Gewissen (1880); E. Höhne, K.3 
Pelagianismus u. Nomismus (1881); A. Häger- 
ström, K.3 Ethik im Verhältnis zu seinen erkennt- 
nistheoretischen Grundlagen, systematisch dargestellt 
(1902); A. Messer, K.s Ethik (1904); V. Delbos, 
La philosophie pratique de Kant (1905); A. 
Fouillée, Le moralisme de Kant et Pimmoralisme 
contemporain (1905). 
Wie die Kritik der reinen theoretischen Ver- 
nunft eine Metaphysik der Natur, so hat die 
Kritik der praktischen Vernunft eine Metaphysik 
der Sitten herausgestellt und die Grundlegung 
für eine solche geboten. Dies das bisherige Er- 
gebnis. Nun kann aber die Vollbringung des 
sittlichen Gesetzes entweder eine bloß äußerliche, 
legale sein, wenn von der innern Triebfeder ab- 
gesehen wird, oder eine moralische, wenn sie das 
sittliche Gesetz selber zur innern Triebfeder hat. 
Infolgedessen wird auch unterschieden die äußere 
Gesetzgebung, welche nur auf Handlungen gehen 
kann, und die innere, welche zugleich auf Ge- 
sinnungen geht, sowie Rechtspflicht und Tugend- 
pflicht und weiterhin metaphysische Rechtslehre 
Kant. 
1590 
gekehrt hat dann Kant wieder auf die juristischen 
Anschauungen vieler Rechtslehrer seiner Zeit einen 
bedeutenden Einfluß ausgeübt. Die Hauptsätze 
seiner Rechtslehre sind folgende: 
Während die positive Rechtsgelehrsamkeit nur 
zu sagen weiß, was da oder dort als Recht äußer- 
lich festgesetzt worden ist, vermag die metaphysische 
Rechtslehre auch zu sagen, was als solches ver- 
nunftgemäß ausgesprochen werden kann und soll, 
was allüberall und immer ein solches ist. Eine 
„bloß empirische Rechtslehre ist wie der hölzerne 
Kopf in Phädrus' Fabelt ein Kopf, der schön sein 
mag, nur schade, daß er kein Gehirn hat“. Was 
ist nun in Wahrheit Recht? Es ist der Inbegriff 
der Bedingungen, unter denen die Willkür des 
einen mit der Willkür des andern nach einem 
allgemeinen Gesetze der Freiheit äußerlich zu- 
sammen bestehen kann. Ein solches Recht ist ver- 
bunden mit der Befugnis, zu zwingen, d. h. mit 
der Befugnis, einem Hindernisse dieser allgemei- 
nen äußeren Freiheit aller Einzelnen ein Hinder- 
nis, und zwar ein physisches, entgegenzusetzen. 
Nur ein solches Zwangsrecht ist ein striktes Recht. 
Ein Recht ohne Zwang ist nur ein Recht im 
weiteren Sinne, zu dessen Entscheidung kein Richter 
aufgestellt werden kann, wiewohl es unterschieden 
ist von einem bloß moralischen Recht. Ein solches 
Recht ohne Zwang heißt Billigkeit, deren Sinn- 
spruch lautet: „Das größte Recht ist das größte 
Unrecht.“ Ein striktes Recht ist ebensowenig das 
Notrecht, welches in umgekehrter Weise ein Zwang 
ohne Recht ist, mit dem Sinnspruche: „Not hat 
kein Gebot.“ 
Das strikte Recht ist entweder ein angeborenes 
oder ein erworbenes. Angeborenes Recht ist das, 
was jedermann zukommt vor allem rechtlichen Akte; 
erworbenes, was nur durch einen solchen zu- 
stande kommt. Das angeborene Recht ist nichts 
anderes als die Freiheit jeglicher Person, sofern 
sie mit der Freiheit aller andern nach allgemei- 
nem Gesetze äußerlich zusammen bestehen kann. 
Es ist folglich nur ein einziges Recht, bestehend 
in der Fähigkeit zu vielerlei erwerbbaren Rechten. 
Nach einer andern Beziehung ist das strikte Recht 
entweder ein privates oder ein öffentliches. Das 
private Recht ist das natürliche, das öffentliche ist 
das bürgerliche Recht. Das private oder natür- 
liche Recht ist als solches jedoch nicht ein gesell- 
schaftsloses, sondern bereits ein gesellschaftliches; 
nur erlangt das Mein und Dein eine gesicherte 
Geltung erst durch das öffentliche Gesetz, nachdem 
der Naturzustand in den bürgerlichen Verfassungs= 
stand übergeführt worden. Vgl. die Einleitung 
zur Rechtslehre (Werke VI 229/242). 
  
und Tugendlehre als besondere Teile der Meta-= 1. Das Privatrecht ist entweder ein ding- 
physik der Sitten (Werke VI 218/221, 388/391). liches oder persönliches oder dinglich-persönliches. 
Bloß die Rechtslehre sollhier zur Darstellung Der physische Besitz, das Innehaben irgend eines 
kommen. Die juristischen Fachausdrücke derselben Gegenstandes, z. B. eines Apfels, den ich in der 
schließen sich zumeist an Gottfried Achenwall Hand habe, ist noch kein rechtlicher Besitz; dieser 
(1719/72) an, den gelehrten Kollegen des be= ist vielmehr intelligibler Art, gleichviel, ob ich den 
kannten Göttinger Staatsrechtslehrers Pütter. Um= Gegenstand, den ich meine, physisch innehabe oder
	        
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