Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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nicht. Er ist dadurch möglich, daß der noch un- 
bestimmte Besitz des Bodens, welcher noch ohne 
Grenzscheidung von Mein und Dein und in diesem 
Sinne Gemeinbesitz war, ein bestimmter, abge- 
grenzter Besitz des einzelnen und der einzelnen 
oder Privateigentum wurde. Er wurde aber 
solches durch die Bemächtigung von seiten eines 
einzelnen, bestehend in physischer Besitznahme 
(apprehensio) eines Bodens und deren Bezeich- 
nung (declaratio), welche möglicherweise auch 
Kant. 
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habenden Willen, also nur durch den Übergang 
aus dem Naturzustande in den Stand der bürger- 
lichen, politischen Verfassung. Erst dadurch er- 
langt das Eigentum statt einer bloß provisorischen 
Geltung eine peremtorische. Die ursprüngliche 
Erwerbung hat den Charakter eines dinglichen 
Rechts, welcher durch einen Akt einseitiger. Will- 
kür (facto) gewonnen wird; sie ist Erwerbung 
eines Eigentums, welches da eine Sache ist (ogl. 
Rechtslehre §§ 1/17; Werke Vl 245/270). 
durch Bearbeitung (kormatio) dieses Bodens ge- Das auf ursprüngliche Weise erworbene Eigen- 
schehen kann, und endlich in Zueignung (appro- tum ist kraft beiderseitigen Willens durch einen 
priatio) desselben. Bloße Macht kann zwar nie Vertrag (pacto) einer Veräußerung fähig; so 
und nimmermehr Recht erzeugen. Wenn jedoch entsteht der Anspruch des einen auf die Leistung 
der einzelne in vorbezeichnetem Falle durch Wort eines andern als Erfüllung eines gegebenen Ver- 
oder Tat erklärte: „Ich will, daß etwas Außeres sprechens oder ein persönliches Recht. Wie 
das Meine sein soll“, so erklärte er jeden andern kann nun der sinnlich kundgegebene beiderseitige 
für verbindlich, des Gegenstandes seiner Willkür Wille eine Rechtsverbindlichkeit erzeugen? Ist 
sich zu enthalten, kraft des obersten Rechtsgrund= die Kundgebung des Willens nicht bereits ver- 
satzes: „Handle so, daß deine Willkür mit der gangen, wenn jene der Annahme erfolgt? Wie 
Willkür aller andern äußerlich zusammen bestehen kann der Wille dessen, der ein Versprechen ge- 
kann“; hiermit legte er zugleich das Bekenntnis 
ab, daß er auch seinerseits jedem andern gegen- 
über in gleicher Weise Enthaltung üben wolle. 
Der Grund der ursprünglichen Erwerbung des 
Eigentums ist sonach nicht die Bemächtigung 
irgend eines Gegenstandes als bloß sinnenfälliger 
Akt, sondern der in derselben zum Ausdruck kom- 
mende kategorische Rechtsimperativ. Die physische 
Bemächtigung bildet den empirischen Titel, dieser 
Imperativ den Vernunfttitel derselben. Wird ein 
Teil der Erdoberfläche kein Gegenstand der Okku- 
geben hat, gebunden sein durch den Willen dessen, 
welcher es später annimmt? Dieses kann nur 
stattfinden völlig abgesehen von zeitlich-empirischen 
Bedingungen kraft des obersten apriorischen Rechts- 
grundsatzes, weil andernfalls eine äußere Freiheit 
aller nicht Bestand haben könnte (vgl. Rechtslehre 
§§ 18/20; Werke VI 271/274). 
Die Glieder der häuslichen Gesellschaft, näm- 
lich Gatten, Kinder und Hausuntergebene, sind 
nicht Objekte des Sachenrechts, die man durch 
bloße Bemächtigung (facto) erwerben und be- 
pation, wie z. B. das Meer, soweit es vom Ufer liebig veräußern könnte, weil sie Personen sind 
aus gegen fremden Eingriff nicht mehr geschützt mit angeborenem und unveräußerlichem Freiheits- 
werden kann, dann bleibt er neutrales Gebiet; rechte. Sie sind ebensowenig Objekte eines bloß 
schlechthin herrenlos (res nullius) ist ein solches persönlichen Rechts, durch bloßen Vertrag (pacto) 
indessen nicht, weil es dazu dient, die benachbarten zu erwerben, indem sie nicht bloße Leistungen von 
Eigentümer zu scheiden. Personen sind, sondern als Personen selber einen 
Das Eigentum verdankt seinen Ursprung somit Rechtsbesitz bilden. Sie sind vielmehr Objekte 
dem Willen des einzelnen, nicht dem Willen des eines dinglich-persönlichen Rechts, welche 
Staates. Der noch unbestimmte Grundbesitz, nur kraft eines unverbrüchlichen Vernunftgesetzes 
welcher in früher bezeichnetem Sinne die ideelle (lege) in Besitz kommen und im Besitz sich be- 
Voraussetzung des Eigentumsrechts ausmacht finden können. Allerdings ist die Ehe ein Ver- 
(communio fundi originaria), war nicht der 
Zeit nach eine anfängliche Eigentumsgemeinschaft 
(communio primaeva); eine solche ist als Er- 
dichtung anzusehen, weil sie eine gestiftete Ge- 
meinschaft gewesen wäre und aus einem Vertrage 
hätte hervorgehen müssen, durch den alle „auf den 
Privatbesitz Verzicht getan und ein jeder durch 
die Vereinigung seiner Besitzung mit der jedes 
andern jenen in einen Gesamtbesitz verwandelt 
trag, aber stehend unter dem Gesetze vernünftiger 
Freiheit, nach welchem die Geschlechtsgemeinschaft 
nur in ihr rechtlich betätigt werden kann, und nur 
in monogamischer Weise durch ungeteilte Hingabe 
einer Person an eine andere. Ebenso sind die 
Kinder kein rein sachlicher Besitz, indem sie als 
freiheitbegabte Wesen Anspruch auf Erhaltung 
und Erziehung haben. Und wenn die übrigen 
Hausgenossen auch durch Vertrag zu Gliedern des 
hätte, und davon müßte uns die Geschichte einen Hauses werden, so sind sie doch kein bloßes 
Beweis geben“. Das Eigentum verdankt seinen Material und stehen nicht außerhalb des freien 
Ursprung also nicht in sozialistischem und kommu= Menschenrechts wie Sklaven (Rechtslehre 88 22/80; 
nistischem Sinne dem Willen des Staates, sondern Werke VI 276/284). 
dem Willen des Einzelnen. Es verdankt ihn diesem Alle diese Privatrechte können im Stande der 
letzteren aber innerhalb der natürlichen Gesell= natürlichen Gesellschaft erworben werden. Da 
schaft; bei auftauchenden Streitigkeiten entbehrt jedoch Streitigkeiten eintreten können, ohne daß 
es hier jedoch einer festen Garantie und gewinnt ein kompetenter, mit Zwangsrecht ausgestatteter 
eine solche nur durch einen allgemeinen, Macht Richter vorhanden wäre, so haben alle diese
	        
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