Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

1593 Kant. 1594 
Privatrechte eine bloß provisorische Geltung, getrennt ist, despotisch; denn regieren können nie 
keine peremtorische. Sofort kann ein jeder schon alle ohne Ausnahme, regieren kann immer nur 
in Anbetracht dessen, daß solche Streitigkeiten ein einzelner oder einzelne oder die Mehrheit aller 
einzutreten drohen, ohne erst durch Schaden klug einzelnen. Obgleich ein Monarch, welcher zugleich 
werden zu müssen, den andern nötigen, ja selbst Gesetzgeber ist, am leichtesten in Despotismus ver- 
zwangsweise nötigen, den Naturzustand zu ver= fallen kann, so ist es ihm anderseits wieder am 
lassen und zur Sicherung aller Privatrechte ein leichtesten möglich, dem Geiste eines repräsentativen 
bürgerliches, politisches Gemeinwesen zu gründen. Systems, der Idee einer vollkommen rechtlichen 
So *entsteht das öffentliche Recht (Rechtslehre §8§ 41, 1 Verfassung gemäß zu regieren, wie Friedrich II. 
44; Werke VI 305/307, 312/313). beweist, wenn er sagt, er sei bloß der oberste 
2. Das öffentliche Recht erscheint zunächst Diener des Staates. Weniger ist dies schon einer 
als Staatsrecht, dann als Völkerrecht und Welt= aristokratischen Regentschaft möglich, welche zu- 
bürgerrecht. Die äußerlich mit sich übereinstim= gleich die Gesetzgebungsgewalt in Händen hat; 
mende Freiheit oder der vereinigte Wille aller ist, geradezu unmöglich einer demokratischen Regent- 
wie Prinzip aller Rechtsbildung, so auch Prinzip schaft, denn sie muß dem Despotismus verfallen, 
aller Staatsbildung. Der Staat kann vernunft= weil „alles da Herr sein will“. Sie ist daher am 
gemäß nur gedacht werden als zustande kommend weitesten von der Idee des Republikanismus ent- 
durch den vereinigten Willen aller oder den So= fernt, und man kann geradezu sagen: „Je kleiner 
zialvertrag. Nur der Idee nach ist übrigens das Personale der Staatsgewalt (die Zahl der 
  
der Staat aus einem solchen Vertrage hervor- 
gegangen, wie er der Tat nach da oder dort immer 
entstanden sein möge (Werke VI 318; „Über den 
Gemeinspruch: Das magin der Theorierichtig sein“ 
usw., Rosenkranz u. Schubert VII 207). Infolge- 
dessen ist die einzige Verfassung, die „aus der Idee 
des ursprünglichen Vertrages hervorgeht, auf der 
alle rechtliche Gesetzgebung eines Volkes ge- 
gründet sein muß, die republikanische“; sie allein 
ist „aus dem reinen Quell des Rechtsbegriffes“ ent- 
sprungen („Zum ewigen Frieden“, bei Rosenkranz 
u. Schubert VII 241, 243). Die gesetzgebende 
Gewalt üben der Idee nach alle aus, obgleich 
nicht unmittelbar, doch mittelbar durch abge- 
ordnete Repräsentanten. Sie sind insofern Staats- 
bürger mit den Attributen der Freiheit, Gleich- 
heit, Selbständigkeit. Zu aktiven Staatsbürgern 
qualifizieren sie sich indessen nur durch die Fähig- 
keit der Stimmgebung; ohne diese sind sie bloß 
passive Staatsbürger, wie die Unmündigen, die 
Frauen und überhaupt alle, welche in Abhängig- 
keitstehen, also Dienstboten, Gesellen, Arbeiter usw. 
(Werke VI 314/315; „Über den Gemeinspruch“ 
usw., Rosentranz u. Schubert VII 198/207). 
Da jedoch nicht erwartet werden kann, daß alle, 
die das aktive Stimmrecht besitzen, unmittelbar 
oder beim Vorhandensein einer großen Volkszahl 
auch nur mittelbar durch die von ihnen abgeord- 
neten Repräsentanten stets einhellig sein werden, 
und nur eine Mehrheit von Stimmen dasjenige 
ist, was man allein als erreichbar voraussetzen 
kann, so wird selbst „der Grundsatz, sich diese 
Mehrheit genügen zu lassen, als mit allgemeiner 
Zusammenstimmung, als durch einen Kontrakt 
angenommen, der oberste Grund der Errich- 
tung einer bürgerlichen Verfassung sein müssen“ 
(Rosenkranz u. Schubert VII 206/207). Jede 
Verfassung, welcher nicht die Idee des Republi- 
kanismus in solcher Weise zugrunde liegt, ist 
despotisch. 
Sonach ist jede Verfassung, in welcher die ge- 
setzgebende Gewalt von der regierenden nicht 
  
  
Herrscher), je größer dagegen die Repräsentation 
derselben, desto mehr stimmt die Staatsverfassung 
zur Möglichkeit des Republikanismus, und sie kann 
hoffen, durch allmähliche Reformen sich dazu end- 
lich zuerheben“ (Werke V338/339; „Zum ewigen 
Frieden“, bei Rosenkranz u. Schubert VII 244 bis 
245). Jede despotische Regentschaft soll allmählich 
aufhören, eine solche zu sein, und sich mehr und 
mehr der Idee der einzig rechtmäßigen Verfassung, 
der republikanischen nämlich, angemessen machen, 
so daß die regierende Gewalt von der gesetzgebenden 
getrennt ist und ihr zugleich unterworfen. Der 
Staatsregent, möge er eine physische oder mora- 
lische Person sein, hat gemäß dieser idealen Ver- 
fassung keine Gesetze zu geben, sondern sie lediglich 
zu vollziehen. Zu diesem Zwecke eignet ihm das 
Zwangsrecht, ja es eignet ihm allein, weil es ein 
ausschließliches Prärogativ der vollziehenden Ge- 
walt bildet. 
Wieweit erstreckt sich nun dieses Gesetze voll- 
ziehende Zwangsrecht? Kann der Staat Privat- 
eigentum an Grund und Boden in Anspruch 
nehmen? Nein! Er kann es nur beschützen und 
beschatzen. Er hat zwangsweises Recht der Auf- 
sicht über alles, was das öffentliche Wohl betrifft; 
auch über das Kirchenwesen, soweit es dem poli- 
tischen Gemeinwesen Eintrag tun könnte, wiewohl 
die innere Gestaltung desselben rücksichtlich des 
Glaubens und der gottesdienstlichen Formen und 
die äußere Erhaltung desselben Sache der kirch- 
lichen Gemeinde ist. Er besitzt weiterhin das Recht, 
Armen-, Schul= und Kirchenstiftungen, geistliche 
Orden, angeerbte Adelsvorrechte und Moajorate 
aufzuheben, wenn sie den Zeitumständen nicht 
mehr entsprechen. 
Wie im idealen Staate die regierende Gewalt 
von der gesetzgebenden getrennt sein soll, so von 
beiden die richterliche. Sie ist in geteilter 
Weise auszuüben: durch Geschworene, welchen die 
Entscheidung der Tatfrage obliegt, und durch be- 
amtete Richter, welchen die Anwendung des Ge- 
setzes und die Fällung des Rechtsspruches obliegt.
	        
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