155
nur an sich, und wofern man sich nur bereichern
kann, mögen die andern leiden; die Staaten gehen
eher zugrunde, weil es zu wenige gute Bürger gibt,
als weil es oft schlechte Souveräne gibt (10. Kap.).
In der Erörterung über die Teile der Sou-
veränität, ihre Ausdehnung und ihre Grenzen,
wird den Fürsten das dreifache Recht der Gesetz-
gebung, des Kriegs und Friedens, der Erhebung
der Steuern zuerkannt, nach der Regel des öffent-
lichen Wohles. Das Urteil über Tugend und
Laster untersteht bei der Politik wie der Moral,
bei einzelnen wie in ganzen Gesellschaften einem
und demselben Gesetz. Die Fürsten haben keinen
Richter über sich, sie zu bestrafen, aber immerdar
ein Gesetz, welches ihr Verhalten regelt. Alle Ge-
setze, alle Kriege, alle Auflagen, die nicht das
öffentliche Wohl zum Gegenstand haben, sind eine
Verletzung der wesentlichen Rechte der Menschheit.
— Um die Ordnung aufrecht zu erhalten, muß der
Mensch andern Menschen untertan sein, die oft
schwach, fehlbar sind und unzähligen Leidenschaften
gehorchen. Indem man die schrecklichen Übel der
Anarchie vermeidet, läuft man Gefahr, in die
Sklaverei zu verfallen; für die Menschen eine
traurige Lage, für die Vorsehung aber ein weiser
Zustand, um uns von diesem Leben loszulösen
und unser Auge auf jenes andere Leben hinzu-
richten, wo der Mensch nicht mehr dem Menschen,
sondern dem ewigen Gott untertan ist (11. Kap.).
Bei Besprechung der verschiedenen Formen
der Regierung, der demokratischen, aristokra-
tischen, monarchischen und der gemischten, erscheint
zwar in der Theorie die letzte als die schönste und
die nützlichste, wofern die Harmonie in ihr aufrecht
erhalten werden könnte. Aber jede Teilung der
Souveränität gebiert unaufhörliche Kämpfe, die
mit Despotismus oder Anarchie enden (12. Kap.).
Das zeigt sich an der Geschichte der Regierungen
Roms und Englands (13. Kap.). Wenn die Parla-
mente mit Mitgliedern sich füllen, deren Gedanken
und Interessen sich bekämpfen, kann nichts anderes
als eine außergewöhnliche Menge der verschiedensten
Gesetze daraus entstehen: ebenso sicher ein Zeichen
der Staatskorruption (schon Plato weiß das), wie
Fénelon.
156
gemein gültige Form der Regierung zu empfehlen
(15. Kap.). — Der reinen Volksregierung
soll man nicht zustimmen, um nicht den Torheiten
der Menge, dem Spielball der Launen und Leiden-
schaften solcher zu verfallen, die kein Prinzip der
Einheit in sich haben als das der Unabhängigkeit
(16. Kap.). — Jenen, die mit der alleinigen
Herrschaft der Gesetze die Regierung führen
wollen, wird ihre Träumerei vorgehalten mit dem
Hinweis auf die Notwendigkeit eines höchsten,
lebendigen, sichern, autoritativen Auslegers der
Gesetze (17. Kap.). — Nachdem Fenelon dann
seine Regierungslehre auf sechs entscheidende Punkte
zurückgeführt hat, weist er (18. Kap.) deren Über-
einstimmung mit den Aussprüchen der Heiligen
Schrift in bewundernswert feiner und freier Weise
nach.
Eine Ergänzung dieser Gedanken bot Ramsay
in seiner Histoire de la vie et des ouvrages
de Fénelon (Lond. 1723). Niemals solle Ja-
kob III., heißt es unter anderem dort, wenn er
den Thron besteigen werde, seine Untertanen mit
Gewalt zum Wechsel der Religion zwingen; die
Freiheit des Willens durch äußere Gewalt und
Zwang zu beugen, sei unnütz und verwerflich.
Wenn das englische Parlament ohne den König
nichts vermöge, so auch der König nichts ohne
das Parlament; der König vermöge all das Gute,
was er wünsche, zu tun, die Beschränkung der
Freiheit des Bösen sei vom Segen. Im Inter-
esse des weisen Fürsten liege es, nur der Voll-
zieher der Gesetze zu sein und in einem höchsten
Rat eine Schranke für seine Gewalt zu finden.
Alle Nationen seien wie verschiedene Familien
eines und desselben Staatswesens: Gott sei ihr
gemeinschaftlicher Vater und das öffentliche Wohl.
nicht das Sonderinteresse, sei ihr gemeinschaft-
liches, natürliches Grundgesetz; Tyrannei und
Despotismus sei ein Attentat auf die Rechte und
das Gesetz der Brüderlichkeit; der Despotismus
der Menge, eine blinde und selbstmörderische
Macht, sei die unerträglichste aller Tyranneien;
sie sei der Fluch eines durch zügellose Freiheit
verdorbenen Volkes. Aus dem Umsturz einer be-
die Menge der Arzte auf die Vielheit und Ver= stehenden Regierungsform erblühe kein Glück;
schiedenheit der Krankheiten hinweist (14. Kap.). letzteres erstehe für die Souveräne nur aus der
Fenelons Ideal bleibt die durch die Aristokratie Überzeugung, daß die Sicherheit und Größe ihrer
gemäßigte Monarchie, wo die Königsmacht Regierung von dem Glück der Untertanen ab-
ihre Souveränität oder ihre Gesetzgebungsgewalt hänge; für die Völker aus der Überzeugung, daß
mit einer Vertretung teilt, deren Mitglieder fixiert ihr wahres Wohl die Unterwerfung erheische. Wie
und nicht gewählt sind. Die königliche Autorität Freiheit ohne Ordnung zur Zigellosigkeit und
soll nicht die einzige, ausschließliche Macht des dann zur Knechtung führe, so sei der Fieberwahn
Staates sein. Auf dem Zusammenwirken der mon= einer unbegrenzten Gewalt nur Ruin der eigenen
archischen und der aristokratischen Macht ersteht Autorität.
die legislative Gewalt, an der zwar das Prüft man diese Regierungspolitik als Ganzes
gemeine Volk direkt keinen Anteil hat, die aber und in ihren Einzelheiten, so fordert, abgesehen
für die außerordentliche Bewilligung von von Fehlern in der Wertschätzung der Aristokratie
Steuern an die Zustimmung des Volkes ge= und andern öffentlichen Einrichtungen ein Drei-
bunden sein soll. Fenelon weist auf die Unmög= faches unsere Anerkennung und Bewunderung:
lichkeit hin, bei der Verschiedenheit des Charakters einmal die Tatsache, daß ein Jahrhundert vor
der Nationen und ihrer Veränderlichkeit, eine all- dem Ausbruch der Revolution, lange vor Rousseau